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INITIATIVE/153: KlimaKompakt Nr. 79 - Internationale Wahrnehmung der deutschen Energiewende (GW)


Germanwatch e. V.

KlimaKompakt Nr. 79 / Dezember 2013

Wahrnehmung der deutschen Energiewende in Polen
Viel Kritik und Unverständnis
Einschätzung zur Energiewende aus Indien
"Deutschland hat die größten Hürden genommen"
Energiepolitik ohne Erneuerbare-Energien-Ziele
USA gegen internationalen Trend



Editorial

Energiewende als Negativbeispiel?

Mit der Energiewende will Deutschland - hoffentlich auch unter der neuen Regierung - Pionier auf dem Weg in eine Welt niedriger CO2-Emissionen sein. Zu Recht. Wird die deutsche Energiewende weltweit als Erfolgsmodell wahrgenommen, stärkt sie die Akteure, die auch in anderen Ländern Effizienz und Erneuerbare Energien vorantreiben. Das neue globale Klimaschutzabkommen kann nur dann ambitioniert gelingen, wenn entscheidende Regierungen ausreichend Vertrauen in Klimaschutz als Wirtschaftschance haben.

Ende 2015 wollen sich die Staaten auf die Grundzüge des neuen Klimavertrages einigen. Umso interessierter blickt die Welt gerade auf Deutschlands Energiewende.

Stimmen aus so unterschiedlichen Ländern wie den USA und Indien zeigen, dass - obwohl die Energiewende work in progress ist - unterschiedlichste Akteure ihre jeweils nützlichen Schlüsse für die eigene nationale Energiepolitik ziehen. Doch klar ist auch: Es gibt in vielen Ländern ein Problem mit der Kommunikation und Wahrnehmung der komplexen Energiewende. Weil Informationen über Chancen und Erfolge des Ausbaus der Erneuerbaren zu wenig bekannt gemacht werden, wird über Deutschlands Energiewende oft im Zusammenhang mit steigenden Strompreisen, drohenden Blackouts und Deindustrialisierung berichtet. Das Vorbild Energiewende könnte dann also bis Ende 2015 in genau die falsche Richtung zeigen.

Oldag Caspar
Teamleiter Deutsche und EU-Klimapolitik

Rixa Schwarz
Referentin für Klima und Sicherheit

Raute

Wahrnehmung der deutschen Energiewende in Polen

Viel Kritik und Unverständnis

In vielen Ländern werden derzeit vor allem die Kosten der deutschen Energiewende für Haushalte und Industrie wahrgenommen. Diese Sicht verdeckt jedoch den Blick auf mit der Energiewende verbundene Chancen. Für eine ausgewogene Debatte sind die relevanten Informationen immer noch nicht ausreichend bekannt. Polen ist dafür ein Beispiel.

Germanwatch bat Dr. Andrzej Ancygier um seine Einschätzung. Ancygier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hertie School of Governance Berlin.

Nur wenige Industrieländer unterscheiden sich in ihren Energiestrategien derart stark wie Polen und Deutschland. Das hat Einfluss auf die Wahrnehmung der deutschen Energiewende östlich von Oder und Neiße. Die polnische Einstellung zum deutschen Experiment ist bis jetzt vor allem geprägt durch Skepsis. Einer Skepsis, die sich über die letzten zweieinhalb Jahre zudem eher vergrößert denn verringert hat. "Kehren die Deutschen zurück zu Atom und Kohle?" fragte das populäre polnische Wirtschaftsportal (www.wnp.pl) schon im Mai 2012 und berichtete, dass bei deutschen Politikern Zweifel zunehmen, ob die Energiewende zum Erfolg geführt werden kann. Längere Laufzeiten für die Atomkraftwerke und mehr Kohlestrom sei die notwendige Antwort auf den Zubau der Erneuerbaren Energien, folgerte der Artikel. Zu einem der am meisten diskutierten Aspekte der deutschen Energiewende sind in Polen inzwischen die Kosten des Erneuerbaren-Ausbaus avanciert. Insbesondere nach Umweltminister Peter Altmaiers Prognose vom Februar 2013, dass die Energiewende die Deutschen bis Ende der 2030er Jahre eine Billion Euro kosten könnte, war in verschiedenen polnischen Medien nachzulesen, dass sich Polen solch ein Experiment nicht leisten könne. Inzwischen sind die angeblich hohen Kosten der Erneuerbaren Energien im Vergleich zur Kohle der kleinste gemeinsame Nenner fast jeder polnischen Debatte über die Energiestrategie des Landes. Die deutsche Kostendebatte hat zusammen mit der selektiv auf die VerbraucherInnen umgelegten EEG- Umlage dafür gesorgt, dass die Energiewende der Deutschen bei vielen Akteuren in Polen als Paradebeispiel fungiert, warum dieser Weg im eigenen Land auf absehbare Zeit nicht gangbar ist.

