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FORSCHUNG/388: Mit Waldmodellen und Fernerkundung mehr über das Klima erfahren (UFZ-Newsletter)


Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
UFZ-Newsletter Februar 2012

Der Wald im Computer

Die Wälder der Erde spielen eine wichtige Rolle für das globale Klima. Trotzdem sind viele der Schlüsselprozesse, die den Kohlenstoffhaushalt und die Koexistenz von Arten steuern, noch nicht gut verstanden. Simulationsmodelle und ein Satellitenprojekt könnten die Wissenschaftler in dieser Sache entscheidend voranbringen.


Mit Waldmodellen und Fernerkundung mehr über das Klima erfahren

von Benjamin Haerdle

Die Hohe Feige (Ficus altissima) ist wahrscheinlich nur den Spezialisten bekannt. Im Leipziger Zoo erweckt ein Exemplar der tropischen Baumart aber das Interesse der Öffentlichkeit. Besucher der Tropenerlebniswelt Gondwanaland können an dem Baum Tag für Tag ablesen, um wie viel Zentimeter sein Stammumfang zugenommen hat, wie viel er gewachsen ist und wie viel Kohlenstoff er speichert. Aufgebaut hat das Messgerät der UFZ-Forscher Prof. Dr. Andreas Huth. "Wir wollen verdeutlichen, welche wichtige Funktion Bäume und Wälder im globalen Kohlenstoffstoffkreis haben". Damit lasse sich das Unsichtbare sichtbar machen: Die tägliche Kohlenstoffaufnahme eines Baumes. Was sich im Zoo anhand des Feigenbaumes sehr anschaulich zeigen lässt, versuchen Forscher schon seit Jahren möglichst präzise für die Vegetation weltweit herausfinden - bislang jedoch ohne durchschlagenden Erfolg. Doch sie brauchen dieses und weiteres Wissen zu anderen ökologischen Prozessen dringend, etwa um die globalen Klimamodelle besser zu verstehen. So streiten sich seit vielen Jahren die Ökologen darüber, warum in ökologischen Gesellschaften so viele Arten nebeneinander existieren können und trotzdem Konkurrenten sind. Besonders deutlich wird dieses Phänomen im tropischen Regenwald, wo oft auf nur wenigen Hektar hunderte unterschiedliche Baumarten vorkommen. Prof. Andreas Huth und sein UFZ-Kollege Dr. Thorsten Wiegand arbeiten mit zahlreichen internationalen Kollegen seit über zehn Jahren daran, dieser Frage auf den Grund zu gehen.


Millionenschweres Prestigeprojekt

Um mehr über die Schlüsselprozesse zu erfahren, die die Artenzusammensetzung und die Dynamik in diesen artenreichen Gemeinschaften steuern, haben die zwei UFZ-Forscher Fördermittel aus dem derzeit renommiertesten Förderprogramm Europas einwerben können, dem European Research Council (ERC). Damit finanziert die Europäische Union exzellente Forschung. Für insgesamt fünf Jahre stehen den beiden Modellierern mehr als zwei Millionen Euro zur Verfügung. Huth und Wiegand können nun mit neuen Modellierungsansätzen experimentieren, um das Entstehen räumlicher Strukturen von Baumarten in Wäldern und ihre Bedeutung für die Artenkoexistenz zu untersuchen. Sie analysieren, wie Bäume in verschiedenen bis zu 50 Hektar großen Daueruntersuchungsflächen in temperierten und tropischen Wäldern rund um den Globus verteilt sind. Wie ist die räumliche Struktur der Wälder? Was sind Ursachen, warum die Bäume in bestimmten Mustern verteilt sind? Interagieren die Arten miteinander? Welche Konsequenzen haben die räumlichen Strukturen für Koexistenz und Walddynamik? Um auf derlei Fragen Antworten zu finden, steht den Forschern eine große Datenmenge zur Verfügung: Sie können auf Informationen wie Baumart, Größe, Zuwachs oder Mortalität von Bäumen zugreifen, die Ökologen seit den 1980er Jahren weltweit auf komplett kartierten 25 bis 50 Hektar Untersuchungsflächen in temperierten und tropischen Wäldern alle fünf Jahre erhoben hatten. "In dieser Größenordnung die räumliche Struktur von Bäumen zu erforschen ist neu", sagt Wiegand. Weil die Daten alleine aber noch keinen genauen Aufschluss über die Prozesse geben, die Auslöser für die Verteilung der Bäume sind, erfassen die beiden mit Simulationsmodellen auch die Dynamik der Waldentwicklung. Damit wollen sie herausfinden, welche Prozesse ausschlaggebend sind für den Aufbau bestimmter räumlicher Muster. Das Ziel: "Wenn wir mit Modellen diese Muster wiedergeben können, dann können wir untersuchen, welche Muster durch ökologische Prozesse wie zum Beispiel das Wachstum der Bäume, Regeneration oder Konkurrenz entstanden sind", sagt Wiegand. Die Strukturen der Modelle, die die im Freiland erhobenen Daten am besten widerspiegeln, erlauben dann Rückschlüsse auf die Mechanismen, die die Koexistenz von so vielen Arten ermöglicht.

