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LANDWIRTSCHAFT/114: Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2016
Völlig losgelöst
Lässt sich die EU noch demokratisieren?

Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten
Eine neue Publikation zeigt Alternativen für eine zukunftsfähige Landwirtschaft und Ernährung auf

Von Sarah Schneider


Die anlässlich des Welternährungstages Mitte Oktober 2016 publizierte Broschüre 'Besser anders, anders besser: Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten' verfolgt ein klares Ziel: Sie will zeigen, dass es anders geht, besser geht und informiert über praxiserprobte Alternativen, in denen großes Potenzial steckt. Im Fokus stehen Beispiele agrarökologischer Anbaumethoden, innovative Vermarktungswege und Initiativen zur politischen Mitgestaltung des Ernährungssystems.


Der Konsens über die Bedeutung von Agrarökologie scheint groß. Verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich zusammengetan, um die Broschüre 'Besser anders, anders besser: Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten' gemeinsam zu erarbeiten. Unterstützung und Beiträge kamen von AutorInnen aus verschiedenen Teilen der Welt, darunter VertreterInnen aus der Wissenschaft, zivilgesellschaftlichen Organisationen und internationalen Gremien, sowie PraktikerInnen, die mit der Umsetzung von Agrarökologie und innovativen Vermarktungsstrategien viele gute Erfahrungen gemacht haben. Das gemeinsame Anliegen ist, zu zeigen, dass mit Agrarökologie eine sozial und ökologisch nachhaltige Agrarwende möglich ist.

Agrarökologie: Was steckt dahinter?

Die vielen Alternativen brechen an verschiedenen Orten weltweit durch die Risse des industriellen Ernährungssystems. Mit praxiserprobten agrarökologischen Anbauverfahren schützen Bauern und Bäuerinnen die Bodenfruchtbarkeit, fördern die Vielfalt auf den Äckern und Tellern, schonen die natürlichen Ressourcen und verwirklichen das Menschenrecht auf angemessene Ernährung. Agrarökologie gibt lokalen Märkten den Vorzug gegenüber dem Weltmarkt. Durch innovative Vermarktungswege werden VerbraucherInnen mit agrarökologischen Erzeugnissen, frisch und zu erschwinglichen Preisen, versorgt. Ernährungsräten mit VertreterInnen aus der Zivilgesellschaft, lokalen Wirtschaft und Stadtpolitik und anderen Initiativen gelingt es, mehr Mitspracherechte in der Gestaltung lokaler Ernährungssysteme zu erlangen und Ernährungspolitik mitzuentwickeln. Das Konzept der Agrarökologie ist die inhaltliche Klammer der Broschüre und wird ausführlich beschrieben. Das Konzept der Agrarökologie "plädiert für eine bäuerliche Landwirtschaft und ist skeptisch gegenüber Agrarkonzernen. [...] Abgesehen von der größeren Nähe zur Natur bedeutet Agrarökologie größere Nähe zu Menschen - als vielseitige ArbeiterIn, als selbstständige ProduzentIn und als MarktteilnehmerIn zum Verkauf verarbeiteter Waren. Wenn Agrarökologie gelingt, dann wird klar, was die lateinische Sprache immer schon wusste - dass ein geheimer Zusammenhang besteht zwischen humus und humanum", so Wolfgang Sachs in seinem Vorwort.

Es bleibt die Frage, warum Agrarökologie trotz dieser Potenziale nach wie vor wenig verbreitet ist und nur schwer den Sprung auf die politische Agenda schafft. Auch darauf gibt es in der Broschüre Antworten. Klar ist, dass ein System, das ohne Agrarchemikalien und Gentechnik auskommt und lokale Vermarktungsstrukturen stärkt, kaum Profitmöglichkeiten für die Konzerne der internationalen Agrar- und Ernährungsindustrie bietet. Prof. Dr. Olivier De Schutter, der ehemalige Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für das Recht auf Nahrung, geht in seiner Analyse auf die Gründe für die fehlende Verbreitung ein: "Die Infrastrukturen und Technologien setzen auf Größenvorteile eines großflächigen, mechanisierten Anbaus von Monokulturen. Zweitens, dominante Agrar- und Lebensmittelkonzerne sind besser positioniert, um die globalen Märkte mit billigem Essen zu versorgen. Diejenigen, die nachhaltiger erzeugen, können erst dann mit dieser industriellen Lebensmittelherstellung konkurrieren, wenn die sozialen und ökologischen Kosten vollständig internalisiert sind. [...] Große Player des Agrobusiness widersetzen sich neuen Regeln, die ihre Position im Ernährungssystem bedrohen und bäuerlichen ErzeugerInnen nicht nur die Rolle als AbnehmerInnen von Saatgut, Pestiziden und Düngemitteln und als LieferantInnen von Rohstoffen zuweisen." Für die wirkliche Umsetzung von Agrarökologie müsste folglich eine grundlegende Veränderung der globalen Machtverhältnisse in die Wege geleitet werden.

