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INITIATIVE/119: Am Nordpol kippt das Klima - Mit Jugendlichen in Spitzbergen (WWF Magazin)


WWF Magazin 4/2008
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Alarm in der Arktis - Am Nordpol kippt das Klima

Von Timm Christmann, WWF


Schneller als bislang befürchtet schmilzt das Packeis - mit fatalen Folgen für uns alle. Der WWF war zusammen mit Jugendlichen in Spitzbergen.

Das Eis stöhnt unter dem Druck. Langsam schiebt sich das Schiff durch dünne, weiß schimmernde Schollen. Sie knirschen, werden unter den stählernen Bug geschoben und zerbrechen zu einem bizzaren Puzzle mit azurblauen Zickzacklinien. Die "Aleksey Maryshev", ein für Passagiere umgebautes russisches Forschungsschiff, bahnt sich vorsichtig ihren Weg durch die stille Welt des arktischen Packeises. Wir befinden uns nördlich von Spitzbergen, einer Inselgruppe im Nordatlantik, die von Norwegen verwaltet wird.

An Bord sind 18 Studenten und Schüler aus neun Ländern, darunter Greta und Johannes, die beiden deutschen Vertreter. Sie alle sind WWF-Klimabotschafter, ausgewählt für das Programm "Voyage for the Future" - "Reise für die Zukunft". Der WWF will damit Jugendlichen in der weltweiten Klimadebatte mehr Gehör verschaffen. Sie sollen helfen, die Zukunft ihrer Generation und die der Arktis zu sichern. Der zehntägige Trip nach Spitzbergen ist der Höhepunkt ihrer Ausbildung. Täglich hören sie Vorträge von Biologen, Gletscherexperten und anderen Arktisforschern, erkunden im Schlauchboot Gletscherkanten und die arktische Tierwelt. Jetzt sind die jungen Klimabotschafter am nördlichsten Punkt ihrer Reise angelangt, oberhalb des 78. Grades nördlicher Breite. Auf einmal tönt es aus dem Lautsprecher: "Eisbär links vom Schiff, knapp einen Kilometer entfernt." Tatsächlich, im Fernglas bewegt sich ein kleiner gelblicher Punkt, kaum zu erkennen in der weißen Wildnis.


Das Eis ist nicht mehr ewig

Martin Sommerkorn, deutscher Wissenschaftler beim WWF-Arktisprogramm, ist mit an Bord. "Die Arktis ist der Kühlschrank unserer Erde", sagt er. Die wärmere und feuchtere Luft aus der Nähe des Äquators wird in der Arktis abgekühlt. So reguliert das Eismeer am Nordpol auch unser Klima in Europa. Doch dieser "Kühlschrank" funktioniert immer schlechter. Schon jetzt hat sich die Arktisatmosphäre mindestens doppelt so stark erhitzt wie die der Erde insgesamt. Diese Erwärmung geht zur Hälfte auf die verstärkte Zufuhr warmer Luft aus südlichen Breiten zurück. Für die andere Hälfte sind Vorgänge in der Arktis selbst verantwortlich. Dramatisch ist vor allem der Rückgang des Packeises im Sommer und damit der so genannten Albedo, des Rückstrahlvermögens der Erdoberfläche. Die weißen Eisflächen der Arktis reflektieren normalerweise 90 Prozent der einfallenden Sonnenstrahlung zurück ins All. Doch da immer weniger Eis das Meer bedeckt, entstehen dunkle Meeresflächen, welche die Wärme absorbieren und so eine zusätzliche Eisschmelze bewirken. Wegen dieses Teufelskreises wurde im Sommer 2007 die geringste Eisbedeckung am Nordpol seit Beginn der Satellitenaufzeichnung im Jahr 1979 gemessen - ein Rückgang um etwa 40 Prozent.

"Wir haben seit dem vergangenen Sommer in der Arktis fast nur noch junges Eis von ein bis zwei Jahren", sagt WWF-Experte Sommerkorn. "Das alte, stabile Eis ist fast völlig verschwunden. Und der grüßte Teil des einjährigen Eises schmilzt während eines arktischen Sommers." Zudem gibt es arktische Rückkopplungseffekte, die durch die globale Erwärmung ausgelöst wurden und selber wieder auf diese einwirken. So sind die Gletscher Grönlands in den Jahren 2004 bis 2007 siebenmal schneller geschmolzen als im Zeitraum von 2002 bis 2004. Im arktischen Winter gibt es immer weniger Tage, an denen Schnee liegt. So entstehen weitere dunkle Flächen, die wiederum Wärme aufnehmen. Und der bis in große Tiefen gefrorene Permafrostboden taut jeden Sommer weiter auf. Das birgt enorme Gefahren. Zum einen setzt der auftauende Boden vermehrt Methan frei - ein Klimagas, das 23-mal schädlicher ist als CO2. Zum anderen können so genannte Methanhydrate schmelzen, die in den Böden der flachen arktischen Meere lagern. Tatsächlich ist die Methankonzentration in der Atmosphäre 2006 und 2007 plötzlich angestiegen.


Jetzt sind Politiker gefordert

Von all dem völlig unberührt trottet der Eisbär neugierig auf das Schiff zu, posiert, schnuppert und rollt sich im Schnee. Die Klimabotschafter sind elektrisiert. Doch sie lassen sich nicht von der Gelassenheit des Eisbären anstecken. Sie wollen handeln. Dazu werden die Jugendlichen auf der UN-Klimakonferenz im Dezember im polnischen Poznan Gelegenheit haben, wenn sie die Arbeit der WWF-Kollegen unterstützen. Dort wird das Anschlussabkommen für das Kyoto-Protokoll verhandelt, das 2012 ausläuft. Dieses Jahr muss festgelegt werden, wie die Staatengemeinschaft ihre Klimaschutzziele erreichen will. Gerade die Veränderungen der Arktis drängen zu raschem Handeln. "Was nach unseren Modellen erst am Ende dieses Jahrhunderts stattfinden sollte, passiert bereits jetzt", sagt Sommerkorn. Die Arktis schlägt Alarm.


WWF-Klimabotschafter Johannes Barthelmeß, 18, aus Regensburg: "Diese Tage haben mich darin bestärkt, mich intensiv dafür einzusetzen, dass unser Klima und damit auch unsere Zukunft geschützt werden. Es muss sehr bald zu einem globalen Umdenken in Sachen Klimaschutz kommen!"

WWF-Klimabotschafterin Greta Hamann, 19, aus Dorsten: "Diese Unberührtheit zu sehen und zu fühlen, war gleichzeitig schön und schockierend. Fast ganz Spitzbergen ist geschützt. Doch noch wurde kein Naturschutzgebiet erfunden, das all diese Schätze der Natur vor dem Klimawandel bewahrt."

Mehr unter www.wwf.de/klimabotschafter im Internet.


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Quelle:
WWF Magazin 4/2008, Seite 26-27
Herausgeber:
WWF Deutschland
Rebstöcker Str. 55, 60326 Frankfurt am Main
Tel.: 069/7 91 44-0, Fax: 7 91 44-112
E-Mail: info@wwf.de
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2009