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FORSCHUNG/347: Dossier Klima - "Jeder Wissenschaftler muss auch Skeptiker sein" (research*eu)


research*eu Nr. 63 - April 2010

Magazin des Europäischen Forschungsraums

DOSSIER KLIMA


KLIMASKEPSIS

"Jeder Wissenschaftler muss auch Skeptiker sein"

Von Audrey Binet und Jean-Pierre Geets


Während die Wissenschaftler des IPCC Studien bewerten und erstellen, mit denen das Wissen zur Frage des Klimawandels erweitert werden soll, werden Zweifel an den Ergebnissen des Weltklimarates laut.

Wenn in der Wissenschaft eine Mehrheit etwas behauptet, bedeutet das noch lange nicht, dass diese Behauptung wahr sein muss. Obwohl die meisten Klimaexperten die generelle These des Weltklimarates (IPCC) unterschreiben, welche besagt, dass die gefährliche Klimaerwärmung wahrscheinlich auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, wird diese These regelmäßig von den Klimaskeptikern zurückgewiesen. Der Laie, dem ein umfassendes Wissen zur Klimaforschung fehlt, ist angesichts der oftmals widersprüchlichen Argumente hilflos. Und manche Medien, denen an Polemik mehr liegt als an echter Information, tragen ihren Teil zur Konfusion bei.

Nimmt man jetzt noch jene heraus, die - mithilfe von Desinformationsstrategien wie jenen der Zigarettenindustrie in der 1980er Jahren - besondere Interessen verfolgen, und jene, die im IPCC nur den verlängerten Arm eines weltweiten politisch- ökologischen Komplotts sehen, dann bleiben noch jene sicherlich ehrlichen Skeptiker übrig, deren Äußerungen sich auf eine wissenschaftliche Argumentation stützen.

Obwohl die Argumente in alle Richtungen weisen, lassen sich die Skeptiker grob in zwei große Kategorien einteilen: jene, die den menschlichen Ursprung der Erwärmung verneinen oder herabspielen, und jene, die dem Ernst der Lage widersprechen. Die ersten legen Belege vor, mit denen sie beweisen wollen, dass die Treibhausgasemissionen, die aus menschlichen Aktivitäten stammen, nur wenig oder gar nicht für die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts beobachtete Erwärmung verantwortlich sind. Sie sollen vor allem mit natürlichen Faktoren zusammenhängen. Die zweite Gruppe, die sich von der ersten kaum unterscheidet, zweifelt die wissenschaftlichen Grundlagen der Vorhersagen und der dort genannten erwarteten Konsequenzen der Erwärmung an.

Mit welchen Argumenten widersprechen sie der Meinung der Mehrzahl der Klimaexperten? Der Ursprung aller Fragen und Unsicherheiten, die noch zu Ursache und Folgen der Klimaerwärmung bestehen, liegt in der Komplexität des Systems Erde und seiner Zusammenhänge mit dem Universum.


Die Sonne - Triebfeder der Erwärmung

Das häufigste Argument gegen die These der menschlichen Ursache der Erwärmung betrifft die Position der Erde im Verhältnis zur Sonne und ihre Aktivität. Zu allen Zeiten soll die Intensität der Sonnenaktivität, die Form der Umlaufbahn der Erde um die Sonne und die Neigung unseres Planeten auf dieser die Temperaturen bestimmt haben. "Schaut man sich die vergangenen 800 000 Jahre an, ohne die letzten 200 zu berücksichtigen, so sieht man, dass die Klimaveränderungen der Vergangenheit durch natürliche Faktoren wie die allmähliche Veränderung der Erdumlaufbahn und die Position der Erde auf dieser ausgelöst wurden", räumt Jean-Pascal van Ypersele ein, Vizepräsident des IPCC und Klimaforscher an der Katholischen Universität Löwen (BE). Doch auch wenn diese Parameter im Laufe langer Zeitabschnitte variieren, reichen sie nicht aus, um den starken Temperaturanstieg seit der industriellen Revolution zu erklären. "Wir dürfen sehr unterschiedliche Zeitskalen nicht miteinander vermischen."(1)

Auch wenn das CO2 sicherlich nicht der einzige Ursachenfaktor ist, hätte es sehr wohl zur Ausweitung der Folgen durch die Veränderungen bei der Verteilung und der Gesamtmenge der auf der Erdoberfläche verfügbaren Sonnenenergie beitragen können. "Ausgangspunkt sind die astronomischen Faktoren. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Kohlenstoffkreislauf durch kleine Klimaveränderungen, die durch diese Fluktuationen hervorgerufen wurden, beeinflusst wurde. Und das wiederum hat sich auf das Klima der Vergangenheit ausgewirkt".


