Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → KLIMA

MASSNAHMEN/047: Emissionshandel als geeignetes Instrument der Klimapolitik? (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013
Markt oder Staat - Wer gibt den Ton an?

Emissionshandel als geeignetes Instrument der Klimapolitik?
Die derzeitige Krise unterminiert die Glaubwürdigkeit des Instruments

von Juliette de Grandpré



Der EU-Emissionshandel befindet sich in seiner bisher schwersten Krise. Das Instrument bleibt trotzdem Europas bestes Werkzeug im Kampf gegen den Klimawandel - unter der Bedingung einer weitreichenden Reform.


Der Emissionshandel wurde als marktwirtschaftliches Instrument der EU-Klimapolitik im Jahr 2005 eingeführt und ist das Hauptinstrument mit dem Europa seine Kyoto-Ziele im Kampf gegen den Klimawandel erfüllen soll. Das System deckt 12.000 industrielle Anlagen in der Stromerzeugung sowie einige Sektoren der Industrie wie Zement, Stahl oder Aluminium ab, die zusammen etwas mehr als die Hälfte der europäischen Treibhausgasemissionen verursachen. Da diese Sektoren das größte Potenzial haben, Emissionsminderungen kostengünstig zu erfüllen, tragen sie auch den größten Minderungsbeitrag, ungefähr zwei Drittel der gesamten Anstrengung.


Warum der Emissionshandel?

Nach jahrelangen Diskussionen um eine CO2-Steuer hat sich das Instrument Emissionshandel als leichter und schneller umsetzbar erwiesen. Und das, trotz des Verwaltungsaufwands und der Herausforderung, eine anspruchsvolle aber realistische Obergrenze zu ermitteln. Zum einen hat eine Steuer die Rückendeckung der Wirtschaft nie bekommen, was in der Diskussion als unumgängliche Hürde betrachtet wurde; zum anderen scheiterte eine CO2-Steuer am Widerstand der Mitgliedsstaaten, die sie als Angriff auf ihre Souveränität gesehen haben.

Die Einführung des Emissionshandels hat fünf Hoffnungen mit sich gebracht: klare und kostengünstige Zielerreichung; eine europäische Lösung für ein globales Problem; dauerhafte Einführung der Klimaschutzproblematik in Unternehmensbücher; Schneeballeffekte für mehr Klimaschutz (national und international) durch Versteigerungseinnahmen; und internationale Vernetzung mit anderen Emissionshandelssystemen weltweit.


Schwerste Krise seit der Einführung

Allerdings haben sich zahlreiche Schlupflöcher in den Fußnoten angesammelt, sodass das System seines Kerns beraubt wurde. Zum Beispiel bei der Zielerreichung: eine anspruchsvollere Obergrenze für die zweite Handelsperiode wurde mit einem höheren Zugang zu externen Emissionsminderungsgutschriften (CDM/JI Zertifikaten) ausgeglichen. Bilanz nach fünf Jahren: diese große Menge an externen Zertifikaten bildet zwei Drittel der Überschüsse und trägt die größte Verantwortung für die jetzige Krise des Systems.

Insgesamt gefährdet ein gewaltiger Überschuss von zwei Milliarden Emissionszertifikaten - circa die Emissionsobergrenze von einem Jahr - das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Instruments. Bleibt alles so wie bisher, wird der Überschuss im Jahr 2020 noch 1,4 Milliarden Zertifikate ausmachen und droht das System dauerhaft lahmzulegen. Der Preis pro Tonne Treibhausgasemission ist dadurch auf einen historischen Tiefstand gefallen und verhindert, dass das System Anreize für klimaschonende Investitionen in Europa schafft.


Versagen der Politik

Der Kollaps des Systems führt uns zu der Frage: sollen wir weiterhin ein Instrument der Klimapolitik unterstützen, das nicht geliefert hat und in den nächsten acht Jahren weiterhin nicht liefern wird? Die Antwort ist nein: der WWF (wie auch andere Nichtregierungsorganisationen) wird sich nicht mit einem wirkungslosen Instrument abfinden. Entweder kann das System reformiert werden, oder andere nationale Instrumente müssen entwickelt und implementiert werden.

Wir können das System noch retten, indem die Geburtsfehler behoben werden. Die Lösungen sind bekannt, deren Verabschiedung hängt aber stark von dem politischen Willen ab: eine kurzfristige Stabilisierung des Systems durch die Herausnahme von Zertifikaten aus dem Markt (sogenanntes Backloading), kombiniert mit einer Zielverschärfung für 2020 von 20 Prozent auf 30 Prozent Reduktion von Treibhausgasen. Das Zeitfenster dafür wird eng, da das Mandat der jetzigen EU-Kommission und des Parlaments bald zu Ende geht.

