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RESSOURCEN/048: Ein Rohstoffrausch in der Arktis? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014
Wer die Netze hat, hat die Macht? Infrastrukturen und Nachhaltigkeit

Ein Rohstoffrausch in der Arktis?
Geopolitik, Klimawandel und ein neuer unabhängiger Staat

Von Lukas Rüttinger und Stephan Wolters



Der Klimawandel lässt auch die Arktis nicht kalt. Für die Arktis wird ein besonders hoher Temperaturanstieg prognostiziert und die Folgen sind besonders drastisch: Das Eis und der Permafrost schmelzen rapide. Bis 2030 könnte die Arktis einigen Schätzungen zufolge das ganze Jahr über eisfrei sein. Das bedroht direkt die dortige Tierwelt und die Lebensweise der Inuiten. Doch die Folgen sind weitreichender: Das Abschmelzen des Eises hebt den Meeresspiegel und gefährdet damit niedrig gelegene Küstenstriche rund um den Globus. Das Verschwinden der Eisschicht, die das Sonnenlicht und damit auch Wärme reflektiert, könnte die Erderwärmung zusätzlich beschleunigen. Und eine weitere Gefährdung der Arktis zeichnet sich ab: Der Abbau von Rohstoffen.


Während Olivenöl und Wein wohl auch zukünftig kaum in der Arktis angebaut werden können, ist jetzt klar, dass dort ironischerweise ein anderes Öl in großem Umfang lagert: Erdöl - das schwarze Gold. Unter dem Eis schlummern große Mengen an Rohstoffen, die mit schmelzender Eisschicht besser gefördert werden könnten: Laut Schätzung der US Geological Survey 30 % der unentdeckten weltweiten Gasreserven und 13 % der Erdölreserven. Aber auch nicht-energetische Mineralien lagern dort in erheblichem Umfang.

Ein neuer Rohstoffrausch in der Arktis?

Trotz Bemühungen um ein internationales Klimaschutzabkommen und eine Entkopplung des Ressourcenverbrauchs vom Wirtschaftswachstum steigt der Verbrauch energetischer und nicht-energetischer Rohstoffe weiter an, getrieben durch starke Zuwächse in Schwellenländern wie China oder Indien. Dazu kommt: Viele der heutigen Rohstoffexportländer sind als Lieferanten riskant. Die gegenwärtige Krise in der Ukraine und das völkerrechtswidrige Einschreiten Russlands rufen das eindrücklich in Erinnerung. Wieder wird in der EU diskutiert, wie man energieunabhängiger werden kann, um weniger erpressbar zu sein.

Das Interesse an der Arktis ist damit neu erwacht. Die fünf direkten Anrainerstaaten der Arktis - die USA, Kanada, Dänemark (über Grönland), Norwegen und Russland stecken ihre Ansprüche auf die Rohstoffe ab. Aufsehen erregte 2007 Russlands symbolisches Hissen der Nationalflagge auf dem Meeresgrund am Nordpol. Mit der VN-Seerechtskonvention (UNCLOS) liegt ein zwar detailliertes Regelwerk vor, Abbaurechte an den Bodenschätzen bestehen aber innerhalb der 200-Seemeilen-Zone sowie unter bestimmten Umständen bis zu 350 Seemeilen von der Küste entfernt, was dazu führt, dass sich Ansprüche zum Teil überschneiden. Jedes Land beruft sich darauf, gemäß Völkergewohnheitsrecht vergleichbare Ansprüche stellen zu können. Immerhin erklärten die fünf Anrainerstaaten 2008 im grönländischen Ilulissat, diese Ansprüche untereinander und in Übereinstimmung mit UNCLOS zu klären. Umweltverschmutzungsrisiken werden von UNCLOS allerdings nicht erfasst.

Grönland: Rohstoffe und Unabhängigkeit

Insbesondere für das erst seit 2008 von Dänemark unabhängige Grönland sind diese Entwicklungen von großer Bedeutung. Nur noch die Außen- und Verteidigungspolitik liegen im Hoheitsbereich Dänemarks, weshalb Grönland in den Verhandlungen rund um die Arktis auch durch Dänemark vertreten wird. Trotzdem blieb Grönland auch finanziell und wirtschaftlich von Dänemark abhängig: 57 % der staatlichen Gesamteinnahmen Grönlands kommen immer noch direkt von Dänemark. Die meisten der 56.000 Grönländer sind im öffentlichen Sektor beschäftigt oder leben vom Fisch- und Krabbenexport, der 89 % aller Exporte ausmacht. Die Fischbestände vor Grönlands Küsten nehmen jedoch aufgrund des Klimawandels, Überfischung und schwankender Fischpopulationen ab. Gleichzeitig bedeutet das zunehmende Abschmelzen der Eiskappen, dass immer weitläufigere Gebiete für den Rohstoffabbau zugänglich werden. Aus diesen Gründen und zur Überwindung der finanziellen Abhängigkeit von Dänemark, bemüht sich Grönland um den Ausbau seines Rohstoffsektors.

Grönland ist wie der Rest der Arktis reich an Rohstoffen. Es hat große Vorkommen von Öl, Gas, Gold, Niob, Platingruppenmetallen, Tantal, Fluor und Zink sowie Seltenen Erden, die vor allem in High-Tech-Produkten Anwendung finden. Bis jetzt spielt der Rohstoffsektor jedoch eine eher untergeordnete Rolle. Nur 7,4 % der Exporte kamen 2010 aus diesem Sektor. Das soll sich aber nach den Plänen der Regierung ändern, die eine sehr investorenfreundliche Politik betreibt und bis 2020 mit Investition von ca. 8,4 Milliarden Euro im Energiesektor und 1,2 Milliarden Euro im Bergbausektor rechnet. Dabei kann sie auf die Unterstützung durch Dänemark und die Europäische Union (EU) hoffen, die beide Grönland als strategischen Partner zur Erhöhung der eigenen Versorgungssicherheit sehen. Bereits 2012 unterzeichnete die EU eine Absichtserklärung zur Zusammenarbeit bei der Rohstoffförderung mit der grönländischen Regierung.