Rückschlüsse lassen sich mit den bisherigen Befunden aus dem ERC-Vorhaben aber auch auf die Artenvielfalt ziehen. So haben die UFZ-Forscher beispielsweise mit Wissenschaftlern aus Sri Lanka eine Methode entwickelt, mit der sie für Baumarten bestimmen können, ob diese die Artenvielfalt fördern oder unterdrücken. Mit der "Individual species-area relationship"-Methode lassen sich attraktive, abstoßende sowie neutrale Arten klassifizieren - je nachdem, wie viele andere Baumarten in deren Umgebung wachsen. Für ein Untersuchungsgebiet im Nationalpark Sinharaja in Sri Lanka stellten die Forscher fest, dass zwei Drittel der Arten keine identifizierbaren Spuren in der lokalen Artenvielfalt hinterlassen und damit als neutral gelten. Dies stützt in der Ökologie eine momentan heftig diskutierte Theorie, dass die Eigenschaften von Arten für die Stabilität und Vielfalt von Ökosystemen nur eine untergeordnete Rolle spielen.


Präzisere Kohlenstoffbilanzen

Neue Hinweise erhoffen sich Huth und Wiegand auch für einen anderen Dauerbrenner in der Waldforschung, die Berechnung der Kohlenstoffbilanzen. Über die groben Fakten herrscht weitestgehend Konsens: Wälder bedecken rund 30 Prozent der Landfläche der Erde, und tropische Regenwälder spielen eine wichtige Rolle, weil sie große Mengen an Kohlenstoff aufnehmen. Global speichert die gesamte Vegetation pro Jahr bis zu zwei Gigatonnen Kohlenstoff. Sie reduziert so den jährlichen Anstieg der Kohlenstoffmenge in der Atmosphäre auf drei Gigatonnen. Ein Ruhekissen ist das beileibe nicht. Zum einen rodet der Mensch per annum bis zu 5,5 Millionen Hektar Wald, was den Kohlenstoffanstieg mit jährlich 1,5 Gigatonnen forciert. Zum anderen schädigt der Klimawandel die Speicherfunktion der Wälder. Als beispielsweise in Europa im Jahr 2003 monatelang Trockenheit herrschte, nahm die Produktivität der Vegetation um 30 Prozent ab. Normalerweise gleicht die Vegetation Europas den Ausstoß von Kohlenstoff durch die Menschen zu einem gewissen Teil aus, in jenem Jahr verstärkte sie ihn jedoch. Das mehrt bei den Forschern die Sorge, ob die Vegetation in Zukunft weiterhin eine entscheidende Rolle bei der Speicherung des Kohlenstoffs spielen kann. "Die Veränderung des Klimas kann drastische Konsequenzen für die Wälder der Erde haben, insbesondere für Tropenwälder, die die größten Mengen an Kohlenstoff speichern", befürchtet Huth. Auch deshalb sei es wichtig, die Entwicklung der Pflanzendecke noch genauer zu untersuchen.

Aber noch gibt es dazu mehrere ungeklärte Punkte, darunter ein ganz entscheidender: Bislang vermag niemand seriös zu sagen, wie viel Kohlenstoff in der Vegetation überhaupt gespeichert ist. Aktuelle Schätzungen gehen von rund 600 Gigatonnen Kohlenstoff aus. Dies wäre genauso viel, wie derzeit in der Atmosphäre Kohlenstoff vorhanden ist. "Das verdeutlicht, warum sich der Mensch dringend um den Schutz der Wälder kümmern sollte", sagt Huth. Gescheitert ist die präzise Messung des Kohlenstoffs in der Vegetation bislang daran, dass die Forscher mit den üblichen optischen Satelliten nur die Produktion der Vegetation messen konnten, nicht aber die Biomasse. An seine Grenzen stoßen die Satelliten nämlich, wenn die Vegetation zu dicht ist oder Bäume zu viele Blätter haben. "Dann werden die Schätzungen zur Biomasse sehr ungenau", weiß Huth. Hinzu kommt: Die Tropenwälder liegen oft unter dichten Wolken, so dass zwei Drittel der Messungen untauglich sind. Neue Radartechnik zur Messung des Kohlenstoffbestands in der Vegetation ist also gefragt.


