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WASSER/234: Indien bei der Textilabwasserreinigung in der Spitzenklasse (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1105, vom 24. April 2017, 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Erstaunlich: Indien bei der Textilabwasserreinigung in der Spitzenklasse


Eigentlich würde man es kaum vermuten: Aber ausgerechnet in "T-Shirt-City" in Indien werden in großem Umfang die weltweit modernsten Anlagen zur Abwasseraufbereitung betrieben. T-Shirt-City war in der Vergangenheit wegen der schier unvorstellbaren Abwasserbelastung und Gewässerverschmutzung verschrien. In dem nachfolgenden Bericht, den wir direkt aus dem südindischen Tirupur bekommen haben, wird erläutert, wie es zu dieser erstaunlichen Entwicklung kam - und welche Probleme gleichwohl weiterhin bestehen. Und nicht zuletzt könnte man sich in Indien auch noch einiges für die hiesige Textilindustrie (s. RUNDBR. 777/4, 696/2-4, 520/1, 437/ 1, 426/3, 390/2, 276/1, 250/1) abschauen. -hsch-

Tirupur: Vom T-Shirt zur Ungenießbarkeit des Grundwassers

Textilfärbereien und -druckereien sind bekanntlich große Wasserverbraucher. Für ein Kilogramm Textil werden bis zu 250 l Frischwasser verbraucht, das nach seinem Gebrauch als Abwasser anfällt. Das Textilabwasser ist hochbelastet mit Farbstoffen, Tensiden, Dispergiermitteln, Weichmachern, Natronlauge, Salzen etc. Da verwundert die Nachricht von abwasserfreien Textilbetrieben, zumal sie aus dem südindischen Tirupur kommt. Die Stadt Tirupur ist zum einen als T-Shirt-City bekannt. Um die 1 Million T-Shirts, vorrangig aus Baumwolle, werden dort hergestellt - jeden Tag. Sie werden überwiegend nach Europa und in die USA exportiert. Zum anderen hat diese Stadt durch die dortige massive Verschmutzung des Noyyal Rivers unrühmliche Bekanntheit erreicht. Der ursprüngliche Fluss war ein kleines Fließgewässer von wenigen Metern Breite, das im Sommer öfters trocken fiel. Die Textilfärbereien und -druckereien haben über Jahrzehnte ihre Abwässer ohne jegliche Behandlung in den Noyyal River oder in diesem zulaufende Gräben geleitet. Da zum Färben von Baumwolle mit Reaktivfarbstoffen sehr viel Kochsalz und/oder Glaubersalz (Natriumsulfat) eingesetzt wird und das Abwasser im Flussbett in den Untergrund sickert, wurde das Grundwasser allein des hohen Salzgehalts wegen ungenießbar. Zunächst wurde ein Grenzwert für die Salzkonzentration im Abwasser festgelegt: 2.300 mg/l, der aber nicht eingehalten wurde. -hsch-

Tirupur: Abwasserfreie Produktion wird zwangsweise eingeführt

Nach langem Hin und Her legte 2011 die Umweltbehörde des Bundesstaates Tamil Nadu viele der rund 700 Textilveredlungsbetriebe still. Dies war der Startschuss für ungeahnte Entwicklungen. Um weiter produzieren zu können, wurde das Konzept des abwasserfreien Textilveredlungsbetriebes zwangsverordnet, engl. Zero Liquid Discharge (ZLD). Allerdings schlossen viele Betriebe an ihren alten Standorten und zogen ins Umland von Tirupur um, bis zu 50 km von der Stadt entfernt. Dabei haben sie in neue wassersparende Färbemaschinen investiert. Die Maschenware (so wird der "T-Shirt-Stoff" bezeichnet) wird zum ganz überwiegenden Anteil in sog. diskontinuierlichen Verfahren veredelt, d.h. vorbehandelt, gefärbt und mit Chemikalien ausgerüstet. Wie bei der Waschmaschine zu Hause fallen die einzelnen Behandlungsbäder (Flotten) nacheinander an. Die modernen Maschinen benötigen nur 4-6 Liter Wasser je kg Maschenware. Da aber viele Flotten nacheinander anfallen, summiert sich das dann doch. Werden zum Beispiel je Prozessschritt 5 l/kg gebraucht und 10 Prozessschritte durchgeführt, was durchaus üblich ist, so werden 50 l/kg gebraucht. Entsprechend fallen 45 l/kg Abwasser an; die Differenz ist durch Verdampfungsverluste beim Trocknen der Maschenware bedingt. -hsch-

Tirupur: Wie funktioniert die abwasserfreie Textilfärbung?