Kurz vor der Bundestagswahl veröffentlichte die polnische Newsweek einen Artikel mit dem Titel "Die Deutschen planen wie im Dritten Reich". Genauso wie der Bau der Autobahnen in den 1930er Jahren würde jetzt die Entwicklung Erneuerbarer Energien als großes politisches Projekt zielgerichtet vorangetrieben. Die Förderung von grünen Energien sei zu einer Ideologie geworden, die egal zu welchen Kosten fortgesetzt würde. Während des UN-Klimagipfels in Warschau im November 2013 wurde der Misserfolg der deutschen Energiewende sogar zum Dauerthema in Polen. Polnische Akteure reagierten dabei mit Gegenangriffen auf die ausländische Kritik an der nationalen Energiepolitik. Hauptursache für die einseitige polnische Wahrnehmung der Risiken und Probleme der deutschen Energiewende ist ihre hohe Komplexität, gepaart mit dem Mangel an gut aufbereiteter Information. Journalisten und Lobbyisten fällt es in dieser Situation leicht, sich diejenigen Aspekte der Energiewende herauszusuchen, die ihnen am besten passen, um eigene Sichtweisen und Interessen zu untermauern.

Einschätzung zur Energiewende aus Indien

"Deutschland hat die größten Hürden genommen"

Brot für die Welt hat die internationale Kommunikation der Energiewende in die Hand genommen und Chandra Bhushan vom Centre for Science and Environment (CSE) für eine zweiwöchige Energiewende-Studienreise nach Deutschland eingeladen. Bhushans Fazit zeigt, dass auch in Indien die Kostenfrage die Skepsis um eine eigene Energiewende nährt. Bislang wird gefragt, ob - nicht wie - Indien die Transformation bewältigen kann.

Germanwatch zitiert aus CSEs Umweltmagazin "Down to Earth" die Bilanz der Reise in Auszügen.

Vor etwa zwei Jahren habe ich erstmals von der Energiewende gehört, als ein deutscher Freund mir von dem ambitionierten Ziel seines Landes in Bezug auf Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Reduktion von Treibhausgasemissionen erzählte. Es hat mich nicht sonderlich begeistern können, hauptsächlich aufgrund der bis dato mäßigen Ergebnisse. [...] Als jedoch die Stimmen um die Energiewende lauter wurden, nahm auch mein Interesse zu. [...]

Aber nicht alles läuft gut bei der Energiewende. Die nächsten Jahre bringen große Herausforderungen bezüglich der Aufrecherhaltung und Erweiterung der Erneuerbaren, ohne die Stromversorgung zu unterbrechen. Das derzeitige Marktdesign [...] kreiert große Probleme für die konventionellen Kraftwerke, die entweder schließen oder ihren Strom während der Spitzenzeiten der Stromgewinnung aus Solar- und Windkraft kostenlos abgeben müssen. [...] Der Markt ist über längere Sicht aber auch für Solar- und Windenergie nicht nachhaltig. [...] Die Energiewende leidet außerdem an einem verzerrten Fokus. Die Diskussionen beziehen sich hauptsächlich auf Strom und das Management der Versorgungsseite, nicht auf Heizenergie und Nachfragemanagement. [...] Deutschland sieht sich auch mit Herausforderungen im Verkehrssektor konfrontiert. Der fossile Brennstoffverbrauch von Autos, die die Deutschen liebend gerne fahren, reduziert sich nicht und das deutsche Ziel, bis 2020 eine Million Elektroautos [...] zu haben, ist nach derzeitigen Szenarien kaum erreichbar. [...]