Neue Satelliten wären Quantensprung

UFZ-Forscher Huth feilt deshalb mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen an einem neuen Projekt zur Fernerkundung, um in Zukunft den in den Wäldern gespeicherten Kohlenstoff exakter zu messen. Alle 20 Tage sollen zwei mit einem Radar L-Band ausgestattete Satelliten in einer Höhe von 705 Kilometern die Erde umrunden - so zumindest sieht der Plan für das Forschungsvorhaben aus. Die Messungen ergeben Informationen mit einer deutlich höheren Auflösung als bisher, z. B. über die oberirdische Biomasse in den Wäldern der Erde oder die Bodenfeuchte. Die Vorteile der innovativen Technik: Im Gegensatz zu den bisherigen Satelliten würden weder Wolken noch Dunkelheit die Messung beeinträchtigen. Mit den flächendeckenden Informationen über die weltweite Vegetationsdecke könnte man eine der bekannten Wissenslücken in der Klimaforschung und Schwächen der Klimamodelle beheben, basieren diese doch auf Datensätzen, die in verstreut liegenden Stationen erhoben und dann interpoliert wurden. "Für die Forschung wäre das Satellitenprojekt ein Quantensprung", urteilt Huth.

Zupass kommt dem Forscherduo, dass sich mit den Ergebnissen aus dem ERC-Projekt auch die Radarsignale der neuen Satelliten und damit die Informationen zur Biomasse besser verstehen ließen. "Wer die Signale interpretieren und auswerten will, muss die Strukturen der heterogenen Wälder kennen", sagt Wiegand. Diese Strukturen könnten die Waldmodelle liefern, da sich damit auch Karten zur Verteilung der Biomasse erstellen lassen. Das ist nicht die einzige Vision, die die beiden Forscher haben: Sie wollen künftig anhand der Satellitenbilder auch unterscheiden, ob ein Wald gestört oder ungestört ist. Da die Biomasse auch für bestimmte Höhenschichten des Waldes bestimmt werden kann, könnten sich somit auch Rückschlüsse auf unterschiedliche Störungstypen wie Feuer oder Abholzung ziehen lassen. In eine ähnliche Richtung denken die Forscher am UFZ-Department Ökologische Systemanalyse bereits seit vielen Jahren. Die Modellierer haben zum Beispiel Regenwaldmodelle mit den eingängigen Namen FORMIX und FORMIND entwickelt, mit denen sich die Folgen von Störungen auf die Struktur und die Entwicklung von Wäldern abschätzen lassen. Angewandt hat die Modelle zum Beispiel die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, die in den 1990er Jahren Konzepte für die nachhaltige Bewirtschaftung von Tropenwäldern entwickelt hat.

Auch für die wissenschaftliche Auswertung der Radar-Satelliten-Signale durch die UFZ-Forscher gibt es wieder reichlich Interessenten. Beim UN-Tropenschutzprogramm REDD (Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation in Developing Countries), das wertvolle Waldbestände in tropischen Entwicklungsländern vor dem Abholzen schützen soll, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die regelmäßig Berichte zum Zustand der Wälder veröffentlicht, beim WWF oder dem Forest Stewardship Council (FSC) stoßen die UFZ-Pläne auf großes Interesse. Noch ist das aber Zukunftsmusik. Doch die US-Raumfahrtbehörde NASA hat bereits ihr Interesse erklärt, einen der beiden Tandem-L-Satelliten zu finanzieren, und auf deutscher Seite laufen derzeit Gespräche.

UFZ-Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Huth,
Dr. habil. Thorsten Wiegand
Dept. Ökosystemanalyse

e-mail: andreas.huth[at]ufz.de,
thorsten.wiegand[at]ufz.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Tandem-L soll die Erde mit zwei Satelliten gleichzeitig vermessen und dadurch eine sehr hohe Auflösung (< 20 m erreichen). Bild: DLR


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Quelle:
UFZ-Newsletter Februar 2012, Seite 1-3
Herausgeber:
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung GmbH - UFZ
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2012