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LATEINAMERIKA/086: Vom Ende der Yasuní-ITT-Initiative (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013
Holzplantage oder Ökosystem? - Wälder unter Nachfragedruck

Rückschlag für die post-fossile Zukunft
Ecuadorianischer Präsident Rafael Correa beendet Yasuní-ITT-Initiative

Von Cathrin Klenck



Der ecuadorianische Präsident hat im August 2013 die weltweit beachtete Yasuní-ITT-Initiative für gescheitert erklärt. Durch die Initiative sollte die Ölförderung in einem Teilgebiet des einzigartigen Yasuní-Nationalparks verhindert werden. In Ecuador wird gegen diese Entscheidung protestiert, die Zivilgesellschaft strebt ein Referendum an. Nicht nur in Ecuador stellt sich die Frage, was das Aufkündigen der Yasuní-ITT-Initiative (ITT, benannt nach den Flüssen Ishpingo, Tambococha und Tiputini, die das Gebiet begrenzen) für die Idee, fossile Rohstoffe im Boden zu lassen, bedeutet.


Mitte November bestätigte Ecuadors Oberster Gerichtshof in dritter und damit letzter Instanz, dass der Öl-Multi Chevron Schadensersatz für die massive Verseuchung des Amazonasgebietes durch die Erdölförderung zahlen muss. Auch wenn das Gericht die Geldstrafe im Vergleich zu früheren Urteilen auf knapp zehn Milliarden Dollar halbierte, ist die verhängte Strafe die bislang höchste in der Geschichte des Umweltrechts. Fast dreißig Jahre lang förderte der inzwischen von Chevron übernommene Texaco-Konzern Öl in Ecuador. Texaco hinterließ nach dem Rückzug im Jahr 1992 Schäden in gigantischem Ausmaß. Verseuchte Böden und Gewässer, gerodete Waldflächen und zahlreiche noch offene Bohrlöcher beeinträchtigen bis heute die Umwelt und gefährden die Lebensgrundlage der dort lebenden Menschen. Seit zwei Jahrzehnten versucht die Bevölkerung, den Schaden einzuklagen. Chevron hat erneut angekündigt, das aktuelle Urteil nicht zu akzeptieren und hat seinerseits Gegenprozesse angestrengt.


Chevrons schmutzige Hände - Ölförderung im Amazonas
Die ecuadorianische Regierung reagierte mit einer internationalen Kampagne gegen Chevron. Zum Auftakt der Kampagne namens »Las Manos Sucias de Chevron« (Die schmutzigen Hände von Chevron) tauchte Präsident Rafael Correa im September 2013 öffentlichkeitswirksam seine Hände in eines der vielen Becken, die Texaco in der Provinz Sucumbios hinterlassen hat, und in denen bis heute Öl und Rückstände offen lagern. Die Auseinandersetzung über die Konsequenzen einer Förderung von fossilen Rohstoffen, die mit hohen ökologischen und sozialen Risiken und Schäden einhergeht, ist in Ecuador momentan also in vollem Gange. Doch während die Altlasten der Förderung im Amazonas durch Texaco bzw. Chevron medienwirksam skandalisiert werden, wurde die Ausbeutung weiterer Ölreserven im Amazonas beschlossen. Am 15. August 2013 erklärte Correa die Yasuní-ITT-Initiative, die eine Ölförderung in einem Teil des Yasuní-Nationalparks im Nordosten Ecuadors verhindern sollte, für gescheitert.


Die Yasuní-ITT-Initiative - »Leave the oil in the soil«
Vor sechs Jahren präsentierte der ecuadorianische Präsident vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen einen weltweit beachteten Vorschlag: Große Erdölvorkommen (rund 850 Millionen Barrel und damit etwa 20 Prozent der bekannten Erdölreserven Ecuadors) in einem Teilgebiet des Yasuní-Nationalparks sollten nicht gefördert werden, wenn die internationale Gemeinschaft sich im Gegenzug dazu bereit erklärte, die Hälfte der entgangenen Einnahmen aus der Ölförderung zu kompensieren. Diese Mittel (rund 3,6 Milliarden US-Dollar) sollten in den Ausbau Erneuerbarer Energien, in Entwicklungsprojekte, Wiederaufforstung, den Erhalt von Schutzgebieten und in die Forschung fließen. Der Yasuní-Nationalpark gehört zu den Hotspots der Biodiversität weltweit und ist Lebensraum für indigene Gemeinschaften, die zum Teil in freiwilliger Isolation leben. Seit 1989 ist der Park UNESCO-Biosphärenreservat. Mit dem Vorschlag Correas wurde eine visionäre Idee zur offiziellen Politik, die über Jahre hinweg maßgeblich von der ecuadorianischen Zivilgesellschaft, von indigenen Gruppen und UmweltaktivistInnen entwickelt worden war.

