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SOZIALES/082: Gut und ursprünglich leben - Indigene als Vorbilder (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Mai 2015

Umwelt: Gut und ursprünglich leben - Indigene als Vorbilder

von Stephen Leahy


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

Ein Jäger vom Volk der Waorani, das im ostecuadorianischen Amazonasgebiet zu Hause ist
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

UXBRIDGE, KANADA (IPS) - Im Verlauf der Menschheitsgeschichte haben zehntausende ethnische Gemeinschaften Hunderte wenn nicht gar Tausende von Jahren überlebt. Bis heute sind sie in traditionellen Gemeinschaften in abgelegenen Dschungelgebieten, Wäldern, Bergen, Wüsten und eisigen Gefilden im Norden organisiert. Manche vermeiden bewusst den Kontakt zur Außenwelt, um ihre Lebensweisen zu schützen.

Die Vereinten Nationen geben die Zahl der Ureinwohner mit mehr als 370 Millionen an, die sich auf 70 Länder verteilen und untereinander insgesamt 5.000 Sprachen sprechen. Ihre besonderen Lebensformen werden jedoch angesichts der stetig vordringenden, wenig nachhaltigen Entwicklungsprojekte immer weiter gefährdet. Was der Öffentlichkeit als Fortschritt verkauft wird, beraubt die Indigenen ihrer Ressourcen und zwingt ihnen westliche Gesundheits-, Bildungs- und Wirtschaftsdenkweisen auf.

"Wo ich lebe, gibt es zwei unkontaktierte Völker. Doch ihr Lebensraum wird durch Erdölexplorationsprojekte bedroht. Das gefällt ihnen nicht", berichtet Moi Enomenga, ein Waorani, der in eine isolierte Gruppe hineingeboren wurde. "Öl aus dem Boden zu holen ist für sie das Gleiche, als würde man ihnen ihr Blut nehmen."

Die Waorani sind im ostecuadorianischen Urwald, einem Erdölfördergebiet, zu Hause. Niemand weiß, wie lange sie hier schon vor Ankunft der Europäer Ende des 16. Jahrhunderts lebten. "Wir indigenen Völker werden weiterhin daran arbeiten, unsere Kultur zu stärken und uns der Ausbeutung unserer Territorien zu widersetzen", betont Enomenga.

Ecuador hat die UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker ratifiziert. Das bedeutet, dass die Behörden mit den Gemeinschaften vor der Durchführung von Bergbauprojekten auf deren Territorien Rücksprache halten müssten, was selten passiert. Die Betroffenen selbst versuchen sich mit Protesten gegen die Verstöße zu wehren.


Alternativ leben in Ökodörfern

Trotz ihrer langen Geschichte laufen die indigenen und lokalen Gemeinschaften Gefahr, Teil eines globalisierten Wirtschaftssystems zu werden, das ihnen einerseits ein gewisses Maß an Erleichterung bringen kann, dass aber gleichzeitig zur Zerstörung ihres Landes und ihrer Kultur beiträgt. Und was noch schlimmer ist: Es ist wenig nachhaltig und hat der Welt globale Bedrohungen wie Klimawandel und Artenschwund gebracht.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

Ustupu, ein halbautonomes Dorf der Kuna im Archipel San Blas im Osten Panamas
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

Allein in den letzten 40 Jahren ist die Zahl der Tiere inklusive Vögel, Reptilien und Fische um 52 Prozent zurückgegangen. 95 Prozent aller Korallenriffe laufen angesichts von Verschmutzung, Küstenentwicklung und Überfischung Gefahr, abzusterben. Und nur noch 15 Prozent der weltweiten Wälder sind intakt.

Dem Weltklimarat zufolge haben die durch menschliche Aktivitäten verursachten CO2-Emissionen die Oberflächentemperatur zwischen 1880 und 2012 um 0,85 Grad erhöht, Tendenz steigend. Wird der Ausstoß dieser Treibhausgase nicht drastisch reduziert, läuft die Menschheit ihrem eigenen Untergang entgegen.

"Die nur 200 Jahre alte westliche Kultur ist eindeutig nicht nachhaltig", meint Lee Davies, Vorstandsmitglied des Globalen Ökodorfnetzwerks (GEN), das seit 20 Jahren die Entwicklung nachhaltiger Siedlungen in aller Welt fördert. "Traditionelle indigene Gemeinschaften geben die besten Beispiele für Nachhaltigkeit ab", sagt er gegenüber IPS.

