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SOZIALES/041: Brasilien - Vielen Opfern des Itaparica-Damms geht es inzwischen gut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2014

Brasilien: Entwicklung nach der Zerstörung - Vielen Opfern des Itaparica-Damms geht es inzwischen gut

von Mario Osava


Bild: © Mario Osava/IPS

Ein Bauer aus der neuen Siedlung Gloria im brasilianischen Bezirk Bahia ist stolz auf seine letzte Melonenernte
Bild: © Mario Osava/IPS

Petrolandia, Brasilien, 14. Januar (IPS) - Valdenor de Melo wartet seit 27 Jahren auf neues Land und eine finanzielle Entschädigung. Diese Leistungen stehen ihm zu, seitdem sein Hab und Gut in den Fluten des Itaparica-Staudamms im semiariden Nordosten Brasiliens ungegangen sind. "Sie werden schon noch kommen", sagt der 60-Jährige zuversichtlich.

Auch wenn der Bauer möglicherweise erst im Rentenalter in den Genuss von Land und Geldern kommt, die Vorfreude darauf lässt er sich nicht verderben. Schließlich besitzt er ein solides Steinhaus, das er mit einigen Angehörigen bewohnt.

Die Melos gehören zu den 10.500 Familien, die dem Itaparica-Stausee weichen mussten, der seit 1988 Energie generiert und über eine Stromproduktionskapazität von 1.480 Megawatt verfügt.

Wie der US-amerikanische Anthropologe Russell Parry Scott in seinem Buch 'Negociações e resistências persistentes' (Verhandlungen und fortgesetzter Widerstand') berichtet, wurden in Wirklichkeit doppelt so viele Familien umgesiedelt. Seine Ergebnisse beruhen auf Zahlen der Föderalen Universität von Pernambuco, wo Scott Professor ist.

Melos Hoffnung gründet auf dem Verfahren, das mit dem Bau des Damms und des 828 Quadratkilometer großen Stausees begann, dem vier Städte und Agrarland am Ufer des São Francisco sowie ein 150 Quadratkilometer großer Uferstreifen in einem Gebiet zwischen den Bundesstaaten Bahía und Pernambuco geopfert wurden.

Doch anders als andere brasilianische Wasserkraftwerke löste der Itaparica-Staudamm eine organisierte und äußerst erfolgreiche Bewegung der von der Umsiedlung betroffenen Bauern aus. Ihre Gewerkschaften in 13 benachbarten Gemeindebezirken verschmolzen zum Gewerkschaftlichen Pol der Landarbeiter des zentralen und unteren Teils des São Francisco, der gleich zu Beginn der Staudamm-Bauarbeiten 1979 mit der Durchführung von Protestaktionen begann.


Effiziente Protestbewegung

An den Demonstrationen beteiligten sich bis zu 5.000 Bauern. Sie blockierten Straßen, besetzten die für den Untergang bestimmten Städte, die Büros der Baufirma und das Staudammgelände. Ihre verschiedenen Aktionen dauerten bisweilen Tage, was sie zu Zielscheiben heftiger Polizeieinsätze machte.

Nach siebenjährigen Kämpfen gab das staatliche Wasserkraftunternehmen des São Francisco, das mit 15 Kraftwerken den Nordosten der Region mit Strom versorgt, schließlich klein bei und unterzeichnete das 'Abkommen von 1986'. Darin verpflichtete sich der Staatsbetrieb zur Wiederansiedlung der Bauernfamilien, zur Zahlung von Entschädigungen für den Verlust von Haus und Hof und zu der Zahlung eines monatlichen Übergangsgeldes bis zur ersten Ernte auf dem neuen Land.

In der Übereinkunft wurde festgeschrieben, dass jede einzelne von insgesamt 6.187 Bauernfamilien Anspruch auf ein neues Haus und eine bis zu sechs Hektar große, bewässerte Parzelle hat, wobei die Größe der Agrarfläche von der Zahl der Mitglieder abhing, die das Land bebauen konnten. Zudem wurde den Haushalten jeweils ein größeres Trockengebiet in Aussicht gestellt.

Der Gewerkschaftliche Pol war an der Ausarbeitung des Wiederansiedlungsplans beteiligt. Sobald es bei der Umsetzung des Programms hakte, machte er Druck. Das Ende der Militärdiktatur (1964-1985) und die Rückkehr zur Demokratie hatten zu einer Stärkung der sozialen Bewegungen geführt, von der auch der Gewerkschaftliche Pol profitierte.

