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WALD/011: Südamerika - Zu wenig Regen im 'Brotkorb der Welt', Entwaldung zeigt Folgen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. Dezember 2010

Südamerika: Zu wenig Regen im 'Brotkorb der Welt' - Entwaldung zeigt Folgen

Von Mario Osava

Insel im Xingú-Fluss im brasilianischen Amazonasgebiet - Bild: © Mario Osava/IPS

Insel im Xingú-Fluss im brasilianischen Amazonasgebiet
Bild: © Mario Osava/IPS

Rio de Janeiro, 30. Dezember (IPS) - Südamerika hat das Potenzial, die wachsende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Biosprit zu bedienen. Problem ist nur, dass in den großen Anbaugebieten der Region - im zentralen Süden Brasiliens, im Norden Argentiniens und in Paraguay - die Niederschläge ausbleiben könnten.

Mit jedem Hektar Regenwald, der durch Entwaldung verloren geht, wird ein Ökosystem geschwächt, das Wüstenbildung verhindert. Ohne diesen Schutz würde die Amazonasregion im Nordwesten, Norden und Zentrum Südamerikas das Schicksal der Sahara, eines Drittels Australiens sowie anderer Gebiete um den 30. nördlichen und südlichen Breitengrad teilen, sagte Antonio Nobre vom Nationalen Brasilianischen Institut für Weltraumforschung (INPE).

Den Waldschwund am Amazonas zu stoppen, sei längst überfällig, warnte Nobre. Das offizielle Ziel, den Holzschlag bis 2020 um 80 Prozent zu reduzieren, kritisierte er als ebenso unsinnig, als Lungenkrebskranker im Endstadion mit dem Rauchen aufzuhören. Um das Gleichgewicht im Urwald wieder herzustellen, müssten die betroffenen Gebiete nachhaltig - also nicht mit schnellwachsenden Eukalyptus- oder anderen Monokulturen - aufgeforstet werden.

"Wir wissen nicht, ab welchem Punkt es kein Zurück mehr gibt", gab Nobre zu bedenken. Irgendwann lasse sich die Schädigung des Waldes nicht mehr umkehren. Land, das bisher durch Regen bewässert werde, verwandele sich dann in Wüste, sagte der Agronom, der 22 Jahre lang in der Region geforscht hat.


'Fliegende Flüsse' bringen Regen

Der Amazonaswald und die Barriere der Andenkordilleren leiten die feuchten Winde um, die der brasilianische Forscher Gérard Moss 'fliegende Flüsse' nannte. Diese Winde bescheren der Region, die die größten Fleisch-, Getreide- und Obstexporte des Kontinents generiert, bisher ausreichend Regen.

Die so genannte planetarische Zirkulation ist ein weiterer Teil dieses Prozesses. Am Äquator erwärmst sich die Luft durch die starke Sonneneinstrahlung, steigt auf und verdichtet sich zu Wolken, aus denen starke Niederschläge fallen, die die tropischen Wälder bewässern. Ab einer bestimmten Höhe driftet diese Luft nach Norden und Süden ab.

Die Winde ziehen in Richtung Äquator, um den Raum zu füllen, den die aufsteigende Luft hinterlassen hat. Da die Winde sich kreisförmig fortbewegen, verlieren sie an Feuchtigkeit. Die Folgen zeigen sich etwa in den Wüsten im Norden Chiles, in Namibia, in Zentralaustralien, in der Sahara, in einem Teil des Nahen Ostens und im Süden der USA.

Weite Teile des 'Südkegels' in Südamerika sind bislang diesem Schicksal entgangen. Die fortschreitende Entwaldung gefährdet jedoch die natürliche Wasserzufuhr. Laut Nobre deuten darauf bereits die Wüstenbildung in Teilen des Bundesstaates Rio Grande do Sul im tiefen Süden Brasiliens hin.

Auch die subtropischen Wälder im Süden Chinas bekamen bisher genug Wasser, da das Himalaja-Gebirge eine ähnliche Funktion erfüllt wie die Anden.

Jeder Wassertropfen enthält nach Erkenntnissen von Moss seine eigene DNA, die anzeigt, ob er aus dem Amazonas oder aus dem Meer stammt. Er habe versucht zu erforschen, auf welchen Wegen sich die Wolken bewegen und wieviel aus dem Amazonasgebiet kommender Regen in brasilianischen Städten niedergeht.

Laut Moss wird in Brasilien im Durchschnitt eine jährliche Niederschlagsmenge von 13.400 Kubikkilometern registriert. In zentral gelegenen Städten wie der Hauptstadt Brasilia stammten etwa 30 Prozent des Regens aus den Amazonasgebieten, berichtete er.

Die Wälder seien "Wasserpumpen", die die Winde stärker befeuchteten, als es die Ozeane könnten, erklärte Nobre. Die zahlreichen Blätter einer Pflanze vervielfachten die Oberflächen, auf denen Wasser verdunsten könne. Das Meer habe dagegen nur eine einzige Oberfläche.


Täglich 20 Milliarden Tonnen Wasserdampf

Ein großer tropischer Baum kann Nobre zufolge somit bis zu 300 Liter Wasser am Tag verdunsten lassen. Messungen hätten ergeben, dass die Amazonasregion jeden Tag für etwa 20 Milliarden Tonnen Wasserdampf sorge. Aus dem Amazonasfluss würden sich 17 Milliarden Tonnen Wasser ins Meer ergießen.

Nobre geht davon aus, dass etwa die Hälfte des Wassers bereits über dem Amazonasurwald abregnet. Die Wälder, über denen die Wolken hinwegziehen, füllen sie dann wieder mit Wasser auf. Ohne diese 'Nebenflüsse' würden die 'fliegenden Flüsse' ihre Feuchtigkeit viel schneller verlieren. Die indigenen Völker wüssten seit langem, dass es überall dort Regen gebe, wo Wälder zu finden seien, sagte Nobre. Die Wissenschaft habe dies hingegen erst spät erkannt.

Obwohl sich der Rhythmus der Waldschwund verlangsamt hat, befürchten Wissenschaftler einen Schneeballeffekt, da jedes entwaldete Gebiet zu weiteren Schädigungen führt. Auch die zwischen 2005 und 2010 immer häufiger aufgetretenen Dürreperioden geben demnach Anlass zur Sorge. "Die Biosphäre reguliert das terrestrische System", erklärte Nobre. Es besitze eine Art Thermostat. Die Menschen seien aber im Stande, eine Stabilität zu zerstören, die Millionen von Jahren überdauert habe. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.inpe.br/
http://www.mundomoss.com.br/site/gerard-moss
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97203

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2010