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MEER/146: Alarm im Riff! (naturmagazin)


naturmagazin
Berlin - Brandenburg
Ausgabe 1/2014

Alarm im Riff!
Korallenriffe gehören zu den am stärksten gefährdeten Lebensräumen

von Tom Kirschey
NABU-Naturschutzstiftung International



Beiträge über Korallenriffe beginnen gern mit "farbenfroh", "faszinierend" oder "artenreich". Dieser hier will es anders angehen: Denn zu groß ist noch die Enttäuschung über den vor wenigen Monaten in Warschau gescheiterten Weltklimagipfel. Die Gemeinschaft der Staaten hatte sich dort noch nicht einmal auf Maßnahmen zum Erreichen des vieldiskutierten 2-Grad-Ziels einigen können, also auf die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf zwei Grad Celsius bis zum Jahrhundertende. Vielleicht sogar zum Glück? Denn auch dieses Ziel würde einem der komplexesten Ökosysteme dieses Planeten nicht mehr helfen können - den Korallenriffen.


Korallenkiller Klimawandel

Wird über den Klimawandel gesprochen, so dominiert in den Industriestaaten bei der Wahrnehmung des Problems die Häufigkeitszunahme extremer Wetterereignisse. Gemeint sind Stürme, Dürren, Starkregenereignisse, Kälte- oder Hitzerekorde. Statistisch ist das längst in Bezug auf die Vergangenheit nachgewiesen, ebenso, dass sich die Atmosphäre im 20. Jahrhundert im Durchschnitt um 1,2 Grad Celsius erwärmt hat und noch einmal um 0,3 Grad seit Beginn dieses Jahrhunderts. Kopfstarke Teams von Wissenschaftlern versuchen sich in der politikgerechten Aufbereitung von Forschungsergebnissen. Um den Entscheidungsträgern ein auch von ihnen verstehbares politisches Handlungsszenario zu liefern, wurde das 2-Grad-Ziel entworfen - ein Schwellenwert, der die Grenze zwischen den nach menschlichem Ermessen beherrschbaren und unbeherrschbaren Zuständen kennzeichnet. Diese Vermittlung hat funktioniert, das 2-Grad-Ziel ist in aller Munde. Da wir Menschen nun einmal Landbewohner sind, bezogen sich die zugrunde gelegten Studien aber vor allem auf die Landmassen der Erde. Es ging um die befürchteten Verwerfungen in der Land- und Forstwirtschaft, den großflächigen Verlust wichtiger Ökosystemfunktionen - vor allem für uns Menschen - und um die Betroffenheit von Küstenräumen durch den Meeresspiegelanstieg. Ob aber auch die tropischen und subtropischen Korallenriffe überleben können, danach wurde bei der Formulierung des 2-Grad-Zieles nicht gefragt.


2-Grad-Ziel reicht für Riffschutz nicht aus!

Die bisherige globale Erwärmung um 1,5 Grad hat sich vorwiegend in den Ozeanen abgespielt - für die Atmosphäre wirken sie wie ein Wärmespeicher. Einen weiteren Temperaturanstieg der Weltmeere um zwei Grad würden aber insbesondere die strukturbildenden Hartkorallen nicht überstehen - sie würden absterben, und zwar nicht punktuell, sondern flächenhaft. Zwar hätte man die Bedrohung der Korallenriffe bei der Formulierung des 2-Grad-Ziels durchaus in einem Satz erwähnen können, doch wer hätte daraus wohl den Ernst der Lage erkannt? Und dennoch muss sich jeder, der im Klimaschutz heute lediglich für das Erreichen des 2-Grad-Ziel eintritt, vorwerfen, den Verlust der Korallenriffe in Kauf zu nehmen.

Korallenriffe leiden mehrfach unter dem Anstieg der Temperaturen. Einerseits führen global erhöhte Durchschnittstemperaturen zu Wärmestress und damit zur Korallenbleiche oder zumindest zu eingeschränktem Wachstum. Auf die Kalkeinlagerung der Hartkorallen wirkt sich aber auch die steigende Kohlendioxid-Konzentration der Ozeane negativ aus. Durch das saurer werdende Milieu wird immer mehr Kalk im Wasser gelöst. Und dadurch steht dieser den Hartkorallen nicht mehr als Aragonit in benötigter Menge zum Aufbau ihrer Skelette zur Verfügung.


