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KLIMA/533: Weltkulturerbe durch Anstieg des Meeresspiegels bedroht (Uni Kiel)


Christian-Albrechts-Universität zu Kiel - 16. Oktober 2018

Weltkulturerbe durch Anstieg des Meeresspiegels bedroht

Kieler Studie zeigt: Gefährdung durch Sturmfluten könnte um bis zu 50 Prozent steigen


Im Mittelmeerraum befinden sich eine Vielzahl von UNESCO Weltkulturerbestätten in tiefliegenden Küstengebieten. Dazu zählen zum Beispiel die Lagune von Venedig, die Altstadt von Dubrovnik oder die Ruinen von Karthago. Diese Stätten werden im Laufe des 21. Jahrhunderts verstärkt durch einen steigenden Meeresspiegel und durch zunehmende Küstenerosion gefährdet sein. Zu diesem Schluss kommt eine der ersten großräumig angelegten Studien, die Doktorandin Lena Reimann vom Geographischen Institut der Christian-Albrechts-Universität zusammen mit Professor Athanasios Vafeidis und internationalen Partnern durchgeführt hat. Die Ergebnisse hat das Team in der aktuellen Ausgabe (Dienstag, 16. Oktober) in dem renommierten Fachjournal Nature Communications veröffentlicht.


Foto: © Lena Reimann, Sally Brown

Die UNESCO Weltkulturerbestätte Venedig und seine Lagune ist eine der durch Sturmfluten und Küstenerosion meistgefährdetsten Welterbestätten im Mittelmeeraum. Die Gefährdung wird durch den voranschreitenden Meeresspiegelanstieg im Laufe diesen Jahrhunderts weiter verschärft.
Foto: © Lena Reimann, Sally Brown

Bereits heute sind ein Großteil der insgesamt 49 untersuchten Weltkulturerbestätten durch den Anstieg des Meeresspiegels gefährdet. Bis zu 37 dieser Stätten sind durch eine sogenannte Jahrhundertsturmflut bedroht, die mit jährlich 1 Prozent Wahrscheinlichkeit stattfindet. 42 der 49 Stätten sind durch Küstenerosion gefährdet. Nimmt der Meeresspiegelanstieg weiter zu, "wird die Gefährdung durch Sturmfluten, die unter heutigen Bedingungen einer Jahrundertsturmflut entsprechen, im Mittelmeerraum durchschnittlich bis zu 50 Prozent und durch Küstenerosion bis zu 13 Prozent zunehmen, und das noch bis Ende des 21. Jahrhunderts. Einzelne Weltkulturerbestätten könnten durch ihre exponierte Lage sogar noch weitaus stärker betroffen sein", erklärt Lena Reimann die Studienergebnisse.


Karte des Mittelmeerraums - Grafik: © Nature Communications, http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-06645-9

UNESCO Weltkulturerbe im Mittelmeerraum: Die Grafik zeigt neben den in der Studie untersuchten Weltkulturerbestätten mit ihrer offiziellen UNESCO Identifikationsnummer die Fluthöhen einer heute hundertjährigen Sturmflut pro Küstenabschnitt unter dem höchsten Meeresspiegelanstiegsszenario im Jahr 2100.
Grafik: © Nature Communications, http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-06645-9

Um die Gefährdungspotenziale auswerten zu können, hat das Forschungsteam eine räumliche Datenbank aller UNESCO Weltkulturerbestätten in tiefliegenden Küstengebieten des Mittelmeerraums erstellt. Neben der Lage und Form der Stätten flossen auch die Art des Kulturerbes, die Entfernung zur Küstenlinie oder ihre Lage in urbanen bzw. ländlichen Gebieten in die Studie ein. "Mithilfe dieser Datenbank und Modellsimulationen von Überschwemmung unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien des Meeresspiegelanstiegs konnten wir Indizes entwickeln: den Index für Flutrisiko und für Erosionsrisiko", so Reimann. Der Flutrisikoindex berücksichtigt die potenziell überflutete Fläche und die maximale Fluttiefe jeder Weltkulturerbestätte. Der Erosionsrisikoindex basiert auf der Entfernung jeder Stätte von der Küstenlinie und den physischen Eigenschaften der Küste, die den Grad der Erosion maßgeblich bestimmen. Diese sind u.a. die Materialbeschaffenheit der Küste, von sandig bis felsig, und die Verfügbarkeit neuen Sediments.

Der Anstieg von Flut- und Erosionsrisiko von bis zu 50 Prozent bzw. 13 Prozent basiert auf einem im Mittelmeerraum angenommenen Meeresspiegelanstieg von durchschnittlich 1.46 Meter bis zum Jahr 2100. Dieser Anstieg könnte mit einer fünfprozentigen Wahrscheinlichkeit (95. Perzentil) unter einem hohen Klimawandelszenario (RCP8.5) eintreten. "Auch wenn ein so hoher Meeresspiegelantieg mit einer geringen Wahrscheinlichkeit bis 2100 eintreten wird, ist dieses Szenario nicht auszuschließen, was auf die hohen Unsicherheiten in Bezug auf das Abschmelzen der Eisschilde zurückzuführen ist", so Professor Vafeidis, "außerdem ist ein solches Szenario aus Sicht des Risikomanagements durchaus relevant, da eine fünfprozentige Eintrittswahrscheinlichkeit in diesem Zusammenhang nicht als gering einzustufen ist."

"Mit unserer Arbeit möchten wir die Anpassungsplanung zum Schutz des Weltkulturerbes vorantreiben", betont Reimann. Die Studie identifiziere, wo dringender Bedarf für Anpassungen besteht. An diesen Stätten sollten lokale Studien initiiert werden, die jede einzelne gefährdete Stätte des Weltkulturerbes näher untersuchen. "Es besteht unmittelbarer Handlungs- und Anpassungsbedarf", ist sich Reimann sicher. Zugleich müssten Maßnahmen für die größere Bedrohung entwickelt werden, die sich in die Stätten einfügen, ohne den Status als Welterbe zu beeinträchtigen. Ein solches Beispiel befindet sich aktuell in Venedig im Bau: Das MOSE Projekt besteht aus absenkbaren Flutwehren, die an den Öffnungen der Lagune installiert werden und so die Stadt und seine Lagune vor Wasserständen von bis zu drei Meter über Normalnull schützen können. Durch die Absenkbarkeit der Flutwehre könne diese Anpassungsmaßnahme den Erhalt des fragilen Ökosystems in der Lagune gewährleisten und füge sich in die Weltkulturerbestätte ein, ohne ihren Status als UNESCO Welterbe zu gefährden, so Reimann. Die Wissenschaftlerin betont neben der Anpassungsplanung auch die zentrale Relevanz des Klimaschutzes: "Ohne geeignete Anpassungsmaßnahmen kombiniert mit einem weltweit ambitionierten Klimaschutz könnte unser Weltkulturerbe durch den Meeresspiegelanstieg erheblichen Schaden nehmen und somit seinen herausragenden Wert als UNESCO Weltkulturerbestätte verlieren."

Originalpublikation:
Reimann et al. (2018): Mediterranean UNESCO World Heritage at risk from coastal flooding and erosion due to sea-level rise. In Nature Communications,
http://dx.doi.org/10.1038/s41467-018-06645-9.

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Quelle:
Presseinformation 339/2018, 16.10.2018
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Oktober 2018

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