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RESSOURCEN/049: Argentinien - Fracking gefährdet Umwelt und Landwirtschaft (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2014

Argentinien: Fracking im 'Saudi-Arabien Patagoniens' - Umwelt und Landwirtschaft gefährdet

von Fabiana Frayssinet


Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Extraktion unkonventioneller fossiler Brennstoffe in Loma Campana
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Añelo, Argentinien, 10. Oktober (IPS) - Unkonventionelle Erdöl- und -gasvorkommen in Vaca Muerta im Südwesten Argentiniens verheißen dem Land Energieautarkie und Entwicklung. Das so genannte 'hydraulische Fracking', mit dem die Ressourcen aus dem Gestein gewonnen werden, hat jedoch einen hohen Preis.

In etwa 100 Kilometer Entfernung von Neuquén, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz, verändert sich die Landschaft. In dem Gebiet, das von einigen bereits "das Saudi-Arabien Patagoniens" genannt wird, blühen im Frühling auf der Südhalbkugel die Obstbäume. Weingüter erstrecken sich bis zum Horizont.

Doch die Pappeln entlang der Straßen, auf denen ständig Lastwagen mit Ladungen von Wasser, Sand, Chemikalien und Metallteilen unterwegs sind, werden nach und nach durch Erdölbohrtürme und Pumpstationen ersetzt. Mit den Bäumen gehen auch die natürlichen Windbarrieren zum Schutz der Felder verloren.

"Jetzt gibt es hier Geld und Arbeit, uns geht es besser", sagt der LKW-Fahrer Jorge Maldonado. Jeden Tag befördert er Bohrstangen zu der Öllagerstätte Loma Campana, die in nur drei Jahren zum zweitgrößten Förderfeld des lateinamerikanischen Landes aufgerückt ist.


Förderung auf rund 12.000 Quadratkilometern

Loma Campana liegt in Vaca Muerta, einer geologischen Formation im Neuquén-Becken, das sich über die Provinzen Neuquén, Río Negro und Mendoza erstreckt. Das staatliche Erdölunternehmen YPF hat sich die Konzession für 12.000 des insgesamt 30.000 Quadratkilometer großen Gebietes gesichert. Auf rund 300 Quadratkilometern dieser Fläche arbeitet YPF mit dem US-Ölkonzern 'Chevron' zusammen.

Vaca Muerta verfügt über Schieferöl- und -gasvorkommen, die zu den größten der Welt zählen und in einer Tiefe von bis zu 3.000 Metern lagern. Etwa alle drei Tage werden hier neue Bohrungen vorgenommen. Die Nachfrage nach Arbeitskräften, Ausrüstung, Transportmitteln und anderen Dienstleistungen steigt rasch.

Nach Angaben von YPF haben sich durch die Funde in Vaca Muerta die argentinischen Erdölreserven verzehnfacht und die Gasvorkommen vervierzigfacht. Argentinien kann damit zum Nettoexporteur fossiler Brennstoffe aufsteigen.

Problematisch ist jedoch die Fördermethode: das hydraulische Fracking. YPF spricht lieber von "hydraulischer Stimulation". Nach Angaben des Unternehmens wird mit hohem Druck eine Mischung aus Wasser, Sand und einer "geringen Menge an Zusatzstoffen" mehr als 2.000 Meter tief ins Muttergestein gepresst. Dadurch wird das darin enthaltene Öl und Gas freigesetzt und anschließend durch Rohre zur Erdoberfläche hochgeleitet.

Wie der Ingenieur Victor Bravo in einer Studie der Patagonien-Stiftung 'Drittes Jahrtausend Foundation' erläutert, werden in jedem Brunnen 15 Bohrungen vorgenommen. Dabei kämen jeweils 20.000 Kubikmeter Wasser und etwa 400 Tonnen gelöster Chemikalien zum Einsatz. Die genaue Zusammensetzung des Gemisches ist geheim. Schätzungen zufolge sollen darin aber "etwa 500 chemische Substanzen" enthalten sein, von denen 17 für Wasserorganismen Gift seien. Laut Bravo haben 38 Substanzen eine akute giftige Wirkung, und acht sind nachweislich krebserregend. Ein nahe gelegener Aquifer laufe Gefahr, verseucht zu werden.

Der Provinzabgeordnete Raúl Dobrusin von der oppositionellen Volksunion warnt davor, dass die Folgen der Verschmutzung zwar nicht unmittelbar, wohl aber nach 15 bis 20 Jahren spürbar würden.