Die Entschlossenheit der Bauern wurde nicht zuletzt aus der Sorge gespeist, dass sich in Brasilien die gewalttätigen Zusammenstöße des vorangegangenen Jahrzehnts wiederholen könnten. Damals waren tausende Bürger von ihren Ländereien und aus Städten vertrieben und mit winzigen Beträgen abgefunden worden, um anderen Wasserkraftwerken ebenfalls am São Francisco Platz zu machen.

Diejenigen, die sich auf das Wiederansiedlungsabkommen einließen, laut Scott 85 Prozent aller Vertriebenen, sollten zu jeweils 50 Familien in 126 neuen Agrarstädten und in versprengten Bauerndörfern eine neue Heimat finden. "Es gelang uns, einen Teil der Familien wiederanzusiedeln. Viele zogen weg. Sie glaubten nicht an unsere Bewegung und ließen sich abfinden. Sie wanderten in die Städte ab, um sich dort in das Heer der städtischen Armen einzureihen", bedauert der Generalkoordinator des Gewerkschaftlichen Pols, Adimilson Nunis.


Verzögerungen

Die Siedlungen wurden mit den notwendigen Infrastrukturen wie Schulen, Verwaltungsgebäuden, Energie- und Wasserversorgern ausgestattet. Auch wurden sie im Umfeld von zwölf Gebieten gebaut, die bewässert werden sollten. Doch in einigen Fällen mussten die Familien jahrelang auf ihre Bewässerungsanlagen warten, was die wasserintensive Agrarproduktion verzögerte.

Die Melo-Familie hatte das Pech, im Proyecto Jusanto im Bezirk Gloria angesiedelt zu werden, einer von drei Siedlungen, die sich bis heute im Bau befinden. Die meisten Bewohner haben inzwischen aufgegeben und sind weggezogen. "In der Agrarsiedlung 5 ist nur eine Familie geblieben, in Siedlung 9 warten drei Familien bis heute auf die Bewässerungsanlagen", berichtet Melos Tochter María de Fátima. Sie würde gern in die Fußstapfen ihres Vaters treten und das Land bewirtschaften. Vorerst jedoch hat sie sich zur Krankenschwester ausbilden lassen.

Von den seit den 1990er Jahren funktionierenden neun Siedlungsprojekten profitieren 4.910 Familien. Sie sind in den Genuss höherer Einkünfte und eines technischen Fortschritts gekommen, wie das Staatsunternehmen CODEVASE berichtet, dass für die Entwicklung der Flussgebiete des São Francisco und Parnaíba zuständig ist.

Gloria hat sich seit der Ankunft der Bewässerungsanlagen 1993 zu einem vielversprechenden Melonenanbaugebiet entwickelt. "Eine Bewässerung, die auf wassersparenden Technologien beruht, ist für den semiariden Nordosten Brasiliens die Lösung der Probleme", meint der Farmer Dorgival Araujo Melo, der selbst auf Tröpfchenbewässerung schwört.

"Das Leben hat sich mit den neuen Häusern, der nahe gelegenen Schule und der Möglichkeit, die Agrarflächen zu bewässern, erheblich verbessert", meint Ana de Souza Xavier. Sie stört lediglich, dass die Häuser sehr nah aneinander gebaut wurden. Und sie vermisst einen großen Hof, in dem sie Ziegen und Hühner züchten könnte. Zusammen mit ihrem Mann Oswaldo Yavier lebt sie in einem Agrardorf in der Nähe von Petrolandia, einer weiteren, im Zuge des Stausees entstandenen künstlichen Stadt.

Mit drei Hektar bewässertem und 22 Hektar Trockenland hat es das Paar zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht. Die gemeinsamen drei Kinder haben eine höhere Schulbildung genossen.

Das Experiment in Itaparica, wo fast 20.000 Hektar Land von Bauernfamilien kultiviert werden, hat sich als eine alternative Form der landwirtschaftlichen Entwicklung bewährt. Doch ist es unwahrscheinlich, dass das Modell in anderen Regionen, in denen große Staudämme entstehen oder entstanden sind, Schule machen wird. Die Kosten für das Umsiedlungsprogramm waren um das Vierfache höher als jedes andere, von der Regierung jemals finanzierte Bewässerungsprojekt. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.ufpe.br/fagesufpe/images/documentos/Livros_Fages/livro%20negociacoes%20e%20resistencias.pdf
http://polosindicalsubmediosaofrancisco.blogspot.com.br/
http://www.ipsnews.net/2014/01/development-follows-devastation-brazilian-dam/
http://www.ipsnoticias.net/2014/01/devastacion-de-un-embalse-muta-desarrollo-en-brasil/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 14. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Januar 2014