Trotz aller Herausforderungen und Probleme stellt die deutsche Energiewende das ambitionierteste Vorhaben zur Dekarbonisierung einer Wirtschaft dar. Kein anderes Land kommt dem auch nur nahe. Deutschland zeigt der Welt, dass ein komplett neues Energiesystem, weitgehend auf Erneuerbaren aufbauend, möglich ist.

In diesem Energiesystem wird der Großteil der Energienachfrage - Elektrizität, Heizen und Mobilität - aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Die "Grundlastkraftwerke" auf Basis fossiler Energieträger, die unser Leben bestimmen, werden verschwinden. Anstelle dessen werden wir flexible fossile Kraftwerke haben, die nur bei Bedarf in Betrieb genommen werden. Um das Potential der Erneuerbaren in verschiedenen Ländern voll auszuschöpfen, wird es regionale Netze zum Import und Export von erneuerbarem Strom geben. Erneuerbare Energie wird in Pumpspeicherwerken und in Form von Elektrizität und Wasserstoff gespeichert werden. Die gespeicherte Energie wird Spitzennachfragen ausgleichen.

Das deutsche Modell fördert zudem eine neue Dynamik auf dem Energiemarkt, bei der die kleinen Akteure als Gewinner dastehen. Deutschlands Wechsel zu Wind- und Solarkraftanlagen wird nicht von großen Energieversorgern und Unternehmen angetrieben. Es wird von Bürgern, kleinen Energieversorgern und Energiekooperativen geleitet, besessen und betrieben. Dies weißt den Weg in eine dezentralisierte Energiezukunft, in der Millionen Menschen, kleine Unternehmen und Kooperativen Elektrizität produzieren, diese lokal verbrauchen und Überschüsse ins Netz einspeisen. Mit einigen Fortschritten in Netz- und Energiespeichertechnologien, wird auch diese Zukunft möglich sein.

Es ist wichtig zu verstehen, dass Deutschland deutlich weniger Sonneneinstrahlung hat, verglichen mit Ländern wie den Vereinigten Staaten, Australien, Indien, China sowie den meisten Ländern Lateinamerikas und Afrikas. Wenn Deutschland also mit so wenig Sonneneinstrahlung solch große Mengen an Solarstrom produzieren kann, dann brauchen wir uns um die Zukunft der erneuerbaren Energieerzeugung keine Sorgen zu machen. Aber Deutschland ist in der Lage, all dies zu tun, weil es sich das leisten kann. Für Entwicklungsländer wie Indien wäre es nicht möglich, ein solch umfassendes Unterfangen alleine zu finanzieren. Daher wird ein globaler Mechanismus benötigt, um die Last der Transformation hin zu einer Zukunft der Erneuerbaren Energien zu teilen.

Wird Deutschland in der Lage sein, alle Probleme zu lösen und allen Herausforderungen zu begegnen, die die Energiewende mit sich bringt? Kann es all seine Ziele erreichen?

Ich glaube, es kann und wird. Das Aufregende an der Energiewende ist nicht, wie viel Erneuerbare Energie Deutschland bereits installiert hat, sondern wie die deutsche Regierung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über den Wandel der Energiewirtschaft denken. Ich bin überzeugt davon, dass Deutschland die größte Hürde zur Umsetzung der Energiewende genommen hat.

