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WASSER/216: "Umverteilung" einer Ressource - Der globale Wasserraub (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2016

Kampf um Land
Lebensgrundlage, Ökosystem, Kapitalanlage

»Umverteilung« einer Ressource
Der globale Wasserraub

von Helge Swars


Unter dem Schlagwort "Landgrabbing" gibt es einige Aufmerksamkeit für eine massive Zunahme von Landkäufen und Investitionen in landwirtschaftlich nutzbare Flächen durch Staaten oder internationale Konzerne im Globalen Süden. Diese Aneignung von Land betrifft viele Regionen, die aktuell bereits ganzjährig oder saisonal unter Wasserknappheit leiden, und wird durch die Verfügungsgewalt über Wasser getrieben. "Landgrabbing" ist somit auch "Watergrabbing" bzw. Wasserraub.


Die meisten der unmittelbar von Wasserraub betroffenen Menschen leben in tropischen und subtropischen Gebieten mit geringen Niederschlagsmengen. Da es hier viel Sonne und keine bzw. sehr milde Winter gibt, sind diese Gebiete für die landwirtschaftliche Nutzung attraktiv. Viele Nahrungsmittel und Industrierohstoffe können nur hier angebaut werden, sofern der wegen hoher Temperaturen erhöhte Wasserbedarf der Pflanzen auch in Trockenzeiten aus zusätzlichen Quellen gedeckt werden kann.

Insgesamt werden 70 Prozent des global verfügbaren Trinkwassers von der Landwirtschaft verbraucht. Mit dem Wasser aus Flüssen und Grundwasserschichten werden Großfarmen, Plantagen und Weideflächen in heißen, trockenen Regionen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens bewirtschaftet. Bei großflächig konventioneller Nutzung wird dabei zwangsläufig mehr Wasser verbraucht, als dem Ökosystem durch Niederschläge und indirekt über Grundwasserströme und Flüsse zugeführt werden kann. In der Folge sinken Grundwasserspiegel, versalzen Seen und trocknen Flüsse aus.

Beschleunigt wird dieser Prozess meist durch das Abholzen von Wäldern zur Gewinnung von Weide- und Anbauflächen und die schnelle Degradation von Böden, verursacht durch eine "konventionelle" Bewirtschaftungsweise. Wald und Boden verlieren ihre wichtige Fähigkeit, Wasser zu speichern. Kapitalstarke Agrarkonzerne können diese Entwicklung eine Zeit lang mit technischen Mitteln, beispielsweise durch das Anbohren tieferer fossiler Grundwasserschichten, verzögern. Die Bevölkerung in den betroffenen Ländern ist der Erschöpfung ihrer lebenswichtigen Wasserressourcen jedoch schutzlos ausgeliefert.


Wasserraub und Handel mit "virtuellem Wasser"

Nahezu jedes Produkt verbraucht im Herstellungsprozess Wasser. Landwirtschaftliche Nutzpflanzen beispielsweise benötigen Wasser, um über Verdunstung während des Wachstums die Temperatur zu regulieren. Im globalen Maßstab geht das Wasser dabei nicht verloren. In trockenen, heißen Gebieten ist der lokale Wasserkreislauf aus Verdunstung und Niederschlag bei intensiver, unangepasster Bewirtschaftung jedoch nicht zu schließen. Es muss aus anderen Wasserquellen bewässert werden. Durch die Verdunstung wird dem lokalen Ökosystem das Wasser also entzogen. Diese Menge wird dem Endprodukt virtuell zugerechnet.

Der globale Handel mit diesem "virtuellem Wasser" wird zum Wasserraub, wenn "wasserintensive" Güter aus Regionen exportiert werden, die unter Wasserknappheit leiden. Mit der Ausfuhr von landwirtschaftlichen Produkten wie Sojabohnen, Fasern, Ölfrüchten, Gemüse, Obst, Kaffee und Zierpflanzen wird das bei der Erzeugung verbrauchte Wasser virtuell aus den Anbauregionen exportiert. Auf diese Weise werden in Trockengebieten lokale Gemeinschaften von der Nutzung des Wassers ausgeschlossen, Ökosysteme als Lebensräume langfristig destabilisiert und zerstört.


Wasserraub und Verschmutzung

Auch die langfristig wirkende Verschmutzung von Wasser ist eine Form des Wasserraubes. Eine bedeutende Quelle der Wasserverschmutzung ist auch in diesem Fall die industrielle Landwirtschaft mit dem massiven Einsatz von Düngemitteln, Pestiziden sowie großen Mengen Gülle und Medikamenten aus der Massentierhaltung.

Wasser wird jedoch auch bei der Herstellung von Konsumgütern, wie beispielsweise Kleidung, verschmutzt. Bergbau, die Förderung und der Transport von Erdöl, neuere Extraktionsverfahren wie Fracking oder die Förderung von Teersanden verbrauchen nicht nur direkt viel Wasser, sondern führen vor Ort zur Verunreinigung und Vergiftung von Grund- und Oberflächengewässern durch Schwermetalle, Chemikalien und Öle. Insgesamt gelangen jeden Tag weltweit 2 Millionen Tonnen Chemikalien, industrielle, menschliche und landwirtschaftliche Abfälle in das Trinkwasser.

