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FORSCHUNG/378: Klima-Hotspot Moorböden (ForschungsReport)


ForschungsReport 2/2011
Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz

Landwirtschaft und Klimawandel

Klima-Hotspot Moorböden

von Barbara Michel, Olivia Plättner und Franziska Gründel (Braunschweig)


Bei der Vermeidung klimaschädlicher Treibhausgase gewinnen landwirtschaftlich genutzte Moorböden immer mehr an Bedeutung. Sie sind die größte Einzelquelle für Treibhausgase außerhalb des Energiesektors, vergleichbar etwa mit den jährlichen Emissionen des gesamten deutschen Luftverkehrs. Am Thünen-Institut in Braunschweig stehen deshalb seit 2009 Moorböden im Fokus der Forschung.

Wer einem Moor seine Geheimnisse entlocken will, muss sehr früh auf den Beinen sein. Katharina Leiber-Sauheitl und Bärbel Tiemeyer vom Thünen-Institut für Agrarrelevante Klimaforschung in Braunschweig fahren dafür schon mitten in der Nacht - gegen halb vier - ins Große Moor bei Gifhorn in Niedersachsen. Wie jede Woche wollen sie Gasmessungen in dem entwässerten und landwirtschaftlich genutzten Moor machen. Die Messungen müssen schon vor Sonnenaufgang begonnen werden, um eine Referenz für die Ökosystematmung (das von Pflanzen und Böden freigesetzte CO2, vgl. Abb. 4) bei niedrigen Bodentemperaturen zu haben. Die beiden Wissenschaftlerinnen untersuchen die Kohlendioxidflüsse, das heißt wie viel CO2 die Untersuchungsflächen im Verlauf eines Tages aufnehmen und wieder abgeben.

Drainierte (= entwässerte) Moorböden sind "Hotspots" für Treibhausgase: Fast die Hälfte (40%) der deutschen Emissionen aus Landwirtschaft und Landnutzung entstehen auf nur 8% der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Um Moore landwirtschaftlich zu nutzen, müssen sie künstlich entwässert werden. Die Folge: Durch die Oxidation des im Boden gebundenen Kohlenstoffs entweichen klimarelevante Gase, namentlich Kohlendioxid und Lachgas. Bisher weiß man noch zu wenig über die Emissionen von Treibhausgasen aus drainierten Mooren: Welchen Einfluß haben zum Beispiel die Bewirtschaftung, das Wassermanagement und unterschiedliche Bodeneigenschaften? Wissenschaftler im Verbundprojekt "Organische Böden" (www.organische-boeden.de) wie Enrico Frahm, der sich am Thünen-Institut mit der Bodenhydrologie beschäftigt, versuchen Antworten auf diese Fragen zu finden. Zudem soll im Projekt ein Ansatz entwickelt werden, mit dem die Messungen an Einzelstandorten auf die Gesamtfläche organischer Böden in Deutschland übertragen werden können (Abb. 1).

Klimaschutz durch Moorschutz

Deutschland hat sich mit der Ratifizierung des Kyoto-Protokolls verpflichtet, jährlich eine detaillierte "Buchführung" über Emissionen klimawirksamer Gase und über die seit 1990 ergriffenen Minderungsmaßnahmen vorzulegen. Im Jahr 2009 hat das Thünen-Institut auf der Basis detaillierter georeferenzierter Boden- und Landnutzungsdaten erstmals berechnet, wie hoch die CO2-Emissionen sind, die durch landwirtschaftliche Nutzung dränierter Moorböden entstehen. Es handelt sich um Größenordnungen von ca. 40 Millionen Tonnen pro Jahr.