Das Ei oder die Henne?

Hier trifft man auf einen wunden Punkt: der Zusammenhang zwischen der CO2-Konzentration in der Atmosphäre und den Temperaturveränderungen. Während die meisten Klimaforscher sagen, dass ein Anstieg der CO2-Konzentrationen zur Erwärmung der Erdatmosphäre beiträgt, betonen andere mithilfe von Grafiken, dass es in den geologischen Zeiten der Erde eher der Temperaturanstieg war, der zu hohen CO2-Konzentrationen geführt hat und nicht umgekehrt. "Tatsache ist, dass sich die Ozeane nach einem Temperaturanstieg, der durch astronomische Faktoren hervorgerufen wurde, erwärmen und damit weniger CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen können. Das ist ein chemisches Gesetz: CO2 löst sich in kaltem Wasser besser auf als in warmem. Damit verbleibt ein größerer Anteil dieses Gases in der Atmosphäre."

Die Temperatur wirkt sich also auf die CO2-Konzentrationen aus. "Die Skeptiker haben recht, wenn sie sagen, dass das CO2 in der Vergangenheit dem Temperaturanstieg folgte. Doch sobald es sich häuft, verstärkt es den natürlichen Treibhauseffekt und führt zu einer weiteren Erwärmung. Wird die CO2-Schicht in der Atmosphäre dicker, ist es, als ob man sich eine weitere Decke über das Bett legt, wodurch einem wärmer wird!"


Schwerer Staub

Doch scheinen die Zusammenhänge zwischen astronomischen Faktoren und der CO2-Konzentration in der Atmosphäre, die einerseits von den "Klimaskeptikern" und andererseits von denen, die sich haben überzeugen lassen, genannt werden, nicht diametral entgegengesetzt zu sein, wenn sie erst einmal analysiert wurden. Die Frage hieße also, welche Auswirkungen die durch den Menschen verursachten Treibhausgase auf das komplizierte System Erde haben. Und auch an diesem Punkt scheiden sich die Geister. Für die einen spielt dieser Beitrag eine untergeordnete Rolle, für die anderen ist er wesentlich.

"Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist im Vergleich zur Wasserdampfkonzentration, dem Hauptverursacher des Treibhauseffekts, lächerlich. Und der natürliche CO2-Ausstoß liegt wesentlich höher als der, der durch den Menschen verursacht wird", so wird von den Skeptikern regelmäßig argumentiert. Durch das natürliche Phänomen des Treibhauseffekts wird Leben auf der Erde erst möglich. Ohne dieses läge die Durchschnittstemperatur auf der Erde bei -18 °C anstelle von 15 °C. "Und Wasserdampf ist tatsächlich das primäre Treibhausgas. Doch das Problem ist nicht der Treibhauseffekt an sich, sondern seine Verstärkung, die seit mehr als 40 Jahren von Satelliten gemessen und dokumentiert wird und die auf die Aktivität des Menschen zurückgeht. Die Isotopenanalysen des atmosphärischen CO2 beweisen, dass der Ursprung für die Zunahme dieses Gases in der Atmosphäre auf die Nutzung fossiler Brennstoffe zurückzuführen ist."

Es stimmt, dass die natürlichen CO2-Emissionen viel höher sind als jene, die durch den Menschen verursacht werden. "In einem Vortrag zum Kohlenstoffkreislauf vor dem belgischen Erdölverband 1997 erwähnte ein Klimaforscher, dass der natürliche Kohlenstoffstrom bei etwa 200 Milliarden Tonnen pro Jahr liege im Vergleich zu 8 Milliarden Tonnen Kohlenstoff menschlichen Ursprungs. Daher sei es seiner Ansicht nach lächerlich, die mageren 4 Prozent aus menschlichen Aktivitäten anzugreifen." Aber es ist nur eine Frage des Gleichgewichts. "Er hat allerdings nicht gesagt, dass die natürlichen Systeme ihre Emissionen recyceln, vor allem durch Fotosynthese." Damit absorbieren diese Systeme das Kohlendioxid, das sie ausstoßen. "Das ist wie bei einer Waage, die sich im Gleichgewicht befindet: Wenn man auf der einen Seite Staub hinzufügt - hier das durch den Menschen verursachte CO2 - dann kippt das Gleichgewicht." Und dabei wurde noch nicht mal die massive Entwaldung hinzugerechnet, die das Gewicht auf der anderen Seite der Waage verändert.