Uran und Seltene Erden

Welche Umwelt- und Sozialauswirkungen ein massiver Ausbau des Rohstoffsektors haben wird, ist schwer absehbar. Ein Blick auf die in Planung befindlichen Bergbauprojekte kann jedoch einen Eindruck über die großen Herausforderungen, die mit dem Rohstoffabbau in Grönland und der Arktis verbunden sind, liefern. So zum Beispiel die Multi-Element-Lagerstätte Kvanefjeld. Diese Lagerstätte ist eines der größten bekannten Seltene-Erden-Vorkommen der Welt und könnte den Weltbedarf nach diesen Materialien bei gleichbleibendem Konsum für 150 Jahre decken. Gleichzeitig enthält die Lagerstätte zusätzlich einen sehr hohen Anteil an Uran. Nach der unter Protesten der Zivilgesellschaft 2013 durchgeführten Abschaffung der "Null-Toleranz-Politik" gegenüber dem Uranabbau sind nun die Voraussetzung für die Ausbeutung von Kvanefjelds geschaffen.

Umweltwirkungen des Bergbaus in der Arktis

Die Arktis ist ein sehr fragiles Ökosystem. Dies bedeutet, dass es gegenüber äußeren Einflüssen eine sehr niedrige Toleranzschwelle besitzt. Wie bei vielen anderen Bergbauprojekten auf der Welt ist es sehr schwierig, Informationen und Studien über die genauen Umwelt- und Sozialauswirkungen des Kvanjefeld-Projekts zu erhalten. So sind die von der australischen Firma Greenland Minerals and Energy Limited (GMEL) durchgeführten Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfungen für das Kvanjefeld-Projekt nicht öffentlich zugänglich. Auf Basis der öffentlich zugänglichen Literatur lassen sich jedoch eine Reihe potenzieller Umweltwirkungen und Risiken identifizieren, die mit dem Abbau von Seltenen Erden und Uran verbunden wären.

Insbesondere die beim Abbau entstehenden Bergbauabfälle und die Raffinationsrückstände der Aufbereitung stellen eine Gefahr für die Umwelt und Menschen dar und könnten bei Austritt im schlimmsten Fall zu einer großflächigen Verschmutzung des gesamten Flusssystems der Region - bis ins Meer - führen und Fluor, Schwermetalle sowie radioaktive Substanzen freisetzen. Umweltorganisationen warnen davor, dass GMEL nicht in der Lage sein wird, die zu erwartenden Umweltschäden angemessen ausgleichen zu können. Als Warnung und Beispiel für die möglichen Umweltauswirkungen sowie die besondere Fragilität der arktischen Ökosysteme können die Auswirkungen ehemaliger Bergbauaktivitäten in Grönland dienen, bei welchen es unter anderem zur Belastung des Meerwassers mit Schwermetallen kam.

Auswirkungen für die Menschen

Das Risiko der Wasserverschmutzung und dessen Auswirkung auf Trinkwasser und Fischbestände ist auch eine der Hauptbefürchtungen der lokalen Bevölkerung, die in der Nähe des Kvanjefeld lebt. Insbesondere die Auswirkungen für die indigene Bevölkerung Grönlands, die 90 % der Bevölkerung ausmacht, sind schwer abzuschätzen. Neben den gesundheitlichen Gefahren sowie den potentiellen, negativen Umweltwirkungen, die erheblichen Einfluss auf die Fischerei und damit Lebensgrundlage vieler Menschen haben könnten, kommen mit dem Bergbau auch andere Veränderungen. So ist es oft der Fall, dass internationale Bergbauunternehmen primär auf billigere oder besser ausgebildete ausländische Arbeitskräfte zurückgreifen. Ein solcher Zuzug von Migranten kann nicht nur zu Spannungen führen, wenn sich die lokale Bevölkerung benachteiligt fühlt, sondern führt oft auch zu einer grundlegenden Veränderung des Lebensstils und dem graduellen Verschwinden traditioneller Lebensweisen.

Hohe Kosten und Risiken bremsen den Rohstoffabbau

Wie schnell diese Entwicklungen voranschreiten werden, ist ungewiss. Die Bedingungen für gewinnbringenden Rohstoffabbau in großem Stil sind oft noch zu unwirtlich und riskant; die Investitionen zu kostspielig. Auch deshalb sucht GMEL immer noch nach Investoren, um die Explorationsphase abzuschließen und mit dem Abbau und der Aufbereitung zu beginnen. Derzeitige Aktivitäten konzentrieren sich vornehmlich auf die weitere Erforschung des Potenzials. Ebenso ist es möglich, dass die Rohstoffreserven noch lange unattraktiv bleiben, da anderswo günstigere Reserven erschlossen werden, wie momentan durch Fracking in den USA, oder auf Grund der umfassenden Umstellung des Energiesystems auf erneuerbare Energieträger.


Lukas Rüttinger ist Seniorprojektmanager und Themenverantwortlicher für Mineralien und Bergbau bei adelphi.
Stephan Wolters ist Projektmanager bei adelphi und Redakteur der Environment Conflict and Cooperation Platform
(www.ecc-platform.org).


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2014, Seite 15-16
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2014