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MEER/008: Dossier Klima - Die Ozeane versauern (research*eu)


research*eu Nr. 63 - April 2010

Magazin des Europäischen Forschungsraums

DOSSIER KLIMA


OZEANE

Die Ozeane versauern

Von Julie Van Rossom


Die CO2-Emissionen verstärken nicht nur den Treibhauseffekt, sie wirken sich auch auf heimtückische Weise auf den Säuregehalt der Ozeane aus. Und dieses Phänomen könnte die marinen Ökosysteme des Planeten destabilisieren.


Neu ist das nicht. Die Ozeane spielen eine zentrale Rolle bei der Regulierung des Klimas. Als riesige CO2-Reservoire binden sie ein Viertel der Treibhausgasemissionen, die durch den Menschen seit 200 Jahren verursacht werden. Diese Absorptionsfähigkeit lässt sich durch einen physikalischen Prozess erklären (siehe Kasten). Die Natur strebt immer nach einem Gleichgewicht und da CO2 wasserlöslich ist, kann es leicht aus der Atmosphäre in die Ozeane gelangen. Ohne diese Reaktion wäre der Klimawandel noch viel größer. Aber es gibt auch eine Kehrseite: die Versauerung der Ozeane.

"Bis vor Kurzem war man sich noch nicht bewusst, dass sich die chemische Zusammensetzung der Meere so weit verändern würde, dass sich dies auch auf die biologischen Funktionen von Organismen und die marinen Ökosysteme auswirken würde", erklärt Jean-Pierre Gattuso, Ozeanograf und Koordinator von EPOCA. Dieses umfangreiche europäische Forschungsprogramm wurde 2008 gestartet, um die Auswirkungen der Versauerung der Ozeane auf marine Biotope zu ermitteln.


Ein Schneeballeffekt

CO2 ist ein saures Gas. Wenn es sich im Meerwasser auflöst, reagiert es mit Wasser und den Carbonat-Ionen und bildet Bicarbonat-Ionen. Durch diese Reaktion wird das Volumen der H+-Ionen im Meerwasser erhöht, wodurch der Säuregehalt steigt, was sich wiederum in einem niedrigeren pH-Wert spiegelt. Außerdem wird die Konzentration der Carbonat-Ionen gesenkt, die eine fundamentale Rolle für einen Teil der marinen Fauna spielen. Deshalb sind Korallen, Muscheln und andere Schalentiere direkt durch dieses Phänomen bedroht. Was haben sie gemeinsam? Diese Lebewesen bilden ihre Muschel oder ihr Skelett durch Aufnahme der Calcium- und der Carbonat-Ionen aus dem Meerwasser. Auf diese Weise erhalten sie die Elemente, die sie zur Bildung von Calciumcarbonat oder Kalk benötigen.

Je weniger Carbonat im Meerwasser enthalten ist, umso mehr Energie müssen diese Organismen aufwenden, um sich zu entwickeln. "Anfangs dachten wir, dass die Kalzifizierung, also die Fähigkeit Kalk zu bilden, einfach nur sinken würde. Doch in Wirklichkeit ist es viel komplizierter. Während bei manchen Arten die Kalzifizierung tatsächlich langsamer abläuft, läuft sie bei anderen zwar ganz normal ab, doch zulasten anderer vitaler Funktionen, etwa dem Wachstum oder der Fortpflanzung", erklärt Ulf Riebesell, Ozeanograf vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (DE). Er koordiniert auch das deutsche Forschungsprojekt BIOACID, das die Versauerung der Ozeane erforscht und im September 2009 gestartet wurde.