Leider ist die Politik zurzeit ziemlich schlecht aufgestellt. Die jetzige Debatte um das Backloading ist ernüchternd: viel politische Kraft und Potenzial wird für einen Vorschlag verschwendet, der nur als allererster Schritt dient, sodass die wichtigere Diskussion um die Zielverschärfung komplett vom Radar verschwunden ist. Trotzdem sollte das Kind nicht mit dem Bade ausgeschüttet werden: die Tatsache, dass es zurzeit so schwer ist, eine Reform des Emissionshandels in der EU durchzusetzen, hat mit dem Instrument an sich nichts zu tun, sondern mit der fehlenden Vision von Entscheidungsträgern in Zeiten von Wirtschafts- und Finanzkrise. Angesichts dieser aberwitzigen Diskussion ist es schwer vorstellbar, dass ein gänzlich neues Instrument schlagkräftiger gestaltet werden kann.

Andererseits muss allen klar sein - insbesondere der Industrie, die zurzeit der mächtigste Blockierer der Reform ist - eine Rückkehr zu nationalen Maßnahmen führt unmittelbar zu einer Fragmentierung der Klimapolitik. Die Frage der CO2-Verlagerung (Carbon Leakage) könnte somit auch in Europa ein Thema werden.


Mehr Klimaschutz durch Einnahmen

Der Emissionshandel hat auch durch die Einnahmen aus der Versteigerung der Treibhausgasemissions-Zertifikate eine positive Zweitwirkung: die Verwendung der Mittel in Klimaschutzmaßnahmen. In Deutschland fließen alle Einnahmen in den Energie- und Klimafonds (EKF), der Effizienzprogramme, etwa für Gebäudesanierung, ebenso finanziert wie Forschungsvorhaben im Bereich Erneuerbare Energien oder den deutschen Beitrag zu internationalen Klimaschutzprogrammen. Hierbei handelt es sich um einen Mechanismus der Klimafinanzierung, der auch international sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat und als Vorbild dient. Ähnliche Zweckbindung der ETS-Gelder (Emission Trading System) wird auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten diskutiert.


Fahrplan bis 2050

Die Situation ist paradox: der EU Emissionshandel ab 2013 ist durch viele neue Regeln, wie die jährliche Senkung der Obergrenze oder die Vollversteigerung der Zertifikate im Energiesektor ein starkes System geworden. Leider wird das System durch die Übertragungsmöglichkeit aus der zweiten Handelsperiode ein Papiertiger.

Sicher ist: das System bleibt nach 2020 bestehen. Somit könnte der Emissionshandel auch in der Zukunft Europas Hauptwerkzeug zur Emissionsminderung werden. Eine ambitionierte Senkung der Obergrenze von jährlich 2,6 Prozent ergibt eine komplette Dekarbonisierung der ETS-Sektoren im Jahr 2050 und leistet den größten Beitrag auf dem Weg hin zu einer Minderung von Treibhausgasemissionen von 80 bis 95 Prozent bis 2050.


Vorbild für alle Welt

In vielen Regionen der Welt werden Emissionshandelssysteme nach europäischem Vorbild eingeführt. Zum Beispiel in Kalifornien, wo durch den Emissionshandel eine Treibhausgasemissions-Reduktion von 17 Prozent bis 2020 erreicht werden soll. Auch Australien hat einen Handel mit Emissionsrechten eingeführt und Südkorea prüft ein solches System, wird aber von den Problemen in der EU abgeschreckt. In dem internationalen Kontext ist es deshalb von großer Bedeutung die Glaubwürdigkeit des EU-Emissionshandels zu retten, damit die Überzeugungskraft des Instrumentes nicht unterminiert wird.

Kritiker des Systems betonen die Geburtsfehler und die mangelnde Klimaschutzambition Europas, haben aber keine Antwort auf die Frage: was ist die Alternative? Wie sehen die Chancen aus, so schnell ein neues Klimaschutzinstrument zu verabschieden, das gleich liefern kann? Nach acht Jahren Emissionshandel erreichen wir langsam die Reisegeschwindigkeit, die das System wirksam machen könnte. Dass sie angesichts der Herausforderung zu langsam ist, ist bekannt, aber eine Vollbremsung ist auch nicht die Lösung. Deshalb muss das System dringend reformiert werden.

Die Autorin ist Referentin für Emissionshandel bei WWF Deutschland.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2013, S. 6-7
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2013