GEN-Siedlungen wie das britische Findhorn hinterlassen einen vergleichsweise geringen CO2-Fußabdruck. Die Ortschaft besteht aus 100 umweltfreundlichen Gebäuden und erzeugt ihren Strom aus vier Windturbinen. Das Wasser wird mit Sonnenkollektoren erhitzt. Außerdem verfügt das Ökodorf über eine Anlage, die sich lebender Organismen zur Wasserreinigung bedient, und über einen Car-Sharing-Verein, der Elektro- und andere Fahrzeuge bereitstellt.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

CO2-neutrale Häuser im Ökodorf Findhorn in Schottland
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

Die Bewohner der Ökodörfer gehen partizipatorische Wege, um ihren spirituellen, sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Lebensansprüchen gerecht zu werden. Senegal verfügt über 45 solcher Siedlungen. Das afrikanische Land hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, mehr als 14.000 Ortschaften in Ökodörfer umzuwandeln.

Zu den GEN-Mitgliedern gehört auch die srilankische Organisation 'Sarvodaya', ein ländliches Netzwerk, das 2.000 aktive nachhaltige Siedlungen in dem 20 Millionen Einwohner zählenden Land geschaffen hat.


Indigene als Lehrmeister

"Es geht bei diesen Projekten darum, der Menschheit Wege des Überlebens aufzuzeigen. Dabei besinnt man sich auf Werte und Praktiken indigener Völker", fügt Davies hinzu.

Die Gebirgsregionen gehören zu den Gebieten, in denen die Auswirkungen des Klimawandels besonders offensichtlich sind. Matthew Tauli, Mitglied der indigenen Kankana-ey Igorot-Gemeinschaft auf den Philippinen, ist der Meinung, dass eine schlichte Lebensweise die richtige Antwort auf die künftigen Herausforderungen ist. "Wir brauchen bestimmt keine großen Wirtschaftsentwicklungsprojekte wie Riesendämme und Bergbauaktivitäten."

Die Philippinen sind die Heimat von 14 bis 17 Millionen Indigenen, die sich auf 110 Sprachgruppen verteilen, welche fast 17 Prozent der 98 Millionen Menschen zählenden Bevölkerung stellen. Die traditionelle Lebensweise einer großen Zahl dieser Ethnien ist gefährdet. Nach UN-Angaben leiden sie unter Zwangsvertreibungen und der Zerstörung ihres Traditionslandes.

Wie überall auf der Welt kämpfen indigene Gemeinschaften von Northern Luzon, der bevölkerungsreichsten Insel der Philippinen, bis Mindanao, der größten Insel im Süden, gegen zahlreiche destruktive Entwicklungsprojekte.

In Indien gibt es 107 Millionen 'Adivasis', die ihrerseits versuchen, ihre Lebensräume zu retten. "Wir haben uns der Regierung entgegengestellt, als sie Plantagen mit Monokulturen anlegen wollte", erzählt K. Pandu Dora aus Andhra Pradesh. In dem Bundesstaat leben mehr als 49 Millionen Menschen, bei drei Millionen handelt es sich dem Zensus von 2011 zufolge um Angehörige registrierter Volksgruppen ('Scheduled Tribes').

Doras Gemeinschaft lebt in einem Gebirgswald, praktiziert den Fruchtwechsel und hält sich eng die von der Natur vorgegebenen Wachstumszyklen. Benachbarte Volksgruppen, die dem Rat von Experten gefolgt sind und moderne monokulturelle Agrarmethoden ausprobiert haben, bei denen chemische Dünger zum Einsatz kamen, litten fürchterlich unter den Folgen, so Dora. Angesichts der Tatsache, dass 70 Prozent der indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften in dem Bundesstaat unterhalb der Armutsgrenze leben, können nicht nachhaltige Anbaumethoden Millionen Menschen in die Katastrophe führen.

Schon jetzt wirkt sich der Klimawandel negativ auf die Landwirtschaft aus, und die Menschen können sich nicht mehr wie bisher auf altbekannte Niederschlagsmuster, Pflanz- und Erntezyklen verlassen. Anders als die Bauern, die von Regierungsprogrammen profitierten, haben Doras Leute mit der Diversifizierung der Anbauprodukte auf die neuen Herausforderungen reagiert und damit gute Erfahrungen gemacht. "Wir finden schon unsere eigenen Lösungen", meint er zuversichtlich.

Im dürregeplagten Kenia geht es den Kleinbauern, die beim Anbau ebenfalls auf Vielfalt achten, relativ gut, wie Patrick Mangu, Ethnobotaniker an Kenias Nationalem Museum Nairobi, weiß. "Frau Kimonyi kennt keinen Hunger", meint Mangu in Anspielung auf eine Familie, die eine ein Hektar große lokale Parzelle mit 57 Getreide-, Gemüse, Wurzel-, Knollen-, Obst- und Kräuterarten bepflanzt hat. Es sei dieser Diversität zu verdanken, dass bei den Kimonyis der Tisch trotz der sporadisch auftretenden Dürren reichlich gedeckt bleibe.

