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SOZIALES/052: Nicaragua - Indigene Mayagna und ihre Wälder vom Aussterben bedroht (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2014

Nicaragua: UN-Biosphärenreservat und indigene Mayagna vom Aussterben bedroht

von José Adán Silva


Bild: © José Garth Medina/IPS

Soldaten beschlagnahmen eine illegale Holzlieferung im Bosawas-Biosphärenreservat
Bild: © José Garth Medina/IPS

Managua, 23. Juni (IPS) - Mehr als 30.000 Mitglieder der indigenen Gemeinschaft der Mayagna in Nicaragua sind wie ihre Wälder, die sie seit Jahrhunderten bewohnen, vom Aussterben bedroht, sollte die Zerstörung des Bosawas-Biosphärenreservates ungehindert weitergehen. Das UNESCO-Reservat ist das größte zusammenhängende Waldgebiet Zentralamerikas und das drittgrößte der Welt.

Arisio Genaro, Präsident des Mayagna-Volkes, legte Anfang Mai eine Strecke von mehr als 300 Kilometer zurück, um in der Hauptstadt Managua gegen die Vernichtung des Regenwaldes durch wilde Siedler aus den Küstengebieten am Pazifik und den zentralen Regionen des zentralamerikanischen Landes zu protestieren. Anfang Juni kehrte Genaro in die Hauptstadt zurück, um Studenten für die Problematik zu sensibilisieren.

Den Siedlern wird vorgeworfen, immer tiefer in das insgesamt rund 21.000 Quadratkilometer große Naturschutzgebiet vorzudringen, um dort Land- und Viehwirtschaft zu betreiben. 1987 hatte das Herzstück des heutigen Biosphärengebietes mit seinen knapp 7.000 indigenen Bewohnern aus mehr als 1,1 Millionen Hektar Regenwald bestanden. 1997 erklärte die Weltkulturorganisation UNESCO das auf mehr als zwei Millionen Hektar vergrößerte tropische Regenwaldgebiet zum Welterbe und Biosphärenreservat.


Menschen verdrängen die Natur

Genaro zufolge lebten 2010 25.000 Indigene im Biosphärenreservat, das bis dahin auf etwa 832.000 Hektar geschrumpft war. Die Zahl der nicht-indigenen Siedler innerhalb der Grenzen des Gebietes stieg zwischen 1990 und 2013 von schätzungsweise 5.000 auf über 40.000 an. "Sie brennen alles nieder, um Landwirtschaft zu betreiben. Sie holzen die Wälder ab, um ihr Vieh zu weiden und verkaufen das Holz der Urwaldriesen. Sie jagen die Wildtiere und legen Flussbetten trocken, um Straßen zu bauen", sagt Genaro.

Antonia Gámez, weiblicher Häuptling der Mayagna, besuchte ebenfalls mehrere Städte an der Pazifikküste, um über die bedrohliche Lage ihres Volkes zu informieren. "Unsere Familien lebten früher von dem, was uns die Natur bereitstellte. Der Wald ist unsere Heimat, er bietet uns Nahrung, Wasser und Schutz", erklärt die 66-Jährige. "Die Jüngeren von uns suchen jetzt Arbeit auf den neuen Farmen, die sich dort befinden, wo früher Wald war. Doch die Älteren wissen nicht, wo sie hingehen sollen, weil alles verschwindet."

Wie Gámez erzählt, bauten die Mayagna im Wald traditionell Getreide und Obst an und jagten Tiere mit Pfeil und Bogen für den eigenen Verzehr. Früher seien reichlich Fische und Schalentiere in den lokalen Flüssen vorhanden und der Wald sei voller Wildschweine, Tapire und Hirsche gewesen. "Jetzt sind alle Tiere weg. Mit jedem Gewehrschuss werden sie tiefer in den Wald getrieben, wenn sie nicht gleich sterben. Es gibt kaum noch Tiere, die man jagen kann." In einem Teil des Reservats leben indigene Miskito. Sie stellen die größte Ethnie in Nicaragua, wo Indigene ein Recht auf kollektiven Landbesitz und dessen Nutzung haben.