Der Vorschlag, das Öl gegen Kompensation im Boden zu lassen, genoss eine hohe Zustimmung in der ecuadorianischen Bevölkerung und stieß auch jenseits von Ecuador auf große Resonanz. Auch in Deutschland wurde die Idee positiv aufgenommen. Im Jahr 2008 unterstützten so gut wie alle Fraktionen im Deutschen Bundestag die ecuadorianische Initiative in einem auf Anregung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen formulierten interfraktionellen Antrag. Diese Unterstützung aus Deutschland war zum einen ein Signal für weitere potenzielle Geldgeber in der internationalen Gebergemeinschaft, zum anderen beeinflusste sie auch die Debatte in Ecuador. Denn dort geriet die Initiative durch konkurrierende Interessen unter Druck. Die deutsche Unterstützung stärkte den VerteidigerInnen der Yasuní-Initiative in Ecuador den Rücken in einem Prozess, der auf ecuadorianischer Seite immer wieder auch durch Widersprüchlichkeiten geprägt war. Nach der Bundestagswahl 2009 wurde diese Unterstützung von der neuen FDP-Führung im Entwicklungsministerium jedoch zurückgezogen, Minister Niebel lehnte ein »Zahlen für Unterlassen« strikt ab. Wie zuvor die Unterstützung hatte auch diese Absage Signalwirkung für die innerecuadorianischen Aushandlungsprozesse wie auch für potenzielle internationale UnterstützerInnen der Initiative.


Yasuní-ITT-Initiative beendet - Zivilgesellschaft fordert Referendum
Das Ende der Initiative kam nicht überraschend. Die erhoffte finanzielle Unterstützung blieb aus, auch wenn an verschiedener Stelle die Relevanz des Yasuní-Projekts und die Notwendigkeit einer Unterstützung betont wurde, wie etwa durch UN-Generalsekretär Ban Kimoon im September 2011. Correa hatte wiederholt gedroht, das Öl zu fördern, wenn sich keine internationale Unterstützung fände. Und auch die Öllobby übte Druck aus. Nach neueren Schätzungen wird bei einer Förderung in Yasuní-ITT inzwischen mit Einnahmen von 15 bis 20 Milliarden US-Dollar gerechnet. Die Ölförderung im Amazonas wurde von der Regierung trotz der Yasuní-ITT-Initiative vorangetrieben, im Herbst 2012 wurden weitere Konzessionen für das südliche Amazonasgebiet vergeben. Als Präsident Correa das Scheitern der Initiative verkündete, waren noch nicht einmal ein Prozent der anvisierten Summe von 3,6 Milliarden US-Dollar eingegangen. Correa kündigte in seiner Ansprache einen raschen Start der Explorationsarbeiten für die Ölförderung im ITT-Gebiet an. Das ecuadorianische Parlament, wo Correas Partei Alianza País über eine Zwei-Drittel-Mehrheit verfügt, billigte Anfang Oktober nach langer Debatte mit 108 zu 25 Stimmen den Vorstoß Correas und erklärte die Förderung in ITT zum nationalen Interesse. Damit wurde die Voraussetzung zur Ölförderung im Naturschutzgebiet geschaffen.

