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LATEINAMERIKA/111: Lateinamerika - Trotz vieler Fortschritte, ökologische Nachhaltigkeit bleibt Herausforderung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2015

Lateinamerika: Fortschritte in vielen Entwicklungsbereichen - Doch ökologische Nachhaltigkeit bleibt Herausforderung

von Diego Arguedas Ortiz


Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

Ein Arbeiter in einer Baumschule in Cachí in der zentralen Provinz Cartago, wo jedes Jahr 300.000 Bäume gezogen werden, die an die Bevölkerung, Institutionen und Unternehmen verteilt werden
Bild: © Diego Arguedas Ortiz/IPS

SAN JOSÉ (IPS) - Für Millionen Lateinamerikaner haben sich die Wasserversorgung und die Wohnverhältnisse in den letzten 25 Jahren erheblich verbessert. Doch im Bereich der nachhaltigen Entwicklung besteht noch großer Handlungsbedarf. So sind die Entwaldungsraten und die Treibhausgasemissionen zu hoch.

In den 15 Jahren seit Einführung der acht Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) zur Armutsbekämpfung haben die Länder des amerikanischen Subkontinents eine Menge bewegt. So verbuchten sie Erfolge bei der Sanierung von Barackensiedlungen und sorgten für verbesserte Sanitärleistungen und Wasserversorgung.

Auch an der HIV/Aids-Front können sie Erfolge vorweisen. Wie aus dem neuen Bericht des UN-Aidsprogramms UNAID hervorgeht, hatten im vergangenen Jahr 47 Prozent der über 15-jährigen und 54 Prozent der unter 14-jährigen HIV-Positiven Zugang zu antiretroviralen Medikamenten. Somit erzielte Lateinamerika Ergebnisse, die oberhalb der globalen Durchschnittswerte von 41 respektive 32 Prozent lagen.

Doch im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit muss noch nachgebessert werden. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Region ihren Energiebedarf weitgehend mit fossilen Brennstoffen deckt und ihre Volkswirtschaften vom Bergbau und von monokultureller Land- und Viehwirtschaft abhängen.


Erfolge bei der Wasser- und Sanitärversorgung

"Die Fortschritte sind sehr uneben verlaufen", meint Joséluis Samaniego, Direktor der Abteilung für nachhaltige Entwicklung und menschliche Siedlungen der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL). Allgemein betrachtet gebe es klare und hervorragende Fortschritte bei der Wasser- und sanitären Grundversorgung sowie Anzeichen dafür, "dass wir diese Ziele noch erreichen".

Wasser- und Sanitärversorgung sind Unterziele von MDG 7 für ökologische Nachhaltigkeit. Die insgesamt acht MDGs, die auf Indikatoren von 1990 beruhen, laufen Ende des Jahres ab. Nachfolger sind 17 Nachhaltigkeitsziele (SDGs), die die Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfel im September in New York beschließen werden.

Lateinamerika und der Karibik ist es bereits fünf Jahre vor Ablauf der Frist gelungen, das MDG-7-Unterziel zu erreichen, den Anteil der Menschen ohne nachhaltigen Zugang zu Trinkwasser bis Ende 2015 zu halbieren. Und zwischen 1990 und 2015 ist der Anteil der Bevölkerung mit einem nachhaltigen Zugang zu verbesserten Wasserquellen von 85 Prozent auf 95 Prozent gestiegen. Allerdings fehlt es noch immer Millionen Lateinamerikanern an sauberem Wasser.

Auch konnte die Zahl der Slumbewohner nach UN-Angaben von 1990 bis 2014 von 37 Prozent auf 20 Prozent beinahe halbiert werden. Doch mit 100 Millionen leben noch immer viel zu viele Lateinamerikaner in Slums oder Barackensiedlungen.

Die Fortschritte der Behörden, das Prinzip der nachhaltigen Entwicklung möglichst wirksam in die öffentlichen Strategien und Maßnahmen zu integrieren, halten sich in Grenzen. "Wir schneiden in den Bemühungen, die Entwaldung aufzuhalten, nicht so gut ab", räumt Samaniego ein. Zwischen 1990 und 2010 sei die Walddecke in Lateinamerika von 52 auf 47,4 Prozent geschrumpft.