"Touristischer Wert" der Karibik-Riffe: 140 Milliarden US-Dollar

Der Klimawandel ist aber nur ein Gefährdungsfaktor von vielen. Die Verschmutzung der Meere, die Überformung der Küsten, die Überfischung und sogenannte "destruktive Fischerei" gehören zu den bedeutenden überregionalen Faktoren, die Korallenriffe bedrohen. Ein Ökosystem, das an ganzjährig annähernd konstante Umweltbedingungen angepasst ist und natürlicherweise Jahrhunderte oder Jahrtausende Zeit zur Regeneration hat, kann sich kaum erholen, wenn ungünstige Bedingungen plötzlich gehäuft eintreten, Korallenriffe existieren bereits seit 225 Millionen Jahren und gehören damit zu den ältesten Ökosystemen unseres Planeten. Die biologische Vielfalt der Ozeane wird zu einem überwiegenden Teil den Korallenriffen zugesprochen, weltweit sind 60.000 Arten aus diesem Ökosystem beschrieben, aber 400.000 Arten werden vermutet. Rufe stabilisieren auch die Küsten, sie sind die Kinderstube vieler Fischarten. Ebenso ist der ökonomische Wert der Rufe enorm. Nach einer Berechnung des US-Außenministeriums wird allein der "touristische Wert" der Rufe in der Karibik mit 140 Milliarden US-Dollar angegeben. In Ägypten übertraf der Wert des Tl und Schnorcheltourismus am Roten Meer bereits zu Zeiten des Mubarak-Regimes die Einnahmen aus dem Tourismus in Kairo und dem zu den Pyramiden. Seit der Revolution deckt der Unterwassertourismus sogar drei Viertel aller touristischen Einnahmen und ist damit der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Wüstenstaates. Zum Vergleich: In den 23 Top-Destinationen des Tauchtourismus macht dieser jeweils über 15 Prozent des Bruttoinlandsproduktes der jeweiligen Staaten aus.


Globale Zustandsanalyse: alarmierendes Ergebnis!

Bereits im Jahr 1998 hat ein Konsortium verschiedener Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen unter Leitung des Weltressourceninstituts WRI in Washington D.C. eine umfassende globale Analyse zum Zustand der Korallenriffe mit einer Karte zum Gefährdungsgrad vorgelegt. Im Jahr 2011 erschien der alarmierende, aber außerhalb der Meeresschutzszene kaum beachtete Folgebericht "Reefs at Risk Revisited", der nun auch erstmals den Klimawandel bei der Gefährdung der Rufe berücksichtigt. Die in diesem Artikel verwendeten Zahlen und Aussagen zum Zustand der Rufe sind dieser Analyse entnommen. Weltweit sind demnach über 60 Prozent der Rufe direkt bedroht, 75 Prozent sind es sogar, wenn man den Wärmestress mit einbezieht. Am stärksten gefährdet sind die Korallenriffe Südost-Asiens, insbesondere Indonesiens und der Philippinen. Dort sind fast 95 Prozent der Riffe langfristig bestandsgefährdet, fast die Hälfte akut. Verglichen mit den Ergebnissen der 1998 vorgelegten Studie hat die Gefährdung der Rufe in der kurzen Zeit um 30 Prozent zugenommen. Etwa 27 Prozent der Korallenriffe liegen heute in Meeresschutzgebieten. Allerdings wird die Hälfte der globalen marinen Schutzgebietsfläche allein vom australischen Great Barrier Reef beansprucht. Australien ausgenommen liegen daher nur noch 16 Prozent der Korallenriffe in Meeresschutzgebieten. Doch auch diese sind hinsichtlich ihrer Effektivität äußerst unterschiedlich zu bewerten, sodass nur etwa sechs Prozent der Rufe funktionierenden Schutz genießen.

Die Bevölkerungszunahme in Küstenregionen verstärkt dabei viele Gefährdungsfaktoren: über Abwässer und Abfälle, die verstärkt aus den Einzugsgebieten ins Meer gelangen oder durch Überfischung. 850 Millionen Menschen in 108 Staaten - das ist ein Achtel der Menschheit - leben schon heute in einem Umkreis von hundert Kilometern zu Korallenriffen. Wie sich die Überfischung der Meere auf die Ozeane auswirkt, ist bislang noch recht wenig erforscht. Die in Küstenregionen häufig gefangenen Papageifische haben beispielsweise eine wichtige Funktion - sie fressen aufsiedelnde Algen, die bei einer Massenentwicklung die Korallen zum Absterben bringen können.