Fast die Hälfte von Kenias 44 Millionen Einwohnern ist arm. Die große Mehrheit lebt in ländlichen Gebieten der zentralen und westlichen Regionen. Die Rückkehr zu traditionellen Anbaumethoden könnte eine wichtige Rolle bei der Verbesserung der Einkommens- und Ernährungssicherheit im riesigen Agrargürtel spielen. Doch hat sich die Regierung bisher noch nicht in diese vielversprechende Richtung bewegt.


Die schützen, die die Natur schützen

Traditionelles Wissen und eine holistische Anbaukultur sind die Schlüssel für das Überleben vieler Ureinwohnergemeinschaften. Die Quechua in der Cuzco-Region im Süden Perus beispielsweise halten sich an ihre über Generationen hinweg entstandenen traditionellen Regeln, um mehr als 2.000 Kartoffelsorten zu erhalten.

"Damit es Kartoffeln geben kann, bedarf es Land und Menschen, die es bebauen. Wir brauchen eine Kultur zur Unterstützung der Menschen, der Mutter Erde und der Berggötter", beteuert Alejandro Argumedo, Programmleiter der Quechua-Aymara-Vereinigung für Natur und nachhaltige Entwicklung (ANDES), gegenüber IPS.

Die Gemeinschaften haben über die Jahrhunderte ihre Strategien verfeinert, um gemeinsam und nachhaltig von ihren Erträgen zu profitieren. Kartoffeln sind für die Indigenen mehr als nur Nahrungsmittel: Sie sind Symbol der eigenen Kultur, so Argumedo. Doch ist es in Peru für die indigenen Gemeinschaften schwer, ihre traditionelle Lebensweise zu bewahren. 632 Ethnien verfügen über keine Landtitel.

Für die Zapotec in der Sierra-Norte-Gebirgskette in Zentralmexiko zählt kein Privatbesitz. Anstatt ihre Wälder zur Maximierung ihrer Profite auszubeuten, suchen sie nach geeigneten Lösungen, um vor Ort Jobs zu schaffen, damit die Landflucht eingedämmt und der gesamten Community zu einem bescheidenen Wohlstand verholfen werden kann. Für sie ist es ein Gebot, den Wald so zu bewirtschaften, dass er für die nachfolgenden Generationen eine fürsorgliche Mutter sein kann. Die Mitglieder der Gemeinschaften engagieren sich in Nachbarschafts-, Schul- und Kirchenkomitees und bekleiden - vom Polizisten bis zum Dorfvorsteher - alle für die Gemeinschaft wichtigen Ämter.


Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

Moi Enomenga, ein Waorani-Führer aus Ecuador
Bild: © Mit freundlicher Genehmigung von Nicolas Villaume/Land is Life

"Ausschlaggebend für ein gesundes und nachhaltiges Zusammenleben sind gegenseitiges Vertrauen und gemeinsame Werte, die aus langjährigen Erfahrungen und Erkenntnissen entwickelt wurden", unterstreicht David Barton Bray, Professor an der 'Florida International University' in Miami. "Diese Form der kommunalen Verwaltung wird künftig eine immer wichtigere Rolle spielen, weil sie Lösungen parat hält, mit denen Staat und Markt nicht aufwarten können."

"Weltweit lässt sich sagen, dass sich die gesündesten Wälder in der Obhut der indigenen Völker befinden", fasst Estebancio Castro Díaz vom Volk der Kuna im Südosten Panamas zusammen. Mehr als 90 Prozent der von ihnen verwalteten Wälder stehen noch. Der Rest des Landes hingegen hat binnen zweier Jahrzehnte (1990 bis 2010) mehr als 14 Prozent seines Baumbestandes eingebüßt.

Als Klimasenken sind Wälder zudem scharfe Waffen im Kampf gegen die Erderwärmung. Wälder, die von lokalen Volksgruppen bewirtschaftet werden, binden 37 Milliarden Tonnen CO2 pro Jahr, berichtet Victoria Tauli Corpuz, UN-Sonderberichterstatterin für die Rechte indigener Völker.

"Die guatemaltekischen Wälder, die von der Lokalbevölkerung verwaltet werden, sind 20 Mal weniger entwaldet als diejenigen, die vom Staat kontrolliert werden. In Brasilien sind sie es elf Mal weniger", so Tauli-Corpuz. Dennoch verweigerten viele Regierungen den indigenen die Anerkennung von Landeigentumsrechten und traditionellen Forstverwaltungsmethoden.

Um den Klimawandel und Artenschwund aufzuhalten und nachhaltig leben zu können, muss ihrer Meinung nach das globale Wirtschaftssystem verändert werden, weil es auf Dominanz und Raubbau an der Natur beruht. "Gut zu leben bedeutet, in einem guten Verhältnis zur Mutter Erde zu stehen und weder Mensch noch Natur beherrschen zu wollen." (Ende/IPS/kb/08.05.2015)


Link:

http://www.ipsnews.net/2015/05/living-the-indigenous-way-from-the-jungles-to-the-mountains

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 8. Mai 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Mai 2015

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