Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → KLIMA

FORSCHUNG/463: Den Schwebeteilchen auf der Spur (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2013

Den Schwebeteilchen auf der Spur
Aerosole beeinflussen das Klima entscheidend. Dennoch ist wenig über die in der Luft schwebenden Kleinstpartikel bekannt. Mit immer ausgefeilteren Methoden begeben sich Forscher deshalb auf ihre Spur.

Von Benjamin von Brackel und Verena Kern



Mitten in der Nacht schrillt das Telefon. Die über ein Dutzend Wissenschaftler in der Ferienwohnung im Thüringer Wald sind alarmiert, suchen eilig nach ihren Hosen, Schuhen, Jacken. Die Gruppe weiß, was der Anrufer ankündigen wird: Wolken. Eine Stunde bleibt nun, um in die bereitstehenden VW-Busse zu steigen, durch den mit Schnee bedeckten Nadelwald zu fahren und sich auf die drei Messstationen zu verteilen.

Eine davon liegt auf dem Höhenzug "Schmücke". Der erste Forscher klettert die Leiter des Stahlgerüsts hinauf, 20 Meter hoch in den Nebel. Er überprüft die mit Frost bedeckten Geräte, die "ALABAMA" heißen, "HR-ToF-AMS" oder "FSSP". Modernste Spektrometer und Laser, die Wolken durchleuchten, Wolkentropfen und die Luftfeuchte vermessen. Die Wissenschaftler dürfen keine Fehler machen. Allzu viele geeignete Wolken werden in den folgenden sechs Wochen nicht vorüberziehen.

"Insgesamt hatten wir acht gute Wolkenevents", erinnert sich Hartmut Herrmann, Leiter der Chemieabteilung des Leibniz-Instituts für Troposphärenforschung (TROPOS) in Leipzig. Die Idee zu dem Experiment hatte Herrmann im Herbst 2010. Im Fokus standen darin vor allem Kleinstpartikel, die in ihrer mittleren Größe etwa 2.000 Mal kleiner sind als der Punkt am Ende dieses Satzes. An diesen in der Luft herumschwirrenden Aerosolpartikeln bilden sich die Wolkentropfen.

Komplexes Zusammenspiel am Himmel

Doch nur langsam gelingt es der Forschung, das komplexe Zusammenspiel am Himmel zu durchblicken. "Wolken und Aerosole stellen weiterhin die größte Unsicherheit in der Einschätzung des sich wandelnden Energiehaushalts der Welt dar", heißt es im aktuellen Sachstandsbericht des Weltklimarats (IPCC). Unbestritten ist: Sie spielen eine entscheidende Rolle.

Aerosolpartikel schweben allerorts in der Luft, als Mineralstaub, Salz, Ruß oder Bakterien. Ohne sie gäbe es keine einzige Wolke. Wenn Luft aufsteigt, sich abkühlt und die Luftfeuchtigkeit bis auf 100 Prozent steigt, kondensiert das Wasser an den Kleinstpartikeln. Je mehr davon in der Luft sind, desto mehr Tropfen können sich bilden. Die Wolken werden weißer und beständiger, sie können länger einen Teil der Sonnenstrahlen zurück ins All reflektieren und so die Erde abkühlen. Diesen Effekt auf das Klima haben Aerosole auch ohne Wolken: Wie ein Sonnenschirm wirken etwa die gigantischen Smogglocken über chinesischen Millionenstädten. Die Erderwärmung wird "maskiert", heißt es im IPCC-Bericht. Die Frage ist nur: Wie stark?

Bislang gingen Wolkenforscher davon aus, dass eine verbesserte Luftqualität die Temperaturen um 0,4 bis 1 Grad erhöht. Im aktuellen Weltklimabericht sind sie vorsichtiger. Zu wenig weiß man noch über Aerosole.

Hartmut Herrmann will auch deshalb kein Detail übersehen. Monate nach der Winternacht im Thüringer Wald wertet er noch immer akribisch die Daten des Schmücke-Experiments aus. Im Mai wurde eine erste Erkenntnis in der Fachzeitschrift "Science" präsentiert: Das bei der Wolkenbildung wichtige Sulfat könnte weniger zur Abkühlung der Erde beitragen als gedacht. Lange war man fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Bildung von Sulfat in den Wolken vor allem durch Metallionen aus Kraftwerksschloten oder Autoauspuffen katalysiert wurde und weniger aus natürlichen Quellen wie Wüstenstaub.

Abkühlung aus der Wüste?

Nun stellte sich heraus: Es ist wohl genau andersherum. Da aber die Mineralstaubpartikel aus den Wüsten vergleichsweise groß sind, werden sie, nachdem sich das Sulfat daran bindet, schnell aus der Atmosphäre getragen, etwa durch Regen. Ihnen bleibt so weniger Zeit, um das Licht der Sonne zurückzustreuen. Der Kühleffekt ist also geringer.

Wissenschaftler interessieren sich aber nicht nur für die Nahaufnahme, sondern auch für das Gesamtbild. Um die Raumstruktur der Wolken besser zu verstehen, haben im Frühjahr 120 Forscher aus dem TROPOS und 16 weiteren Instituten am Forschungszentrum Jülich der Helmholtz-Gemeinschaft mehr als 20 Instrumente zur Bodenfernerkundung aufgeboten. Sie richteten Lidare, Radare und Bodensensoren auf einen fest definierten Himmelsausschnitt und schossen Strahlen auf die Wolken, um durch die Lichtbrechung Rückschlüsse auf deren Eigenschaften zu ziehen. Bis in zehn Kilometer Höhe vermaßen die Geräte Temperatur, Feuchtigkeit, Aerosolart und Wolkenstruktur - und zeichneten so ein detailreicheres Bild der Entstehung und Veränderung von Wolken als je zuvor.