Pablo Bizzotto, Regionalmanager von YPF in Neuquén, beeilte sich, diese Befürchtungen zu zerstreuen, indem er erklärte, dass das Muttergestein in 2.000 Metern Tiefe liege, während das Grundwasser 200 bis 300 Meter unter der Oberfläche zu finden sei. Das verschmutzte Wasser müsste Tausende Meter aufsteigen, doch dies sei gar nicht möglich, sagte Bizzotto.

Ein Teil des von Öl und Gas getrennten Rückflusswassers werde zudem bei späteren Fracking-Operationen wiederverwendet, während der Rest in mit Zement- und Stahlschichten isolierte Brunnen geleitet werde. Demnach drohe Aquiferen keine Gefahr. Dobrusin fragt sich allerdings, was passieren wird, wenn diese Brunnen voll sind.


Provinzregierung hofft auf Investoren

"Uns geht es darum, Investitionen anzuziehen, Arbeitsplätze zu schaffen und dabei gleichzeitig die Umwelt zu schützen", sagt der Leiter der Umweltbehörde von Neuquén, Ricardo Esquivel. Befürchtungen, wonach beim Fracking so viel Wasser benötigt werde, dass der Pegel der Flüsse in dem Gebiet sinken werde, verweist er ins Reich der Fabel. In Neuquén würden fünf Prozent des Flusswassers zur Bewässerung, von Privathaushalten und in der Industrie verbraucht, erklärt er. Das übrige Wasser fließe ins Meer. Selbst wenn jedes Jahr 500 Ölbohrungen vorgenommen würden, wäre der Wasserverbrauch nur ein Prozent höher.

Die Umweltaktivistin Carolina García von der Gruppe 'Multisectorial contra el Fracking' warnt jedoch vor den Folgen der Wasserverschmutzung und der Eingriffe in den hydrologischen Kreislauf. "Das Problem wird heruntergespielt, obwohl es eigentlich eingehend untersucht werden müsste", meint sie.


Obsternten rückläufig

In der 25.000-Einwohner-Stadt Allen in der benachbarten Provinz Río Negro sind die Folgen der Förderung einer anderen Form von unkonventionellem Gas, dem Tight-Gas, bereits deutlich spürbar. In dem Obstanbaugebiet, 20 Kilometer von der Provinzhauptstadt entfernt, geht die Ernte aufgrund der zunehmenden Bohrungen zurück. Dort ist das in den USA ansässige Unternehmen 'Apache' am Werk.

Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Noch blühen Birnbäume in der argentinischen Provinz Río Negro
Bild: © Fabiana Frayssinet/IPS

Wie die 'Ständige Versammlung für Wasser von Comahue' (APCA) kritisiert, pachtet Apache Landgüter, um dort Bohrungen auszuführen. "Man kann unschwer erkennen, dass sich die Bohrlöcher an Stellen befinden, an denen bis vor ein paar Jahren noch Obstbäume standen", sagt Gabriela Sepúlveda von APCA Allen-Neuquén.

Bei einer Explosion in einem Bohrloch gerieten im vergangenen März umliegende Häuser ins Wanken. "Das war nicht das erste Mal. Die Anwohner haben auch noch andere Probleme", berichtet Rubén Ibáñez, der in der Nähe des Bohrlochs ein Gewächshaus hat. "Seit gebohrt wird, leiden die Menschen hier unter Schwindel, Halsentzündungen, Magenschmerzen, Atemnot und Übelkeit."

Wie Ibáñez erklärt, nimmt jede Bohrung einen Monat in Anspruch. Dann werden die Gase unter freiem Himmel abgefackelt. "Das Wasser würde ich nicht einmal dann trinken, wenn ich vor Durst halbtot wäre. Nachdem ich einmal meine Treibhauspflanzen damit gegossen hatte, gingen sie ein."

Die Provinzregierung versichert, dass die Gas- und Ölförderung ständig kontrolliert wird. "Bei der Untersuchung von 300 Bohrlöchern konnten wir keine Beeinträchtigung der Umwelt feststellen", sagt Esquivel. Als erster Ort, an dem in Argentinien fossile Brennstoffe gefördert würden, sollte Loma Campana auch in ökologischer Hinsicht als Vorbild dienen. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnoticias.net/2014/10/la-fractura-hidraulica-agrieta-desarrollo-energetico-argentino/
http://www.ipsnews.net/2014/10/fracking-fractures-argentinas-energy-development/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 10. Oktober 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2014