Die CO2-Emissionen aus der landwirtschaftlichen Moornutzung werden in Deutschland jedoch derzeit bei den Verpflichtungen unter der Klimarahmenkonvention, aber nicht bei den Verpflichtungen zur Emissionsminderung unter dem Kyoto-Protokoll berücksichtigt. Derzeit hätte Deutschland bei der Erfüllung seiner Kyoto-Verpflichtungen keinen Vorteil, wenn es die Emissionen aus der landwirtschaftlichen Nutzung von Moorböden mindern würde. Das könnte sich jedoch bald ändern. Bei der nächsten Klimakonferenz (COP) im Dezember 2011 in Durban werden neue Anrechnungsregeln für die Zeit nach 2012 verhandelt, sodass eine klimafreundliche Moornutzung in Zukunft anrechenbar werden könnte. Dann wird es noch wichtiger sein, verbesserte Daten für die Berechnung der Emissionen nutzen zu können. Bisher werden die Emissionen aus Moorböden noch so berechnet: Die Fläche organischer Böden (ha) unter Acker- bzw. Grünlandnutzung wird mit dem entsprechenden Emissionsfaktor für Acker und Grünland multipliziert. Die Auswirkungen unterschiedlicher Grundwasserstände oder spezifischer Landnutzungen (z.B. intensive oder extensive Grünlandwirtschaft) können bisher nicht berücksichtigt werden. Genau daran arbeitet derzeit das "Moor-Team" des Thünen-Instituts mit dem Ziel, die deutsche Emissionsberichterstattung für organische Böden unter der Klimarahmenkonvention weiter zu verbessern. Die Datengrundlage bilden bundesweite Messungen an 80 verschiedenen Standorten, die sich auf 11 Testgebiete vor allem in den moorreichen Regionen Nord- und Südwestdeutschlands verteilen (s. Abb. 1). Aber auch im europäischen Kontext sind die Ergebnisse gefragt: Im Rahmen des EU-Projekts "GHG-Europe" (www.ghg-europe.eu), das vom Thünen-Institut für Agrarrelevante Klimaforschung koordiniert wird, fließen die Ergebnisse in die Berechnung der Treibhausgasbilanz Europas ein.

Moore als Kohlenstoffspeicher

Um zu verstehen, warum drainierte Moorböden große Mengen von Treibhausgasen freisetzen, muss man das Funktionsprinzip des Ökosystems Moor betrachten. Ein intaktes Moor ist durch einen flurnahen Wasserstand gekennzeichnet. Unter Luftabschluss werden torfbildende Pflanzen nicht wie in einem mineralischen Boden zersetzt, sondern konserviert. Aus den unvollständig abgebauten Pflanzenresten entsteht mit der Zeit Torf. Er stellt die erste Vorstufe zur Entstehung fossiler Rohstoffe dar und besteht zu fast 100% aus Kohlenstoffverbindungen. Die Torfbildung ist ein sehr langsamer Prozess, der nach der letzten Eiszeit besonders dort eingesetzt hat, wo es feucht und kühl war. Moore können daher bis zu 10.000 Jahre alt sein und wachsen in etwa einen Millimeter pro Jahr. Holt man im Moor eine Probe aus einem Meter Tiefe, blickt man also auf etwa 1.000 Jahre Erdgeschichte. Ein Moor ist daher nicht nur ein Kohlenstoffspeicher, sondern auch immer ein Archiv der Kultur- und Klimageschichte (siehe Info-Box).

Solange im Moor ausreichend Wasser vorhanden ist und der Torf nicht mit Sauerstoff in Kontakt kommt, bleibt der Kohlenstoff gespeichert. Ein natürliches Moor ist aufgrund der Kohlenstoff-Akkumulation meist klimaneutral oder klimapositiv. Problematisch wird es jedoch, wenn ein Moor künstlich entwässert wird (Abb. 2).

Landwirtschaftliche Moornutzung

Überall in Deutschland, wo Moorböden aufgrund der klimatischen Bedingungen weit verbreitet sind (Abb. 1), hat die landwirtschaftliche Nutzung dieser Flächen eine lange Tradition. Damit die Standorte genutzt werden können, müssen sie aufwändig bearbeitet und an die Ansprüche der gewünschten Zielfrucht angepasst werden. Am wichtigsten ist dabei die Entwässerung mit Hilfe von Gräben und Drainagen. Dies führt zum Absacken des Geländes, unter anderem verursacht durch den mikrobiellen Abbau der organischen Substanz. Der im Verlauf von Jahrtausenden gespeicherte Kohlenstoff wird innerhalb von wenigen Jahren umgesetzt und entweicht als CO2. Zusätzlich werden Moorböden gedüngt und zum Teil mit Sand vermischt, um die Bodeneigenschaften zu verbessern. Vor allem der Anbau von nährstoffhungrigen Kulturpflanzen wie Mais und die intensive Weidewirtschaft heizen dem Klima ordentlich ein. Denn die Düngung mit Stickstoff verursacht zusätzlich zu den CO2-Emissionen noch die Freisetzung von Lachgas (N2O), das die rund 300-fache Klimawirkung von CO2 hat.