INFO
Korallenbleiche
Hartkorallen bestehen aus Nesseltieren, die in Symbiose mit Zooxanthellen (kalkeinlagernde Einzeller) leben. Die Zooxanthellen verleihen der Koralle ihre jeweilige Farbe. Bei Wärmestress werden Zooxanthellen abgestoßen, die Koralle bleicht aus. Wenn keine Wiederbesiedlung stattfindet, stirbt der gesamte Stock ab. Obwohl das Phänomen schon seit den 1970er Jahren bekannt ist, stellte sich erst mit dem El Niño von 1998 der Zusammenhang zwischen Korallenbleiche und Klimawandel heraus. Bei den Malediven führte er über mehrere Monate zu einer Erhöhung der Wassertemperatur um ein bis drei Grad Celsius. In dieser Zeit waren 98 Prozent der Rufe des betroffenen Bereiches von Korallenbleiche betroffen. Am Great Barrier Reef vor Australien führten zwei große Bleicheereignisse 1998 und 2002 zur Bleiche von 50 bis 60 Prozent der dortigen Korallen, fünf Prozent sind völlig abgestorben.

INFO
Destruktive Fischerei
Eine einheitliche Definition für "destruktive Fischerei" fehlt, wahrscheinlich weil die Übergänge zwischen traditionellen und destruktiv wirkenden Methoden fließend sind. Verstanden werden darunter jene Fischereimethoden, die das Ökosystem irreversibel schädigen. Hierzu zählen unter anderem die Grundschleppnetz- und Langleinenfischerei, die unverhältnismäßig viel "Beifang" erzeugen und Korallen mechanisch zerstören. Besonders in Südostasien ist die traditionelle Muroami-Methode verbreitet - das ist ein Wurfnetz mit beschwerten Kanten, das mit Wucht gegen die Korallen geschleudert wird. Eine besonders perfide Methode ist die Cyanidfischerei. Traditionell wurde auch mit für Säugetiere nichttoxischen Pflanzengiften wie Alpenveilchenwurzel gefischt. Die Cyanidfischerei führt zum Einsatz großer Mengen dieses starken Toxins und zum Absterben der Korallen.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:
  • Seeigel und Korallen leben in enger Symbiose. Die Seeigel weiden aufsiedelnde Algen von den Korallen ab, die Hartkorallenstöcke bieten den Seeigeln, hier die rotstachlige Form des Griffelseeigels, Spalten und Höhlen zum Schutz vor Feinden
  • Der Fischartenreichtum der Ozeane besteht zum größten Teil aus relativ kleinflächig verbreiteten und eng an Korallenriffe gebundenen Arten. Gelbflecken-Igelfisch (oben) und der in den Riffen des Roten Meers endemische Maskenkugelfisch (unten)
  • Der Indische Rotfeuerfisch ist ein typischer Riffbewohner des Indischen Ozeans, kommt inzwischen aber auch invasiv in der Karibik vor. Die nachtaktive Art benötigt die reich strukturierten Korallenriffe als Tageseinstand
  • Riffe außerhalb von Meeresschutzgebieten: 73%
  • Riffe in Meeresschutzgebieten mit partieller Schutzeffektivität: 13%
  • Riffe in Meeresschutzgebieten mit hoher Schutzeffektivität: 6%
  • Riffe in Meeresschutzgebieten ohne Schutzeffektivität: 4%
  • Riffe in Meeresschutzgebieten mit unbekannter Schutzeffektivität: 4%

Tortendiagramm
Quelle: WRI (Hrsg.) "Reefs at Risk Revisited"

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Quelle:
naturmagazin, 28. Jahrgang - Nr. 1, Februar bis April 2014, S. 30-33
Herausgeber: Naturschutzzentrum Ökowerk Berlin
Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V., Landesverband Brandenburg
Natur & Text GmbH
Redaktion: Natur & Text GmbH
Friedensallee 21, 13834 Rangsdorf
Tel.: 033708/20431, Fax: 033708/20433
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2014