Wenn der IPCC die Tür zuschlägt

Auch die Klimamodelle(2), auf die sich der IPCC für seine Prognosen stützt, stehen zur Debatte. Sind sie zuverlässig? Die größten Skeptiker schätzen, dass es für Schlussfolgerungen nicht ausreicht, nur die Parameter zu kennen, die das Klima auf der Erde beeinflussen. "In der Wissenschaft gibt es keine Sicherheit, doch im Gegensatz zu dem, was sie vorgeben, sind die Klimamodelle keine einfachen statistischen Extrapolationen." Auf der Grundlage physikalischer, chemischer und biologischer Gesetzmäßigkeiten müssen diese Modelle zunächst das aktuelle Klima simulieren können. Im nächsten Schritt muss verifiziert werden, dass sie auch das Klima der Vergangenheit simulieren können. "Damit wird es möglich, das Werkzeug zu validieren, mit dem Beobachtungen zum Klima der vergangenen hundert, tausend oder hunderttausend Jahre mithilfe von Eisproben gemacht werden. Anschließend können diese Modelle zur Erstellung von Projektionen genutzt werden, und nicht zur Voraussage des künftigen Klimas, denn das ist nicht möglich." Glaubt man den Modellen, variieren diese Projektionen je nach Zukunftsszenario für die Treibhausemissionen erheblich.

Im Dokumentarfilm The Great Global Warming Swindle von Martin Durkin sind Wissenschaftler zu sehen, die aus dem IPCC ausgetreten sind, weil sie mit den Projektionen der für die politischen Entscheidungsträger vorgesehenen Berichte nicht einverstanden waren. Klimaexperten drehen ihren Kollegen den Rücken zu und das nährt bei allen den Zweifel. "Obwohl die Gruppe aus zwischenstaatlichen Experten besteht, ist der Erstellungsprozess der Berichte sehr unabhängig. Die Autoren verfassen die Texte auf der Grundlage der wissenschaftlichen Literatur und diese Texte durchlaufen drei Korrekturrunden durch Experten und Regierungen." Jeder Kommentar zu einer Zeile oder einem Paragrafen wird in eine Tabelle eingetragen, und zu jedem Kommentar geben die Autoren anschließend eine Rückmeldung. Die Lektoren wachen darüber, dass jeder Kommentar von den Autoren ehrlich bewertet wird. Und damit das alles auch transparent ist, sind diese Tabellen auf der Website des IPCC zugänglich.

"Ein Bericht bedeutet Hunderte Autoren und insgesamt 2 500 Experten, die sich am Lektorat beteiligen. Dass sich manche zu einem bestimmten Zeitpunkt unbehaglich fühlen - und das ändert auch nichts daran, dass es sich um gute Wissenschaftler handelt -, weil sie ihre Ideen nicht durchsetzen können, ohne dass diese mit anderen Aspekten in der Literatur oder Kommentaren zusammenstoßen, das ist unvermeidlich."


Skepsis oder doch nicht?

Ist das einfach nur ein Meinungsstreit unter Experten? Die Debatte wird allerdings manchmal mit erstaunlicher Heftigkeit geführt. Manche Skeptiker zögern auch nicht, das "einheitliche Denken" des IPCC infrage zu stellen und werden dann selbst als "Leugner" oder "Revisionisten" bezeichnet. Die Dramatisierung der Kontroverse in gewissen Medien und auf manchen Blogs trägt dazu bei, dass die Sichtweisen unvereinbar erscheinen, als ob es eine Glaubensfrage wäre. Angesichts der Unstimmigkeit weiß die Öffentlichkeit nicht mehr, wem sie eigentlich glauben soll und vergisst wahrscheinlich auch, dass der Zweifel und die Suche nach der Wahrheit immer zusammengehören. "Alle Wissenschaftler müssen skeptisch sein. Ich sehe nicht ein, weshalb manche die Skepsis monopolisieren müssen."