Quelle: Down to Earth, Edition 1-15 Sep 2013:
www.downtoearth.org.in/content/germany-transition?page=0,4

Energiepolitik ohne Erneuerbare-Energien-Ziele

USA gegen den internationalen Trend

Das Washingtoner "World Resources Institute" und der Berliner Think Tank "Agora Energiewende" analysieren die deutsche Energiewende und ziehen Rückschlüsse für die US-Energiepolitik.

Germanwatch dokumentiert einen Blogeintrag in Auszügen.

[...] Vor allem drei Punkte sind für die US-Energiepolitik relevant:

Erstens hat Deutschland eine nationale Vision und sich zum Ausbau Erneuerbarer Energien verpflichtet. Während des letzten Jahrzehnts haben Deutschlands Politiker mit großer Unterstützung aus der Bevölkerung Erneuerbare Energien zum Eckpfeiler der nationalen Energiezukunft gemacht. Erfolgreiche Regierungen haben dafür stabile und langfristige Politiken aufgesetzt. Damit erzeugten sie die Wahrnehmung, dass Investitionen in Erneuerbare als sichere Wahl und nicht als riskant angesehen werden.

Zweitens ist Deutschlands Politik konsistent, aber auch flexibel. Die Regierung hat Ziele gesetzt, Regulierungen werden dem sich wandelnden Markt angepasst und Technologien entwickelt. Beispielsweise hat Deutschland, während es das Einspeisegesetz über zwei Jahrzehnte beibehielt, die Raten graduell den Kosten entsprechend angepasst. Die Zuschussraten für Photovoltaikprojekte (PV) werden derzeit monatlich angepasst. Für kleine Solaranlagen auf Dächern liegt die Rate heute 58 Prozent unter dem Niveau von vor fünf Jahren, was Geld spart und den Wettbewerb zwischen Erneuerbaren und fossilen Energien ankurbelt.

Drittens zeigt Deutschland, dass die Transformation der Stromproduktion ökonomisch und kostengünstig durchführbar ist. Trotz weltweiter wirtschaftlicher Unsicherheit bleibt Deutschlands Ökonomie stark. Der Wechsel zu Erneuerbaren erfordert zunächst Investitionen, aber diese Investitionen machen sich bezahlt. Für 2015 wird erwartet, dass die Kosten von Systemen mit Windenergie und Photovoltaik samt Speicherkapazitäten den Kosten für Gas oder Kohle ähnlich sind. Von diesem Zeitpunkt an sparen die deutschen Stromkunden viel Geld, da die Preise für Erneuerbare Energien weiterhin fallen, während die Preise fossiler Energien dagegen steigen werden. Natürlich ist Deutschland nicht das einzige Land, das zu Erneuerbaren wechselt. Mindestens 118 Länder haben Erneuerbarenziele und 65 führten Einspeisetarife ein. Ungefähr die Hälfte der weltweiten Erzeugungskapazität beim Strom kam 2011 aus erneuerbaren Quellen.

Die USA stehen in scharfem Gegensatz zu diesem Trend. Zwar haben derzeit 29 US-Staaten Erneuerbarenziele verabschiedet, aber den USA fehlt es an einem nationalen energiepolitischen Rahmenwerk mit entsprechenden Zielen. Für US-Entscheidungsträger, die eine Transformation zu sauberer Energieversorgung anstreben, sollte die Energiewende eine willkommene Bereicherung sein. Sie ist ökonomisch und ökologisch verantwortungsvoll und erweist sich als politisch populär. Sie ist es sicherlich wert, einen genaueren Blick zu riskieren.

Quelle: Rainer Baake and Jennifer Morgan on Bloomberg's "The Grid" blog.
www.bloomberg.com/news/2013-05-15/u-s-energy-policy-should-take-a-lesson-from-germany-s-energiewende.html

Redaktion
Oldag Caspar, Rixa Schwarz, Daniela Baum, Gerold Kier

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Quelle:
KlimaKompakt Nr. 79, 06.12.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2013