Profiteure sind meist nur internationale Konzerne, die die Kosten der Vermeidung oder der korrekten Entsorgung sparen, sowie die KonsumentInnen in den Industrienationen, die isoliert betrachtet von billigen Verbraucherpreisen profitieren. Den Preis bezahlen auch hier wieder die Menschen, die in dem verschmutzen Ökosystem leben.


Wasserraub und Privatisierung

Gerade in Ländern mit schwachen und korrupten Regierungen ist es für private Großinvestoren mit viel Geld und Einfluss leicht, nach modernem Bodenrecht Landtitel zu erwerben und damit traditionelle, nicht verschriftlichte Rechte der Menschen vor Ort auszuhebeln. Die Auswirkungen auf die langfristige regionale Verfügbarkeit von Wasser gehen genau wie die angezapften ober- und unterirdischen Wasserströme über das angeeignete Land hinaus. In der Regel existieren in Trockenregionen des Globalen Südens traditionelle und komplexe gesellschaftliche Vereinbarungen über die gemeinsame Nutzung von Wasser. Überall in den von Wasserknappheit betroffenen Gebieten der Welt gibt es Beispiele für nachhaltige gemeinschaftliche Nutzungsmodelle, die verschiedenste lokale und regionale Bevölkerungsgruppen einschließen und sowohl die räumliche und zeitliche Verfügbarkeit für die Menschen als auch ökologische Bedingungen berücksichtigen. Durch Privatisierung und Kommerzialisierung gemeinschaftlicher Wasserressourcen erhöht sich nicht nur die Gefahr ihrer Erschöpfung und Verschmutzung. Immer wird auch der Zugang für die vorherigen NutzerInnen beschränkt. Die Bevölkerung in Ländern ohne funktionierende demokratische Kontrolle ist der Ausbeutung und der Verschmutzung ihrer lebenswichtigen Wasserressourcen häufig schutzlos ausgeliefert.


Wasserraub und Klimawandel

Im Jahr 2030 werden durch den fortschreitenden Klimawandel etwa 3 Milliarden Menschen mit extremer Wasserknappheit leben müssen. Ein großer Teil von ihnen wird in Regionen leben, die heute noch zu den Hauptanbaugebieten für Nahrungsmittel und Agrarrohstoffe zählen. Ob der Rückgang an landwirtschaftlicher Produktivität dieser Regionen durch höhere Temperaturen und Niederschläge in anderen Gebieten aufgefangen werden kann, ist mehr als fraglich.

Betroffen sind auch hier insbesondere Menschen in den ärmeren Regionen der Welt. Sie sind nicht verantwortlich für den globalen Klimawandel, tragen aber heute schon die unmittelbaren Folgen von verringerten oder ganz ausbleibenden Niederschlägen. Millionen kleinbäuerlicher Existenzen in den Ländern des Südens hängen vom Zugang zu Wasser ab. Hunger und Unterernährung treffen weltweit hauptsächlich die Landbevölkerung. Für sie ist Wasser der wichtigste Produktionsfaktor und damit Voraussetzung, sich selbst versorgen zu können. Insofern beruht eine Weltwirtschaft, die sich kurzsichtig auf "Wachstum" und private Gewinne stützt und damit das Klima weiter anheizt, zwangsläufig auf Wasserraub.


Rahmenbedingungen für Schutz vor Wasserraub

Auch in einer globalisierten Welt und in einem marktwirtschaftlichen System kann die Politik in Deutschland und in der Europäischen Union Verantwortung übernehmen. Um Wasserraub zu erschweren, gilt es, Rahmenbedingungen zu schaffen, die Wasserraub und damit Menschenrechtsverletzungen in Drittländern durch mächtige Akteure erschweren bzw. weniger profitabel machen sowie den lokalen und globalen Klimawandel und seine Folgen eindämmen. Das Gegenteil ist aktuell der Fall. Ein Großteil der 300 Milliarden Euro, mit denen die Industrieländer z. B. jährlich ihre Landwirtschaft fördern, subventioniert direkt Wasserraub. Ganz klassisch werden in Bezug auf das öffentliche Gut "Wasser-Gewinne" privatisiert und Kosten vergesellschaftet.

Auch die Entwicklungspolitik steht hier vor einer Herausforderung, die über eine grundlegende Sanitär- und Trinkwasserversorgung hinausgeht. Nur ein Bruchteil der Mittel für Entwicklungszusammenarbeit fließt in die Förderung von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern. Diese Mittel zu erhöhen und damit partizipative und dezentrale Ansätze für die Anpassung an Klimawandel und zunehmende Wasserknappheit zu fördern, bekämpft langfristig den Hunger an seiner Basis und sichert Lebensräume für Milliarden Menschen. Der Weltagrarbericht1 liefert hierfür den neuesten Stand der Forschung: Aufwertung des Regenfeldbaus, Modernisierung der Bewässerungslandwirtschaft durch umweltschonende und kostengünstige Technologien und Förderung agrarökologischer Anbauverfahren.



Der Autor arbeitet in der Spenderkommunikation und
Programmkoordination beim Weltfriedensdienst.


Anmerkung:

[1] International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development; Synthesebericht:
http://www.weltagrarbericht.de/fileadmin/files/weltagrarbericht/IAASTDBerichte/IAASTDSyntheseDeutsch.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NROs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 1/2016, Seite 11-12
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Mai 2016

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