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FORSCHUNG/604: Brennpunkt Gletscher - Mikroben auf dem Eis heizen ein (idw)


Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie - 14.06.2016

Brennpunkt Gletscher: Mikroben auf dem Eis heizen ein


Bakterien könnten eine wichtigere Rolle beim Abschmelzen von Gletschern spielen als bisher angenommen. In einer Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Nature Biofilms and Microbiomes zeigen Forscher von der Montana State University und dem MPI Bremen, wie die räumliche Anordnung der Mikroben einen effizienten Nährstoffaustausch ermöglicht und ein Abschmelzen beschleunigen kann.


Bei der Probennahme - Foto: © Heidi Smith

Heidi Smith hat kürzlich ihre Doktorarbeit über mikrobielle Vielfalt und Kohlenstoffflüsse in schmelzwasserbestimmen Ökosystemen fertiggestellt.
Foto: © Heidi Smith

Gletscher bedecken etwa zehn Prozent der Landfläche der Erde. Sie sind wichtig für unser Klima, da sie große Mengen an Süßwasser speichern und Sonnenlicht, das auf die Erde trifft, reflektieren. Das zunehmende Abschmelzen von Gletschern führt zum Anstieg des Meeresspiegels und verringert die Reflektion von Sonnenlicht und trägt so zur globalen Erwärmung bei.

Das Leben auf Gletschern ist zum größten Teil mikrobisch. Doch man weiß nur wenig über die Rolle, die Mikroorganismen für die biogeochemischen Kreisläufe in Gletschersystemen spielen. Die aktuelle Veröffentlichung beschäftigt sich damit, wie Kohlenstoff - Nahrung für Bakterien - aus dem Eis und in die Umwelt transportiert wird.

Heidi Smith von der Montana State University (MSU), USA, und ein internationales Team von Wissenschaftlern untersuchte dazu die mikrobielle Gemeinschaft und ihre Aktivität auf sogenannten Kryokoniten in der Antarktis. Kryokonite - meist Staubteilchen, die vom Wind auf Gletscher verweht werden - heizen sich in der Sonne auf und schmelzen dadurch das darunterliegende Eis. Dadurch bilden sich kreisrunde Löcher im Gletscher. "An den Kryokonitteilchen fanden wir eine vielfältige mikrobielle Gemeinschaft", sagt Mitautor Marcel Kuypers, Direktor am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen. Die vorliegenden Ergebnisse lassen vermuten, so Smith und ihre Kollegen, dass die Kryokonitlöcher einen Nährboden bilden für die Entstehung sogenannter Biofilme, was den Nährstoffaustausch zwischen einzelnen Zellen erleichtert und Hotspots biologischer Aktivität entstehen lässt. "Dadurch sammelt sich vermutlich organisches Material an diesen Partikeln an. Das verringert die Reflektion von Sonnenlicht, der Gletscher schmilzt schneller."


Foto: © Heidi Smith

Blick in eine Probe von einem Kryokonit: Freilebende Bakterien (grün) und solche, die an fadenförmige Cynobakterien (violett) angeheftet sind.
Foto: © Heidi Smith

"Es ist so ähnlich wie ein Stein auf einem Gletscher, der sich in der Sonne aufheizt und das umliegende Eis schmilzt", erklärt Christine Foreman, Heidi Smiths Betreuerin und Außerordentliche Professorin für Chemical and Biological Engineering an der MSU. "Heidis Arbeit ist deswegen besonders interessant, weil sie als eine der Ersten direkte Messungen an Biofilmen auf einem Gletscher vorgenommen hat. Wir konnten zeigen, dass Biofilme Kohlenstoff und andere Nährstoffe in Gletschersystemen transportieren, und dass das einen ökologischen Nutzen für das Überleben von Organismen in diesem extremen Lebensraum birgt."

Das nutzt auch der Klimaforschung. Denn ein besseres Verständnis des Kohlenstoffspeichers in Gletschern und des Transports von Kohlenstoff in andere Ökosysteme kann dazu beitragen, aktuelle Klimamodelle zu verbessern. Es ist schon lange bekannt, dass organischer Kohlenstoff, der für Jahrtausende in Gletschern gespeichert war, beim Abschmelzen freigesetzt wird und Mikroorganismen als Nahrung dient. Die nun vorliegende Studie zeigt, dass auch durch die Fixierung von anorganischem Kohlenstoff durch Mikroorganismen auf Gletschern organischer Kohlenstoff entsteht, der rasch von benachbarten Organismen verbraucht wird.

"Die Zusammenarbeit mit Rachel Foster und Prof. Kuypers am MPI in Bremen hat unsere Forschung auf eine ganz neue Ebene katapultiert. Während ihrer Doktorarbeit verbrachte Heidi Smith zwei Monate am MPI, um mit der dortigen NanoSIMS-Gruppe zu arbeiten", so Foreman. Das NanoSIMS (Nanoscale Secondary Ion Mass Spectrometer) ermöglicht es, einzelne Zellen in gemischten Gemeinschaften in Umweltproben phylogenetisch zu identifizieren und ihre Stoffwechselfunktion zu messen. "Mit Hilfe der NanoSIMS-Technologie konnten wir sehen, wie die räumliche Organisation von Mikroben in Biofilmen auf einem antarktischen Gletscher zu einem effizienten Nährstoffaustausch zwischen den einzelnen Organismen führt."

"Ich fand die Größe der Cyanobakterienfäden und die vielen angehefteten Bakterien besonders beeindruckend - schließlich waren sie in einem Gletscher eingefroren gewesen", schwärmt auch Mitautorin Rachel Foster, die während der Studie am MPI Bremen das NanoSIMS betreute. "Mit dem NanoSIMS konnten wir darstellen und messen, wie Kohlenstoff zwischen Bakterien und Cyanobakterien ausgetauscht wird - das war eine sehr aufschlussreiche Leistung."

"Bakterien sind für das freie Auge unsichtbar. Das macht es manchmal schwer, ihre Bedeutung zu erkennen. Aber sie sind die häufigsten Organismen auf unserer Erde", betont Smith. "Außerdem bilden Mikroben üblicherweise die Basis aquatischer Nahrungsnetze und werden vermutlich als Erste auf Veränderungen im Ökosystem reagieren. Zusätzlich zur Gletscherschmelze und der daraus folgenden Veränderung des Lebensraums Meer trägt auch der Anstieg an Kohlendioxid zur globalen Erwärmung bei."

Erstellt mit Material einer Pressemeldung der Montana State University.

Originalveröffentlichung
Biofilms on glacial surfaces: hotspots for biological activity Heidi J Smith, Amber Schmit, Rachel Foster, Sten Littman, Marcel MM Kuypers, Christine M Foreman. npj Biofilms and Microbiomes 2, 16008 DOI: doi:10.1038/npjbiofilms.2016.8

Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.mpi-bremen.de

Die gesamte Pressemitteilung inkl. Bilder unter:
http://idw-online.de/de/news654306
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution536

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie, Dr. Manfred Schloesser, 14.06.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2016

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