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MESSUNG/063: Ziel - ein Frühwarnsystem für Klimaveränderungen (highlights/Uni Bremen)


"highlights" - Heft 21 / September 2009
Informationsmagazin der Universität Bremen

Ziel: Ein Frühwarnsystem für Klimaveränderungen


Als Ausläufer des warmen Golfstroms beschert der Nordatlantikstrom Westeuropa sein mildes Klima. Der Nordatlantik gilt deshalb als die "Wetterküche" dieser Erdregion. Weit im Norden kühlt das Oberflächenwasser dieser Strömung immer mehr ab. Ein Teil sinkt nördlich von Island, ein anderer Teil zwischen Grönland und Kanada in der Labradorsee in die Tiefe. Dort fließt das Tiefenwasser nach Süden zurück - eine Zirkulation, die für Europas Klima bestimmend ist. Doch die Bildung dieses Nordatlantischen Tiefenwassers nimmt in der Labradorsee rasant ab. Derzeit werden nur noch 20 Prozent des Wertes von 1997 erreicht. Sind dies bereits Auswirkungen des Klimawandels? Oder handelt es sich noch um natürliche Schwankungen? Die Arbeitsgruppe Ozeanographie des Instituts für Umweltphysik (IUP) der Universität Bremen untersucht mit langfristigen Messungen diese Veränderungen und erforscht damit die Klimarolle des Nordatlantiks.


Wenn die Tiefenwasser-Bildung im subpolaren Nordatlantik innerhalb von nur einem Jahrzehnt um 80 Prozent abnimmt, klingt dies alarmierend. Ein beliebtes "Horrorszenario des Klimawandels" ist das Abreißen des Golfstroms: Plötzlich ist die "Warmwasserheizung" Europas aus, und es wird kalt in unseren Breiten. Doch ob die Ursache der verringerten Tiefenwasser-Produktion tatsächlich menschlichen Einflüssen zuzuordnen ist, steht nicht fest. "Es könnte ja auch sein, dass das eine ganz natürliche Erscheinung ist, die alle paar Jahre vorkommt" sagt die Bremer Ozeanographin Professor Monika Rhein. "Die globale Temperatur steigt ja auch langfristig an, und trotzdem haben wir zwischendurch sehr kalte Winter." Um herauszubekommen, welches die Gründe für den Rückgang der Tiefenwasser-Produktion sind, helfen nur langfristige Messreihen. "Bislang gibt es nur Annahmen und Deutungen, die nicht wissenschaftlich untermauert sind. Es gibt unterschiedliche Klimamodelle für Europa, bei denen die Veränderungen im subpolaren Nordatlantik eine große Rolle spielen. Aber allen fehlen noch Messungen in langen Zeitreihen, um konkrete Aussagen und Prognosen machen zu können."


Jedes Jahr viele tausend Messungen

Diese Daten besorgt die IUP-Arbeitsgruppe Ozeanographie. Seit 1997 ist sie immer wieder mit Forschungsschiffen unterwegs, um die Veränderungen festzuhalten. Die Arbeitsgruppe der Bremer Uni ist einer von mehreren Projektpartnern im Verbundvorhaben "Nordatlantik" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Ziel des Projekts ist ein besseres Verständnis des Strömungssystems und eine Analyse der regionalen Auswirkungen von Veränderungen. "Wir machen seit zehn Jahren jährlich tausende Messungen. Und wir brauchen noch mindestens zehn weitere Jahre, um eventuelle Auswirkungen des Treibhauseffektes belegen zu können", so Monika Rhein. "Fernziel ist der Aufbau eines Diagnose-Systems - eine Art Früherkennung. Sie soll uns melden, wenn im Nordatlantik etwas passiert, das Auswirkungen auf unser Klima hat."

Wie stark und umfassend ist der Wassertransport? Wie viel Tiefenwasser sinkt im subpolaren Nordatlantik nach unten? Und vor allen Dingen: Wie viel Golfstrom-Wasser 'schwappt' über den Mittelatlantischen Rücken in den Ostatlantik? "Denn dort wird ein Teil des Wetters für uns 'gemacht' - die Islandtiefs als 'Gegenspieler' des Azorenhochs", sagt Dr. Dagmar Kieke aus dem IUP-Team.


Strömungen durch Schall sichtbar

Doch wie misst man riesige Wassermengen und ihre Zusammensetzung? Einerseits geschieht dies mit Bodenecholoten. Vier davon sind rund 3.400 Meter tief auf dem Meeresboden des Mittelatlantischen Rückens verankert. Alle 30 Minuten senden sie einen akustischen Impuls zur Oberfläche, der dort reflektiert und wieder zurückgeschickt wird. "Weil die Schallgeschwindigkeit im Wasser von der Temperatur, dem Druck und dem Salzgehalt abhängig ist, kann man aus der Laufzeit des akustischen Signals diese Werte ermitteln. Diese können wir wiederum mit den Messungen von vielen hundert 'Tiefendriftern' im Atlantik vergleichen, die im Rahmen großer Forschungsprogramme von verschiedenen Nationen ausgesetzt wurden. Wir können also feststellen, welches Wasser wann und wo 'vorbeigekommen' ist, und damit die Strömungen und Geschwindigkeiten nachvollziehen", erläutert Dagmar Kieke. Im Sommer 2009 hat die AG Ozeanographie weitere Bodenecholote installiert.