Kompromisse finden

Die Emissionen landwirtschaftlich genutzter Moorstandorte sind unverhältnismäßig hoch im Vergleich zur gesamten Landwirtschaft auf der restlichen Nutzfläche. Die jährlichen Emissionen sind vergleichbar mit denen des deutschen Luftverkehrs, welche bei Überlegungen zur Verringerung von Treibhausgasen weit oben auf der Agenda stehen. Daher wäre es sinnvoll, ebenso auch eine klimafreundlichere Moornutzung in Erwägung zu ziehen. Für die Reduzierung von Treibhausgasen hätte eine klimaschonende Moornutzung große Wirkung auf kleiner Fläche. Dass die landwirtschaftliche Nutzung von drainierten Moorböden jedoch nicht generell verworfen werden kann, liegt auf der Hand - zu viele Landwirte wären davon betroffen. Es geht vielmehr darum, die Nutzung mit den Zielen des Klimaschutzes in Einklang zu bringen. Der Schlüssel dazu liegt in der Regulierung des Wasserstands: Er muss in Richtung der naturnahen Lage eingestellt werden, um einen deutlichen Klimaschutzeffekt zu erzielen.

Ein Kompromiss könnte daher die Wiedervernässung für eine extensive Weidewirtschaft sein oder auch der Anbau mehrjähriger Pflanzen, die einen entsprechend hohen Wasserstand erlauben, für nachwachsende Rohstoffe.

Messen, messen, messen

Zurück im Großen Moor bei Gifhorn: Für Katharina Leiber-Sauheitl und Bärbel Tiemeyer bleibt zwischen zwei Messintervallen nur kurz Zeit für einen Schluck Kaffee. Mit Hilfe einer durchsichtigen Haube, die ungefähr dem Volumen von zwei großen Reisekoffern entspricht, messen sie die CO2-Flüsse zwischen Biosphäre und Atmosphäre (Abb. 3). Eine Messung dauert drei Minuten, danach wird die Haube kurz "gelüftet" und auf eine neue Messparzelle umgesetzt. In Abhängigkeit von der Sonneneinstrahlung und der Temperatur ändern sich die CO2-Flüsse im Verlauf eines Tages. Viele Einzelmessungen - rund 50 am Tag - sind deshalb nötig, um einen für die jeweilige Jahreszeit und Vegetation typischen Tagesgang zu bestimmen (Abb. 4). Eine Klimastation, mehrere Grundwasserpegel und weitere Messgeräte gehören zum Inventar aller Testgebiete im Verbundprojekt. Sie erfassen eine Vielzahl von meteorologischen und hydrologischen Daten. Die beiden Wissenschaftlerinnen benötigen all diese Informationen, um die Emissionen ihrer Messparzellen möglichst genau zu berechnen.

Ein langer, sonnenreicher Arbeitstag im Moor neigt sich dem Ende entgegen. Bärbel Tiemeyers Blick richtet sich gen Himmel: "Heute bin ich sehr zufrieden."

Kontakt:
Dr.-Ing. Bärbel Tiemeyer,
Johann Heinrich von Thünen-Institut,
Institut für Agrarrelevante Klimaforschung,
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig.
E-Mail: baerbel.tiemeyer[at]vti.bund.de


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Info:
Moore - Archive der Vergangenheit

Forscher verschiedenster Disziplinen machen sich die konservierende Eigenschaft der Moore zu Nutze und entlocken dem Moor viele Geheimnisse über unsere kultur- und umweltgeschichtliche Vergangenheit. Dabei reicht der Ursprung einiger Befunde bis weit in die Steinzeit zurück.

Pflanzenfunde: Die Analyse von Pflanzenresten und Pollen liefert Erkenntnisse zur Vegetation und landwirtschaftlichen Nutzung. Anhand von Pflanzen, die nur unter bestimmten klimatischen Bedingungen wachsen, lässt sich die Klimageschichte einer Region nachvollziehen.

Moorleichen: Im Moor versunkene Leichen werden häufig bei Torfstecharbeiten entdeckt. Oft sind die Körper so gut erhalten, dass sich noch Einzelheiten der Gesichtszüge erkennen lassen. Der Zustand der Leiche und eventuelle Grabbeigaben geben Aufschlüsse über Bestattungsriten und Totenkult einer Kultur; Speisereste im Magen deuten auf bestimmte Essgewohnheiten hin; Kleiderfasern liefern Informationen zur Textilverarbeitung.