Wissenschaftler bestätigen die Befürchtungen der Ureinwohner. Studien der 'Bluefields Indian and Caribbean University' kommen zu dem Schluss, das sowohl die Mayagna als auch die heimische Flora und Fauna im Bosawas-Reservat binnen von zwei Jahrzehnten verschwunden sein könnten, wenn ein weiteres Eindringen externer Sieder und die Vernichtung des Waldes nicht eingedämmt werden.

Die Zerstörung der Wälder würde auch bedeuten, dass ein Habitat verschwindet, in dem sich zehn Prozent der weltweiten Artenvielfalt konzentrieren, wie die Wissenschaftlerin der Hochschule, Esther Melba McLean, berichtet. In dem Gebiet sind endemische Arten wie der 'Nototriton Saslaya'-Salamander und der Haubenadler zu finden, die vom Aussterben bedroht sind. Unzählige Spezies könnten untergehen, ohne erfasst zu sein.

Auch der Umweltaktivist Jaime Incer, der das Büro des nicaraguanischen Staatspräsidenten berät, warnt, dass "der Urwald in weniger als 25 Jahren vollständig verschwunden sein wird", wenn die Zerstörung der indigenen Territorien fortschreitet. Laut einer 2012 von der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem nicaraguanischen Agrarproduzentenverband UNAG, der Europäischen Union und der Hilfsorganisation 'Oxfam' veröffentlichten Studie wird der Wald im Bosawas-Reservat in 24 Jahren und die Pufferzone rund um das Naturschutzgebiet in 13 Jahren verloren sein, wenn der Wald in der bisherigen Geschwindigkeit vernichtet wird.

Nach den Protestaktionen der Ureinwohner, die von Umweltschützern unterstützt werden, hat die Regierung von Staatschef Daniel Ortega damit begonnen, Maßnahmen gegen die Zerstörung des Waldes umzusetzen. Doch sind sie Incer zufolge nicht ausreichend.


Einsatz von Soldaten

Ortega ließ ein Militärbataillon aus mehr als 700 Soldaten zusammenstellen, das über die Wälder und weiteren natürlichen Ressourcen des Landes wachen soll. Die Koordination obliegt einem Ausschuss aus Behördenvertretern unter Leitung von Alberto Mercado, der am 10. Juni an der Universität von Zentralamerika in Managua erklärte, dass die Regierung fest entschlossen sei, die Zerstörung des Biosphärenreservats aufzuhalten. Dutzende nicht-indigene Familien seien aus dem Reservat fortgebracht worden.

Darüber hinaus habe man Juristen, die an illegalen Landverkaufstransaktionen im Bosawas-Biosphärenreservat beteiligt gewesen seien, vor Gericht gestellt und ihnen ihre Zulassung entzogen, berichtete Mercado. Außerdem gingen die Behörden gegen den Schmuggel von lokalen Tier- und Pflanzenarten vor. Es sei jedoch schwer, dem Problem Einhalt zu gebieten. Immer wieder drängten Siedler in indigene Gebiete vor, umzäunten Parzellen und erklärten sie zu ihrem Eigentum. Dadurch seien die Weichen für den illegalen Wildlife-Handel gestellt.

Die Proteste der indigenen Gemeinschaft haben inzwischen auch internationale Organisationen erreicht. Das unabhängige Nicaraguanische Menschenrechtszentrum hat die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angerufen. Vilma Núñez, Direktorin des Menschenrechtszentrums, thematisierte die Existenznöte der Mayagna und die Zerstörung des Biosphärenreservats während der 44. OAS-Vollversammlung vom 3. bis 5. Juni in der paraguayischen Hauptstadt Asunción. (Ende/IPS/ck/2014)


Links:

http://www.ipsnews.net/2014/06/nicaraguas-mayagna-people-and-their-rainforest-could-vanish/
http://www.ipsnoticias.net/2014/06/el-pueblo-mayagna-y-su-bosque-podrian-desaparecer-en-nicaragua/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 23. Juni 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2014