Wie soll das nun gehen, dass überhaupt kein Abwasser eingeleitet wird, wenn es doch weiterhin in einer Menge von 100-1.200 m3/d je Betrieb anfällt, je nach Größe des Betriebes? Bevor die Technik erklärt wird, ist zunächst zu sagen, dass ein Teil der Textilbetriebe eigene Anlagen zur Behandlung ihres Abwasser errichtet haben (sog. Individual Effluent Treatment Plants - IETP), andere aber in Sammelkläranlagen (sog. Common Effluent Treatment Plant - CETP) einleiten. Die Technik für IETP und CETPs ist ähnlich. Konzeptionell wichtig ist erst einmal, dass in beiden Fällen das gesamte gemischte Abwasser behandelt wird, obwohl die Flotten, wie oben erklärt, nacheinander anfallen. Man/frau könnte doch durchaus das Färbebad und die darauf folgende Waschflotte abtrennen, da diese über 90% der Salzmenge enthalten - so dass eine getrennte Behandlung nahe liegt. Manche Betriebe haben durchaus die Ventile und Steuerung für die Flottentrennung installiert, sich aber dann doch für die Behandlung der Mischung aller einzelnen Flotten entschieden, zum einen um den Aufwand zu verringern und zum anderen, noch wichtiger, weil ein wichtiges Element der Reinigung die biologische Behandlung darstellt, die durch zu hohe Salzgehalte nicht stabil funktioniert. Damit wären wir bei der Abwasserbehandlung angelangt, die nachfolgend vereinfacht dargestellt wird. -hsch-

Tirupur: Entfärbung mit Chlorgas führt zu chlororganischen Stoffen

Zunächst werden mit einem Rechen Grobstoffe entfernt, die eigentlich nicht im Abwasser enthalten sein sollten, aber hier und da durch Unachtsamkeit der Beschäftigten doch auftreten. Dann folgt ein Feinsieb, um die größeren Flusen (Baumwollfasern) abzutrennen. Das so mechanisch behandelte Abwasser fließt in einen Misch- und Ausgleichsbehälter, dessen Volumen mindestens die Tagesmenge, besser die dreifache Tagesmenge, umfasst. Diese Vergleichmäßigung tut der nachfolgenden biologischen Stufe gut. Die ist so bemessen, dass die leicht biologisch abbaubaren Stoffe von den Bakterien vollständig abgebaut werden. Jetzt sind aber noch feine Bakterienflocken und kolloidale Stoffe, aber auch das Salz und biologisch schwer bis nicht abbaubare Stoffe enthalten. Zu letzteren zählen die im Abwasser sichtbaren Farbstoffe. Sie werden mit Chlorgas entfärbt. Dabei entstehen sehr kritisch zu bewertenden chlororganische Verbindungen, denen aber keine Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die nach der biologischen Behandlung noch enthaltenen Bakterienflocken werden mittels eines Sandfilters abgeschieden, die gröberen kolloidalen Stoffe im Anschluss daran in einer Mikrofiltration und weiter, noch feiner, in einer Ultrafiltrationsstufe. Dabei handelt es sich um sehr feinporige Membranen. Das Abwasser ist jetzt praktisch völlig frei von Feststoffen und kolloidalen Stoffen. -hsch-

Tirupur: Umkehrosmose zur Endreinigung der Textilabwässer

Nun folgen drei, in manchen Anlagen vier oder gar fünf, Umkehrosmosemembranstufen, in denen unter hohem Druck (13-40 bar, zum Teil schon mit sehr hohem Druck bis 70 bar) Wasser durch superfeine Membranen gepresst wird, so dass nun alle gelösten Stoffe, auch das ganz kleinmolekulare Salz, zurückgehalten wird. Das so völlig saubere Wasser, auch Permeat genannt, kann unmittelbar zur Textilveredlung ohne Einschränkung wieder eingesetzt werden. Die gelösten biologisch nicht abbaubaren Stoffe sowie die Salze sind jetzt nur noch in ca. zehn Prozent der ursprünglichen Abwassermenge zu finden. Dieses sog. Konzentrat ist nun eine schon dickere Brühe, die durch die noch enthaltenen Farbstoffe, die, wie gesagt, zu den biologisch nicht abbaubaren Stoffen zählen, stark gefärbt ist. Sie wird nun thermisch mittels vier- bis fünfstufigen Fallfilmverdampfern weiter eingedickt, aber selbst danach ist jetzt die noch dickere und farbigere Brühe flüssig. Das verdampfte und dann wieder niedergeschlagene Waser (Kondensat) aus der Eindampfung wird mit dem Permeat gemischt und kann auch recycelt werden. Das Konzentrat wird nun auf 10-12 °C, z.T. nur auf 17 °C, abgekühlt, wodurch das Salz zu einem hohen Prozentsatz auskristallisiert und in dieser recht feinen Form wieder zum Färben eingesetzt werden kann. Aber auch danach bleibt immer noch ein wässriger Rest, der in einer weiteren Eindampfanlage, zum Teil unter Vakuum, eingeengt wird. Dann ist die Brühe so dick, dass sie in einem letzten Schritt zum trockenen Salz wird. Dazu kommen spezielle Trockner zum Einsatz. Der jetzt letztendlich anfallende Rückstand enthält die biologisch nicht abbaubaren Stoffe und das Restsalz, das nicht auskristallisiert werden konnte. Durch die Verunreinigungen hat es eine so schlechte Qualität, dass es nicht mehr zum Färben eingesetzt werden kann und, natürlich geschützt vor Regenwasser, deponiert werden muss. In vielen Fällen wird der teigige, zum Teil auch ganz trockene Rückstand, unter Dach auf dem Gelände der IETP oder CETP zwischengelagert. Nun ist man am Ende, also abwasserfrei. -hsch-