Sonstige Funde: Werkzeuge, Gegenstände das alltäglichen Bedarfs oder sogar versunkene Fuhrwerke zeugen von den technologischen und handwerklichen Fähigkeiten und ermöglichen Rückschlüsse auf damalige Lebensumstände. Alte Bohlwege, die eine Durchquerung der Moore ermöglichten, zeigen die Vernetzung verschiedener Regionen auf.

Info:

Organische und mineralische Böden

Moore und andere Böden mit einem hohen Gehalt an organischer Substanz werden international als "organische Böden" bezeichnet. Moore haben eine Torfauflage von mindestens 30 cm und mit mehr als 30% organischer Substanz. Torfe entstehen unter wassergesättigten Bedingungen aus unvollständig zersetzten Pflanzen wie z.B. Torfmoosen, Schilf oder Erlen. Durch Entwässerung verschlechtern sich die Bodeneigenschaften der Torfe (Abnahme der Kohlenstoffkonzentrationen, Zunahme der Dichte, Rissbildung), und jährlich verschwinden mehrere Millimeter bis Zentimeter Torf durch Sackung und Zersetzung des Torfs durch Mikroorganismen.

Im Gegensatz zu organischen Böden sind mineralische Böden der "Normalfall" in der Landschaft. Sie entstehen unter dem Ein von Klima, Relief, Vegetation und weiteren Faktoren aus verschiedensten Ausgangsgesteinen. Ihr Gehalt an organischer Substanz beträgt meist nur wenige Prozent.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Profil Moorboden
Profil Pseudogley
Gehalte an organischer Bodensubstanz

Solche naturnahen Moorlandschaften sind in Deutschland selten geworden: Ungefähr 75% der Moore werden landwirtschaftlich genutzt, was zu einer enormen Freisetzung von CO2 führt.

Abb. 1: Moorflächen und weitere potenzielle Flächen organischer Böden
in Deutschland und die 11 im Projekt untersuchten Testgebiete (TG)
TG1 Ahlenmoor
TG8 Dummerstorf
TG7 Leegmoor
TG3 Peenetal
TG9 Großes Moor
TG4 Paulinenaue
TG2 Dümmer
TG10 Spreewald
TG5 Mooseurach
TG11 Rheintal
TG5 Freisinger Moos
Kartengrundlage: BÜK 1000 (BGR)

Abb. 2.: Einfluss des Wasserstands auf die Emission von Treibhausgasen aus Moorböden

Abb. 3: Umsetzen der Messhaube für die nächste CO2-Flussmessung, v.l.n.r. Bärbel Tiemeyer, Linn Schröder und Katharina Leiber-Sauheitl.

Abb. 4: Tagesgang der CO2-Flüsse an einem sonnigen Augusttag in einem leicht entwässerten Grünland im "Großen Moor":

Rote Kurve: Die Ökosystematmung setzt sich aus pflanzlicher Atmung und Bodenatmung (v.a. Torfmineralisierung) zusammen. Sie wird mit lichtundurchlässigen Hauben gemessen. Ihr Tagesgang hängt vor allem von der Bodentemperatur ab.
Grüne Kurve: Die Photosynthese hängt vom Entwicklungsstand der Pflanzen und im Tagesgang vom Sonnenlicht ab. Photosynthese findet von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang statt. Einzelne Wolken reduzieren die Photosynthese, z.B. gegen 16:30 Uhr. Die Photosynthese kann nicht direkt mit Hauben gemessen werden, sondern wird aus Ökoystematmung und Nettoökoystemaustausch berechnet.
Orange Kurve: Der Nettoökoystemaustausch wird mit transparenten Hauben gemessen (s. Abb. 3) und ist die klimarelevante Zielgröße. Am Beispieltag wird netto CO2 freigesetzt. Bei Dunkelheit und schwachem Licht (bis ca. 8 Uhr und nach ca. 19 Uhr) überwiegt die Ökosystematmung, bei starkem Sonnenlicht die Photosynthese.

Entwässerte ackerbaulich genutzte Moore sind unerwartet trocken. Trockenrisse zeigen, dass der Torf zunehmend zersetzt und pulverisiert wird. Dies erhöht das Risiko für Ertragsausfälle.


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2011, Heft 44 - Seite 9-13
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Schriftleitung & Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsanstalten
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI)
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2012