Der letzte MDG-Fortschrittsbericht der Vereinten Nationen vom 6. Juli verdeutlicht die geringen Fortschritte, die die lateinamerikanischen und karibischen Länder im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit gemacht haben: Trotz einiger bemerkenswerter Wiederaufforstungsmaßnahmen in Kuba und Chile sowie einer Verlangsamung der Entwaldung des brasilianischen Amazonasgebietes verschwinden die Wälder der Region in atemberaubender Geschwindigkeit. Dabei haben viele Länder Waldschutzmaßnahmen und -gesetze eingeführt, wie es in der Zusammenfassung der Erkenntnisse des Berichts zu Lateinamerika heißt.


Zunahme der CO2-Emissionen

Ein weiteres Problem ist, dass die Volkswirtschaften der Region sehr CO2-intensiv sind. Ein Mechanismus, um dies zu messen, ist die Karbonintensität. Sie gibt an, wie viel Gramm CO2 erforderlich sind, um einen Dollar Wirtschaftsleistung zu erzeugen. Während der globale Durchschnittswert von 600 Gramm pro Dollar im Jahre 1990 auf 470 Gramm gut 20 Jahre später zurückging, fiel er in Lateinamerika und der Karibik lediglich von 310 auf 280 Gramm pro Dollar. "Das ist statistisch gesehen nur eine unbedeutende Verringerung", betont Samaniego.

Regionale Experten des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) teilen diese Ansicht. Ihnen zufolge besteht eine fast lineare Wechselwirkung zwischen der Wirtschaftsleistung und dem Energieverbrauch eines Landes. Solange der Energiemix vorrangig aus fossilen Brennstoffen bestehe, würden die CO2-Emissionen steigen, meint Gonzalo Pizarro, Regionalberater für Armut, MDGs und menschliche Entwicklung des regionalen UNDP-Service-Centers für Lateinamerika und die Karibik in Panama-Stadt.

Im Jahr 1990 hatte die Region noch nicht einmal eine Milliarde Tonnen CO2-Äquivalent emittiert - das sind keine fünf Prozent der globalen Gesamtemissionen. Obwohl der Anteil der Region an den globalen CO2-Emisionen bis 2011 gleich geblieben ist, ist der in Lateinamerika und der Karibik in zwei Jahrzehnten erfolgte CO2-Ausstoß um 80 Prozent auf 1,8 Milliarden Tonnen CO2 gestiegen.

"Mit diesem im siebten MDG enthaltenen Ziel hat es eine besondere Bewandtnis: Obwohl die politischen Bestimmungen aus nationalen Entscheidungsfindungsprozessen hervorgehen, sind die Ergebnisse von globaler Wirkung", sagt Pizarro. "Obwohl sich Emissionen und Waldverlust negativ auf das Wohlbefinden der Menschen auswirken, sind sie zugleich auf ein Entwicklungsmodell zurückzuführen, dem die Staaten folgen."

In lateinamerikanischen Ländern, deren Volkswirtschaften von Rohstoffexporten abhängen, wird die Entwaldungsrate wegen des wirtschaftlichen Drucks, die Wälder auszubeuten, besonders hoch sein, befürchtet der Experte. Die Herausforderung besteht seiner Meinung darin, den Energiemix zu verändern.

"Solange Entscheidungsträger unfähig sind, den kurzfristigen Nutzen der Ressourcenausbeutung gegen den wahren Wert der ökologischen Leistungen der Wälder abzuwägen, werden diese auch weiterhin im großen Stil vernichtet", befürchtet Pizarro. (Ende/IPS/kb/15.07.2015)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2015/07/america-latina-surca-la-sostenibilidad-ambiental-con-luces-y-sombras/
http://www.ipsnews.net/2015/07/latin-america-has-uneven-record-on-environmental-sustainability/
http://www.ipsnoticias.net/2015/07/america-latina-con-logros-en-lucha-contra-vihsida-pero-dispares/
http://www.ipsnews.net/2015/07/latin-america-has-beaten-down-but-not-beaten-hivaids/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Juli 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2015

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