Die Reaktion mancher wichtiger Kalkorganismen beunruhigt die Forscher ganz besonders. "In den kalten Meeren leben Korallengemeinschaften in sehr großen Tiefen, dort wo die Carbonatkonzentrationen von Natur aus schwach sind", erklärt Jean-Pierre Gattuso. "Die jüngsten Ergebnisse und Voraussagemodelle zeigen, dass diese Gewässer zu sauer werden könnten und damit den Kalk auflösen würden. Mit steigender Versauerung würde nicht nur das Wachstum der Kaltwasser korallen gebremst werden, sie würde auch zur Auflösung ihres Skeletts beitragen." Genauso wie die tropischen Korallen bilden auch die Kaltwasserkorallen einen privilegierten Lebens- und Fortpflanzungsraum. "Sowohl auf der Nord- als auch auf der Südhalbkugel sind viele Arten, die für die Fischerei von wirtschaftlicher Bedeutung sind, bedroht. Sollten die Korallen verschwinden, hätte dies immense sozialwirtschaftliche Folgen. Hinzu käme auch die Frage nach der Sicherheit, weil die Korallenriffe in den tropischen Gewässern die Küsten auf natürliche Weise vor den Unbilden des Meeres schützen", unterstreicht Jean-Pierre Gattuso.

Ein weiteres Sorgenkind ist die Flügelschnecke (Thecosomata, früher Pteropoda), eine Art schwimmende Schnecke. "Das Haus der Flügelschnecken besteht aus Aragonit, einer weniger stabilen Form von Kalk, die auf eine Versauerung noch empfindlicher reagiert", erklärt Ulf Riebesell. "Die Flügelschnecken sind ein wichtiges Glied in der marinen Nahrungsmittelkette. So ernährt sich etwa der Nordpazifische Lachs während einer bestimmten Wachstumsphase fast ausschließlich von diesen Tieren. Wir wissen nicht, ob diese Raubfische auf andere Arten ausweichen können oder ob der Rückgang der Flügelschnecken auch zur Zerstörung dieser Populationen beitragen wird."


Tausende Unbekannte

Außer den Kalkorganismen könnten auch andere Meeresbewohner von den Folgen der Versauerung der Ozeane direkt betroffen sein. Doch die Forschung steht immer noch ganz am Anfang. Die zunehmende Versauerung senkt auch das Schalldämpfungsvermögen der Ozeane, was dazu führen könnte, dass sich Meeressäugetiere nicht mehr richtig orientieren und sie ihre Beute nicht orten können. Es gibt auch nur wenige Untersuchungen über die Auswirkungen der Versauerung auf Fische. "Eine amerikanische Untersuchung hat einen Zusammenhang zwischen der Versauerung und der Vergrößerung von Otolithen festgestellt. Dieser Innenohrknochen spielt eine wichtige Rolle für den Gleichgewichtssinn von Fischen. Man weiß jedoch nicht, inwiefern eine anormale Entwicklung verhängnisvoll sein könnte", erklärt Jean Pierre Gattuso.

Um die Folgen der Versauerung zu verstehen, untersuchen die Forscher von EPOCA jene marinen Ökosysteme, in denen die CO2-Konzentrationen auf natürliche Weise hoch sind, etwa vor der italienischen Insel Ischia. Doch die meisten Forschungen konzentrieren sich auf die Polargebiete, die mehr CO2 aufnehmen, weil sich dieses Gas im kalten Wasser besser auflöst. "An den Polen schreitet die Versauerung schneller voran. Deshalb sind die Auswirkungen auf die Ökosysteme dort auch leichter festzustellen", erklärt Jean-Pierre Gattuso.

Um die Säureschwelle zu ermitteln, die nicht überschritten werden darf, wenn das herrschende Gleichgewicht in den Ozeanen erhalten bleiben soll, muss man die Auswirkungen der Versauerung auf das marine Biotop verstehen. "Bisher konnte noch kein maximaler Toleranzwert festgelegt werden, weil uns nicht genügend Daten vorliegen. Die ersten Untersuchungen über die Versauerung der Meere wurden vor höchstens 15 Jahren durchgeführt", erläutert der Forscher.