Tirupur: Korruption verschont auch die die High-Tech-Reinigung nicht

Die vorgenannte Prozedur stellt einen unglaublich aufwendigen Prozess dar, sowohl in maschinentechnischer als auch in energetischer Sicht. Die Betriebskosten betragen 3-4 EUR/m3. Die schmerzen die Betriebe, was zu "Kostenvermeidungsmaßnahmen" führt, bei denen Abwasser, auch teilweise, oder Konzentrate über dunkle Kanäle "entsorgt" werden. Es heißt, dass die Korruption in diesem "Abwasserbusiness" groß ist, viele daran Beteiligte die Hand aufhalten, so Behördenvertreter, Anlagenhersteller, Gutachter und nicht zuletzt Politiker. Nichtsdestotrotz, es gibt viele dieser aufwendigen Anlagen, mit der der Stand der Technik weiter entwickelt wurde. In hiesigen Regionen ohne Wasserknappheit mit genügend Wasser zur Verdünnung von Salz, sodass keine Grundwasserbelastung wie in Tirupur entsteht oder Wasserorganismen beeinträchtigt werden, muss der enorme Energieaufwand den erzielten Vorteilen (kein Abwasser/Wasserrecycling, Salzrückgewinnung) gegenübergestellt werden. So eine Ökobilanzierung ist noch nicht sauber nachvollziehbar erfolgt, aber es könnte durchaus sein, dass der hohe Energieaufwand zu sehr negativ ins Gewicht fällt. Hinzu kommt auch das Kostenargument, denn die Investitions- und Betriebskosten sind beträchtlich. Die Abwägung und Bewertung der Vor- und Nachteile sollte mittels Lebenszyklusbetrachtungen nachvollziehbar erfolgen. In jedem Fall sollte diese indische Entwicklung auch in der europäischen Textilindustrie aufmerksam verfolgt werden. Die Standards zur Aufbereitung und Reinigung von Textilabwässern werden in der EU durch ein branchensspezifisches Referenz-Papier zur besten verfügbaren Technik (BREF) gesetzt. Insofern sollten die in Tirupur angewandten High-Tech-Verfahren in dem zur Überarbeitung anstehenden Referenzdokument über die besten verfügbaren Techniken in der Textilindustrie sauber dokumentiert werden! -hsch-


Bangalore: "Wenn der See brennt" ...

... hat die Wochenzeitung DER FREITAG auf Seite 8 am 06.04.17 einen Bericht über die erschreckende Realität der Abwasserentsorgung im indischen Bangalore überschrieben. In den größten See der 10 Millionen-Metropole werden derart viele ungeklärte Abwässer eingeleitet und Lkw-Ladungen voll Müll hineingekippt, dass sich im Faulschlamm Methan bildet. Das Methan hat sich schon mehrmals entzündet, so dass große Teile des Sees in Flammen aufgegangen sind. Der an der Wasseroberfläche verbrennende Müll hat die ohnehin schon vorhandene Luftverschmutzung auf ein noch höheres Niveau gehoben. Bangalore wurde früher auf Grund seiner zahlreichen Gärten als DIE indische "Gartenstadt" und wegen seiner fast 300 Seen als die "Seenstadt" bezeichnet. Wegen der enormen Bautätigkeit ist von den Gärten und Seen nicht mehr viel übrig geblieben. Die übriggebliebenen Seen sind völlig verschmutzt und vergiftet. Die Seen waren früher als Teil eines raffiniert ausgeklügelten Bewässerungssystems im 17. Jahrhundert angelegt worden. Heute ist das südindische Bangalore das Zentrum der militärischen und zivilen Flug- und Raumfahrtindustrie sowie das indische IT-Zentrum. Trotz dieser Hightech-Industrien scheint es für den Umwelt- und Gewässerschutz weder Bewusstsein noch Geld zu geben.

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1105
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2017

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