Die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Folgen sind natürlich immens. Sollte der Einfluss der menschlichen Aktivitäten auf das Klima zu vernachlässigen sein, dann sind viele Anstrengungen womöglich umsonst gewesen - selbst wenn die, die dem Versiegen der fossilen Ressourcen entgegenwirken sollten, Auswirkungen auf unsere Energieversorgung der Zukunft haben. Wenn dagegen der menschliche Faktor das natürliche Gleichgewicht so stark stört, dass es sich nicht mehr erholen kann, dann wäre ein passives Verhalten, also nichts zu tun, um diesen Zustand zu ändern und sich auf die Folgen vorzubereiten, in den Augen der uns folgenden Generationen eine grobe Fahrlässigkeit.

1. Alle Zitate von Jean-Pascal van Ypersele.
2. Siehe Artikel 'Die Diagnosewerkzeuge' in dieser Ausgabe.(*)

(*) Anmerkung der Schattenblick-Redaktion: siehe:
www.schattenblick.de → Infopool → Umwelt → Klima
FORSCHUNG/346: Dossier Klima - Klimamodelle. Die Diagnosewerkzeuge (research*eu)


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Tausend Jahre Klima in Europa

Im Rahmen des RP6-Projekts Millennium European Climate soll ermittelt werden, ob die aktuellen klimatischen Veränderungen über die normale Variationsbreite des Klimas hinausgehen, das im vergangenen Jahrtausend in Europa beobachtet wurde. Die beteiligten Forscher der 40 Universitäten und Forschungseinrichtungen haben ihre unterschiedlichen Kompetenzen gebündelt, um das Klima Europas der Vergangenheit zu rekonstruieren. "Es ist ein multidisziplinäres Projekt, in dem verschiedene Ansätze verwendet werden, etwa die Analyse historischer Archive, Jahresringe von Bäumen, Sedimente aus Seen, Eisproben sowie Modellierungen", erklärt Rob Wilson, Paläoklimatologe an der Universität Saint Andrews in Schottland (UK). "Jeder Ansatz hat seine Stärken und Schwächen, und wir setzen die Stärken jedes Datentyps ein, um die Geschichte des Klimas in Europa der letzten 1.000 Jahre zu rekonstruieren."

Sobald die Daten gesammelt und analysiert wurden, werden sie mit den Ergebnissen aus den Modellen verglichen. "Wenn diese beiden unabhängigen Informationsquellen sich decken, wird dadurch nicht nur ein besseres Verständnis der klimatischen Veränderungen der Vergangenheit möglich, sondern auch die Ermittlung der dominierenden Faktoren der Veränderungen in den verschiedenen Perioden", erklärt der Forscher. Ein halbes Jahr vor Ende von Millennium European Climate liegen die Abschlussergebnisse noch nicht vor. Jedoch liegen die vorläufigen Analysen "allgemein auf einer Linie mit den Schlussfolgerungen des IPCC", erläutert Rob Wilson.

137.44.8.181/millennium
http://137.44.8.2/


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Entnahme einer Eisprobe in der Antarktis im Rahmen des EPICA-Programms. Foto: CNRS Photothèque/IPEV/Claude Delhaye

Sind die Aktivitäten des Menschen an der Erwärmung schuld? Die Debatte ist noch lange nicht zu Ende. Foto: Shutterstock/Trance Drumer

Auf der ganzen Welt wird der CO2-Ausstoß gemessen, doch mit unterschiedlichen Methoden.

35 Meter hoher Turm im Wald von Barbeau (FR), zur Messung der Kohlenstoff- und Wasserströme zwischen einem Waldökosystem und der Atmosphäre. Foto: CNRS Photothèque/Jean-Yves Pontailler

Probenentnahme aus dem Mittelmeer im Rahmen des Epoca-Projekts, mit dem die Versauerung der Ozeane beleuchtet werden soll. Das Meerwasser nimmt hohe Mengen an Kohlendioxid aus der Atmosphäre auf, was zur Versauerung führt. Foto: CNRS Photothèque/John Pusceddu

Messinstrumente an einem Drachen, mit denen der Wind und die CO2-Mengen in 100 m und 200 m Höhe gemessen werden. Dieses Experiment wurde im Rahmen der Amma-Kampagne (Analyses multidisciplinaires de la mousson africaine) in Benin durchgeführt. Foto: CNRS Photothèque/Claude Delhaye


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Quelle:
research*eu Nr. 63, Juli 2010, S. 17-19
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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Chefredakteur: Michel Claessens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2010