Eine andere Herausforderung ist die Beantwortung der Frage, wie viel Wasser im subpolaren Nordatlantik in die Tiefe absinkt. Dazu werden Wasserproben genommen, in denen der Spurenstoff Fluorkohlenwasserstoff - kurz: FCKW - gemessen wird, der über viele Jahrzehnte in die Atmosphäre eingetragen worden ist. Über Austauschprozesse mit der Atmosphäre gelangt dieser Spurenstoff in den tiefen Ozean hinein. "In der Stratosphäre ist FCKW schädlich und zerstört die Ozonschicht. In der unteren Atmosphäre und im Ozean ist es aber ungefährlich", sagt Monika Rhein. FCKWs verhalten sich im Ozean wie Wassermoleküle - sie werden mit in die Tiefe gezogen und markieren dabei das im Winter neu gebildete Tiefenwasser durch auffällig hohe Werte. Aus den jährlichen Unterschieden in der großräumigen Verteilung der ozeanischen FCKW-Konzentrationen lässt sich nun die Änderung in der Tiefenwasserbildung berechnen. "Das Problem: Die FCKW-Konzentration in der Atmosphäre stagniert nicht nur, sie sinkt sogar. Damit sind gemessene Änderungen in der FCKW-Konzentration nicht mehr eindeutig. Wir brauchen etwas, das von Jahr zu Jahr in seiner Konzentration in der Atmosphäre stark ansteigt", so Monika Rhein.


Der Golfstrom ist eine der stärksten Meeresströmungen der Welt und zwischen 6 und 9 km/h "schnell". Seinen Namen hat er dem Golf von Mexiko zu verdanken, wo er viel Wärme aufnimmt. Gebildet wird er jedoch aus dem Zusammenfließen von Florida- und Antillenstrom nördlich der Bahamas. Von dort aus fließt der Golfstrom zunächst an der nordamerikanischen Küste entlang, um dann nach Osten auf den offenen Atlantik "abzubiegen". Ursache dafür ist die Geografie des Meeresbodens. Auf dem Weg Richtung Europa verliert der Golfstrom an Kraft und spaltet sich in mehrere Teilströmungen auf. Ein Ausläufer ist der Nordatlantikstrom, der bis zur Küste Norwegens vorstößt und Europa sein vergleichsweise mildes Klima beschert. Sowohl Golfstrom als auch Nordatlantikstrom sind Teile eines globalen Systems von Ozeanströmungen. Antriebskräfte dieser Ströme sind Winde und Kräfte, die aus der Erddrehung entstehen. Aber auch Dichteunterschiede von Wassermassen wirken als Antrieb: In den tropischen Gebieten ist bereits viel Wasser des Golfstroms verdunstet, wodurch sein Salzgehalt angestiegen ist. Als Nordatlantikstrom kühlt er in höheren Breiten stark ab, weil Wärme in die Atmosphäre abgegeben wird. Dadurch wird die Dichte noch größer. Folge: Riesige Wassermassen sinken im Nordatlantik in die Tiefe und fließen von dort zurück nach Süden in subtropische Breiten. Der dadurch entstehende Sog wirkt als zusätzliche Antriebskraft.


Eigenes Gerät für Schwefelhexaflourid

Ein weiteres Spurengas bietet sich dazu an: Schwefelhexaflourid. Als "Industrieprodukt" ist es ebenfalls von Menschen gemacht, aber in sehr geringer Konzentration. Dennoch ist es sehr gut messbar. Die Bremer Arbeitsgruppe musste dazu ein eigenes Gerät entwickeln - und dieses funktionierte bei zwei Fahrten im Sommer 2008 auf dem deutschen Forschungsschiff Maria S. Merian und dem französischen Forschungsschiff Thalassa hervorragend. "Wir haben von Anfang an exzellente Daten bekommen. Im 24-Stunden-Schichtbetrieb haben wir an 155 Stationen mehrere tausend Proben gezogen, die wir immer noch auswerten", sagt Monika Rhein stolz. In Verbindung mit den bereits existierenden Messdaten lässt sich daraus die Änderung der Tiefenwasser-Bildung für den Zeitraum von Mitte 2006 bis Mitte 2008 errechnen: Eine aufwändige Arbeit, die am Ende zu äußerst wichtigen Forschungsergebnissen führt. Und es geht weiter: Um die Vorgänge im Nordatlantik immer transparenter zu machen, haben die Bremer Ozeanographen auch für die nächsten Jahre mehrwöchige Ausfahrten auf Forschungsschiffen fest gebucht.


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
12. Jahrgang, Heft 17 / September 2006, Seite 14-16
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009