Als Reaktion auf die Aufkündigung der Initiative haben sich in Ecuador Umweltschutzorganisationen, Indigenenverbände, WissenschaftlerInnen und weitere UnterstützerInnen zum Bündnis »Yasunidos« zusammengeschlossen. Sie wollen ein Referendum über die Frage der Ölförderung in Yasuní-ITT erwirken. Damit das ecuadorianische Verfassungsgericht eine entsprechende Referendumsfrage prüft, müssen die InitiatorInnen bis April 2014 die Unterschriften von fünf Prozent der Wahlberechtigten in Ecuador vorlegen (etwa 600.000 Menschen). Die Unterstützung der Initiative in der Bevölkerung ist groß, die ecuadorianische Regierung hat mit der Zustimmung im eigenen Land auf der internationalen Bühne stets geworben. Ob das notwendige Quorum für ein Referendum erreicht wird, wie das Verfassungsgericht die eingereichte Frage bewertet und zu welchem Ergebnis eine mögliche Volksabstimmung kommen könnte, bleibt abzuwarten. Vorerst dominiert die Logik der Rohstoffausbeutung. Präsident Correa kündigte unterdessen an, dass die Rohstoffeinnahmen aus Yasuní-ITT vorrangig für den Kampf gegen Armut eingesetzt werden sollen. Die auf Rohstoffausbeutung basierende Finanzierung von Investitionen in Infrastruktur und Sozialprogramme scheint jedoch schwer vereinbar mit dem in der ecuadorianischen Verfassung verankerten alternativen Entwicklungsparadigma des Guten Lebens (Buen Vivir) und der Verankerung der Natur als Rechtssubjekt.


Post-fossile Zukunft - Pilotprojekte werden gebraucht
Die internationale Gebergemeinschaft hat die Yasuní-ITT-Initiative nicht unterstützt. Sie hat damit das Scheitern eines konkreten und gleichzeitig visionären Modellprojekts in Kauf genommen. Damit ist das Aufkündigen der Initiative weit über Ecuador hinaus ein Rückschlag. Ein Umsteuern in der Rohstoff- und Energiepolitik ist nötig, dies verdeutlicht allein der ungebremste Klimawandel. Für Schritte in eine postfossile Zukunft (gemäß dem Motto »leave oil in the soil, leave coal in the hole, leave gas under the grass«)(1) werden neben den großen politischen Weichenstellungen auch Laboratorien und positive (Gegen-)Entwürfe gebraucht. Pilotprojekte wie Yasuní-ITT sind wichtig, weil sie zeigen, dass es Alternativen gibt zur Ausbeutungslogik, zum Export der Natur und zum aggressiven Vorstoßen in sensible Ökosysteme unter Inkaufnahme immer größerer ökologischer und sozialer Risiken.

Unabhängig vom Ausgang eines möglichen Referendums in Ecuador liegen genau hier aber auch die Errungenschaften der Initiative. Trotz aller Widersprüchlichkeiten war und ist die Yasuní-ITT-Initiative ein Pilotprojekt für das Überwinden des fossilen Zeitalters. Der ecuadorianische Vorschlag einer Nicht-Förderung von Öl hat eine große Dynamik freigesetzt, weit über Ecuador hinaus. Eine der Herausforderungen liegt nun darin, die Idee hinter Yasuní-ITT auch im Falle eines Scheiterns der Initiative nicht fallenzulassen, sondern weiterzudenken. Dies ist in verschiedenen Regionen der Welt bereits der Fall und auch konzeptionell liegen erste Vorschläge auf dem Tisch.

Es steht außer Frage, dass eine Nicht-Förderung in einzelnen sensiblen Gebieten nicht die Lösung für die Klima-, Rohstoff- und Energiekrisen ist. Das dafür notwendige Umsteuern und verbindliche politische Entscheidungen können und sollen durch vereinzelte Projekte nicht ersetzt werden. Dennoch liegt in der Akzeptanz und Unterstützung von Initiativen wie Yasuni-ITT ein wichtiger Beitrag auf dem Weg in Richtung post-fossile Zukunft.


Autorin Cathrin Klenck arbeitet zu entwicklungs- und rohstoffpolitischen Fragen. Mit der Yasuní-ITT-Initiative hat sie sich als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag auseinandergesetzt.


(1) Siehe hierzu auch Temper et al: Towards a Post-Oil Civilization, Yasunization and other initiatives to leave fossil fuels in the soil, EJOLT (Environmental justice organisations, liabilities and trade) Report N° 6, Mai 2013.
http://www.ejolt.org/2013/05/towards-apost-oil-civilization-yasunization-and-other-initiatives-to-leave-fossil-fuels-in-the-soil/


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2013, S. 10-11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2014