Was muss sich ändern?

Um mit Agrarökologie eine Neuausrichtung des Ernährungssystems zu erlangen, ist ein neues Verständnis davon notwendig, was nachhaltige Ernährungssysteme ausmacht. Denn Probleme lassen sich bekanntlich nicht mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind. Dazu gehört, das Dogma der allgemeinen Produktivitätssteigerung durch die industrielle Landwirtschaft als Strategie für die Ernährung der Welt hinter sich zu lassen.

Politische Instrumente müssen neu ausgerichtet werden, um diversifizierte agrarökologische Erzeugungssysteme zu unterstützen. Um langfristige Investitionen und nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen, brauchen Bauern und Bäuerinnen gesicherten Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen, sowie die Kontrolle darüber. Anreize in Form von finanzieller Unterstützung und Beratung für die agrarökologische Kreislaufwirtschaft, die Praktiken zum Erhalt und zur Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, zum Recycling von Biomasse und zur Steigerung der Biodiversität, sowie die Minimierung von Agrarchemikalien und fossiler Energie bestärken, sollten geschaffen werden.

Kurze Vermarktungswege und alternative Handelsstrukturen müssen gefördert werden. Denn: Bauern und Bäuerinnen brauchen Märkte, auf denen sie ihre Produkte zu fairen Konditionen verkaufen und die Marktbedingungen mitbestimmen können. Bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen für die Versorgung von Kantinen, Schulen und Kindertagesstätten sollten lokale ErzeugerInnen bevorzugt werden. Das schafft nicht nur eine zukunftsfähige Existenzgrundlage für Bauern und Bäuerinnen, sondern gewährleistet auch eine vielfältige und hochwertige Versorgung mit Nahrungsmitteln aus der Region. Konzepte wie die Solidarische Landwirtschaft, wo sich VerbraucherInnen mit ErzeugerInnen von Lebensmitteln zusammenschließen, die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs teilen und im Gegenzug einen regelmäßigen Ernteanteil erhalten, stärken die sozialen Beziehungen zwischen ErzeugerInnen und VerbraucherInnen und schaffen ein neues Bewusstsein für die Bedeutung der Landwirtschaft.

Eine Demokratisierung des Ernährungssystems ist nötig. Bauern und Bäuerinnen sind die zentralen Akteure im Ernährungssystem und müssen über ein entsprechendes Mitspracherecht bei der Entwicklung von Agrar- und Ernährungspolitiken verfügen. Die Erarbeitung von Forschungsagenden sowie die Forschung selbst müssen partizipativ stattfinden, um zu gewährleisten, dass sie den Bedürfnissen der Bauern und Bäuerinnen entsprechen und auf ihrem Wissen aufbauen. Initiativen wie Ernährungsräte zur gemeinsamen Gestaltung lokaler Ernährungssysteme sollten von den Kommunal- und Stadtregierungen angenommen und unterstützt werden.

Selbst aktiv werden

"Um die bäuerliche Landwirtschaft zu erhalten, Bauern und Bäuerinnen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, sowie die Umwelt und das Klima zu schützen, sind politische Rahmenbedingungen zur Förderung der Agrarökologie und der Ernährungssouveränität unerlässlich", so Berit Thomsen und Paula Gioia von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. "Aber die Realität zeigt, dass es gefährlich ist, sich nur auf die Politik zu verlassen. Viel zu oft setzen sich die Interessen der Agrarkonzerne durch." Um ein anderes Landwirtschafts- und Lebensmittelsystem zu realisieren, ist es auch nötig, dass VerbraucherInnen und zivilgesellschaftliche Gruppen Verantwortung übernehmen und sich mit Bauern und Bäuerinnen zusammenschließen. Die Broschüre zeigt, welches Potenzial in Initiativen wie der Solidarischen Landwirtschaft, Bauernmärkten und Ernährungsräten steckt. Agrarökologie lebt vom Engagement von PionierInnen und von vielzähligen Menschen, die sich gemeinsam für eine soziale und ökologische Neuorientierung in der Landwirtschaft einsetzen. Auf geht's!


Autorin Sarah Schneider ist Referentin für Landwirtschaft und Ernährung bei MISEREOR.


Die Broschüre "Besser anders, anders besser: Mit Agrarökologie die Ernährungswende gestalten" wird gemeinsam von Brot für Welt, FIAN, dem Forum Umwelt und Entwicklung, der Heinrich-Böll-Stiftung, dem INKOTAnetzwerk, MISEREOR, Oxfam und der Rosa-Luxemburg-Stiftung publiziert. Sie kann bei allen Organisationen bestellt werden und steht kostenfrei zum Download zur Verfügung.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2016, Seite 33-34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2016

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