Doch eines ist sicher: Die Versauerung schreitet voran, sie ist messbar und steigt zusammen mit den CO2-Emissionen an. Seit dem Beginn des Industriezeitalters ist der pH-Wert der Ozeane bereits von 8,2 auf 8,1 gesunken. Doch gibt es nur eine Lösung für dieses Problem: Die Reduzierung der CO2-Emissionen. Diese Forderung wird auch von mehr als 150 Ozeanforschern in der Erklärung von Monaco getragen. In dieser im Januar 2009 veröffentlichten Erklärung werden die politischen Entscheidungsträger aufgefordert, das Thema der Versauerung der Ozeane auch auf dem Klimagipfel in Kopenhagen auf den Tisch zu bringen.


Der gesättigte Ozean

Die CO2-Aufnahme durch die Ozeane ist ein natürlicher Prozess. Die physikalische Pumpe, wie der Mechanismus gemeinhin genannt wird, steht im Zusammenhang mit einem weiteren als biologische Pumpe(1) bekannten Prozess, in dessen Zentrum Kalkalgen stehen. Diese fixieren das CO2 in ihrer Schale durch Fotosynthese und ziehen es beim Absterben auf den Meeresboden hinunter. Derzeit weiß man nicht, inwieweit die Reaktion dieser Organismen auf die Versauerung der Ozeane das Funktionieren der ozeanischen Kohlenstoffsenke beeinträchtigen könnte. Im Jahr 2009 wurde das europäische Projekt CARBOOCEAN abgeschlossen, das sich mit der Messung der Kohlenstoffspeicherkapazität der Ozeane befasst hat. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die CO2-Aufnahmefähigkeit im Nordatlantik und im Südlichen Ozean verlangsamt hat. Die Ursache für diese Verlangsamung ist jetzt zu klären. "Diese Veränderungen könnten auf natürliche Phänomene zurückgehen, etwa auf den Temperaturanstieg oder auf veränderte Meeresströmungen. Doch sie können auch biologische Ursachen haben", erklärt Ulf Riebesell. "Im Gegensatz zu den Mechanismen der biologischen Pumpe sind jene der physikalischen Pumpe relativ bekannt. Einige Wissenschaftler bestätigen, dass diese Pumpe durch die Versauerung wirksamer wird, andere prognostizieren das Gegenteil. Deshalb ist es besonders wichtig, diese Phänomene zu ve rstehen und zu quantifizieren, um die Zuverlässigkeit der benutzten Modelle zur Klimavorhersage zu erhöhen".

(1) Zum Thema physikalische und biologische Pumpen siehe auch "Das CO2 zwischen Himmel und Meer", research*eu, Sonderausgabe Dezember 2007.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Im Labor: Kalzifizierung und Übertragung von Mineralspuren mithilfe von Isotopen. (Jean-Louis Teyssié/International Atomic Energy Agency)

Diese Organismen, die entweder eine Schale oder ein Kalkskelett besitzen, sind durch die Versauerung der Ozeane einem erhöhten Risiko ausgesetzt.

1 Eine erwachsene Flügelschnecke (Cavolinia inflexa) aus der Bucht von Villefranche (FR). Dieses im Wasser lebende Weichtier besitzt eine Kalkschale und reagiert sehr empfindlich auf Veränderungen des pH-Werts. (Foto: Samir Alliouane/LOV-CNRS)

2 Junge Flügelschnecke (Cavolinia inflexa) aus dem Mittelmeer. Der grüne Teil entspricht der Schale, die mit dem Fluoreszenzfarbstoff Calcein markiert wurde. (Foto: Steeve Comeau/LOV-CNRS)

3 Limacina helicina, schwimmende Meeresschnecke, lebt in der Arktis, am Königsfjord (Spitzbergen) entnommen. Steeve Comeau/LOV-CNRS Korallenalgen aus dem Mittelmeer bilden unter Wasser eine Flora, die durch die Versauerung der Ozeane besonders stark betroffen ist. (Foto: David Luquet/OOV-CNRS-UPCM)

1. Zum Thema physikalische und biologische Pumpen siehe auch "Das CO2 zwischen Himmel und Meer", research*eu, Sonderausgabe Dezember 2007.


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Quelle:
research*eu Nr. 63, Juli 2010, 10-11
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2010