Ende September kamen Wolkenforscher vom TROPOS und der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität ihrem Forschungsobjekt noch ein Stück näher. Im sächsischen Melpitz schickten sie einen Hubschrauber und einen Wetterballon in die Wolken, um mehr über die Größenverteilung der Aerosolpartikel und die Eisbildung in den Wolken zu erfahren, die entscheidend dafür ist, dass es regnet. Am Hubschrauber befestigt war eine 200 Kilogramm schwere und knapp fünf Meter lange Sonde, die alle zehn Zentimeter einen Messpunkt erstellte.

Die Messergebnisse, mit denen schon bald Grundlagenforschung betrieben und Klimamodelle gefüttert werden sollen, werden nun in einem 16 Meter hohen Turm in Leipzig überprüft. In dem Labor des TROPOS lässt sich nachvollziehen, wie Wolken entstehen. Sein Herzstück ist eine sieben Meter lange, von außen gekühlte Röhre. Von oben wirbeln Aerosolpartikel in ihr Inneres, hinein in einen befeuchteten Luftstrom. Um die künstliche Wolke beobachten zu können, hat die Röhre einen Schlitz.

Experimente im Wolkenturm

Durch ihn können die Forscher einen Lichtstrahl schießen, um festzustellen, ob und in welcher Größe Tropfen entstanden sind. "Je mehr die Aerosolpartikel durch Feuchtigkeit aufquellen, desto mehr strahlen sie auch ab", erklärt TROPOS-Wolkenexpertin Heike Wex. Knackpunkt bei den künstlichen Wolken ist die Turbulenz. Nur mit geschickten Algorithmen kann man die in echten Wolken auftretenden Luftverwirbelungen am Computer rekonstruieren. "Unordnung und Chaos können wir nicht so einfach herstellen", sagt Andreas Macke, der Direktor des Leipziger Leibniz-Instituts.

Ein Schatz an Beobachtungen

Ganz neue Möglichkeiten, um Aerosole zu verstehen, bietet der Teilchenbeschleuniger CERN in der Schweiz. Dort haben Forscher herausgefunden, dass kosmische Strahlung einen geringeren Einfluss auf die Bildung von Aersolen und damit auf das Klima hat als zeitweise angenommen. Bestätigen konnten die Wissenschaftler zwar, dass die Sonne winzige Partikel auf die Erde schießt, die Aerosole ionisieren und damit die Kondensation feuchter Luft zu Tröpfchen an diesen begünstigen. Der Effekt fiel bei der Wolkenbildung aber kaum ins Gewicht, so das Ergebnis einer in "Nature" veröffentlichten Studie, an der auch TROPOSForscher beteiligt waren. Das konnten die Forscher anhand bestimmter Ammoniak-Moleküle zeigen. Schon eine sehr geringe Menge von ihnen reicht aus, um im Zusammenspiel mit Schwefelsäuremolekülen eine riesige Menge an Kleinstpartikeln zu bilden - kosmische Strahlung hin oder her.

Mit der Datenflut aus all diesen und weiteren Versuchen füttern die Wissenschaftler Rechenmodelle, um das Klima genauer vorhersagen zu können. Außerdem helfen neue Daten, die Genauigkeit bestehender Modelle zu testen. "Wir verfügen über einen Schatz an Beobachtungen", sagt Ina Tegen, Leiterin der Abteilung Modellierung am TROPOS und Professorin an der Universität Leipzig. Dank immer komplexerer Messinstrumente und neuer Satelliten habe sich die Methodik in den vergangenen Jahren stark verbessert.

Bis ins Detail können Tegen und ihre Kollegen im Modell rechnen, wenn es um kleine Gebiete wie den Höhenzug Schmücke geht. Für Mitteldeutschland, Europa oder die Welt ist das noch nicht möglich. Die Daten sind zu unsicher und die Rechenkapazität der Computer zu gering. "Es ist noch sehr viel zu tun", meint Tegen. Den Aerosolen auf den Grund zu gehen - das sei für sie wie die Erforschung eines unbekannten Kontinents.



Literatur
- Science 10 May 2013. doi: 10.1126/science.1230911
- Nature 476, 429-433. doi: 10.1038/nature10343


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Klimafaktor Wüste: Sand und Staub aus der Sahara wegen über Westafrika und den Atlantik in Richtung der Kapverdischen Inseln.
- Wolkenverhangen: Messstation auf dem Höhenzug "Schmücke" im Thüringer Wald.
- Wolkengeburt: In einem 16 Meter hohen Labor in Leipzig erzeugen und untersuchen Forscher am TROPOS Wolken.

*

Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2013, S. 22-25
Herausgeber:
Präsident der Leibniz-Gemeinschaft
Chausseestraße 111, 10115 Berlin
Tel.: 030/20 60 49-0, Fax: 030/20 60 49-55
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de
Redaktion:
E-Mail: journal[at]leibniz-gemeinschaft.de
Internet: www.leibniz-gemeinschaft.de/journal
 
Das Leibniz-Journal erscheint vier Mal jährlich
und kann über die Redaktion kostenlos abonniert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2014