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UNO/099: Kopenhagener Klimagipfel verfehlt die zentralen Ziele (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Kopenhagener Klimagipfel verfehlt die zentralen Ziele
Wer organisiert das Aufbäumen gegen die kollektive Unverantwortlichkeit?

Von Christoph Bals, Sven Harmeling, Anne Koch, Klaus Milke, Lutz Morgenstern (Germanwatch)


Es kam die gesamte politische Führungselite der Welt nach Kopenhagen: Mehr als 120 Staats- und Regierungschefs von Barack Obama bis hin zu Chinas Ministerpräsident Wen Jiabao. Von Angela Merkel bin hin zum Präsidenten der Malediven, Mohamed Nasheed Der Klimawandel sei "eine der größten Herausforderungen unserer Zeit", heißt es dann auch im Copenhagen-Accord - dem "zur Kenntnis genommenen" Abschlussdokument der Konferenz. Jetzt sei die Zeit, vom Reden zum Handeln überzugehen, hatte ein Regierungschef nach dem anderen beschworen.


Doch mit dem Copenhagen-Accord, der zu einem oder zwei neuen globalen Klimaschutz-Abkommen im kommenden Jahr führen soll, gelingt dieser Durchbruch nicht. Schon vor der Konferenz war klar, dass drei zentrale Kriterien für einen Erfolg oder Misserfolg der Konferenz maßgeblich sein würden: Die Festlegung von Reduzierungszielen, die die Erwärmung auf unter 2 Grad oder sogar 1,5 Grad begrenzen, Zusagen für finanzielle Unterstützung zum Klimaschutz und zur Anpassung, und eine völkerrechtlich verbindliche Form des Abkommens.


1. Werden Klimaziele verankert, die den Klimawandel auf deutlich unter 2 Grad begrenzen?

Im Copenhagen-Accord wird zwar erstmals gemeinsam die wissenschaftlich untermauerte Notwendigkeit anerkannt, die Erderwärmung auf unter zwei Grad zu begrenzen. Das Ziel wurde aber nicht in die notwendigen Reduktionsziele umgesetzt, um tatsächlich unter dem Zwei-Grad-Limit, geschweige denn dem 1,5 Grad-Limit zu bleiben. Bis zum 31. Januar 2010 sollen nun die Regierungen der Industrieländer ihre Reduktionsziele und die Schwellenländer ihre Aktionspläne einreichen. Was bisher auf dem Tisch liegt, führt - wenn es denn ohne Schlupflöcher umgesetzt wird - , die Welt eher auf einen Pfad in Richtung 3 bis 3.5 Grad-Temperaturanstieg.

Wenn eine Zwei-Drittel-Chance für das Erreichen des 2-Grad-Ziels bestehen soll, dann dürfen bis zur Mitte des des Jahrhunderts nur noch 750 Gigatonnen CO2 ausgestoßen werden. Zur Zeit werden 36 Gigatonnen pro Jahr ausgestoßen - wenn wir also so weitermachen wie bisher, ist das Budget in 20 Jahren aufgebraucht. Um dies zu verhindern, müsste spätestens bis 2015 oder 2016 der Höhepunkt des globalen Emissionsaustoßes erreicht sein und die Emissionen danach schnell sinken. Im Copenhagen-Accord aber gelang es lediglich, festzulegen, dass der Scheitelpunkt des Emissionsaustoßes "so bald wie möglich" erreicht sein soll. Laut den USA und der EU haben an dieser Stelle insbesondere Indien und China eine genaue zeitliche Festlegung blockiert. Allerdings ist es wichtig, den Hintergrund der Blockade zu berücksichtigen. Yvo de Boer, Exekutivdirektor des UN-Klimasekretariats, fasste in seiner letzten Pressekonferenz zusammen, was an Reduktionszusagen auf dem Tisch liegt. "Die großen Schwellenländer haben nationale Aktionspläne vorgelegt, die ihre Emissionen um 28% unter die "Business-as-usual (BAU)"-Szenarien, also das normalerweise zu erwartende Emissionswachstum, drücken können." Damit wären die Schwellenländer sogar am oberen Rand des vom IPCC vorgegebenen Zielkorridors, nach dem die Emissionen bis 2020 um 15 bis 30% unter dem BAU-Szenario liegen müssten. Die Industrieländer hingegen schaffen es mit ihren vorgelegten Reduzierungszahlen hingegen nicht, in dem vom IPCC geforderten Zielkorridor von 25 bis 40% Reduzierungen gegenüber 1990 zu landen. Nachdem US-Präsident Obama - unter dem Druck des Senats der Vereinigten Staaten - keine Verschärfungen des US-Ziels (minus 4% bis 2020 gegenüber 1990, was von den USA als minus 17% gegenüber 2005 verkauft wird) in Aussicht gestellt hatte, blockierten China und Indien die Peakjahr-Festlegung und auch das globale Reduktionsziel für 2050 - mindestens eine Halbierung der Emissionen bis dahin. Ob sie dies akzeptiert hätten, wenn die Industrieländer - insbesondere die USA - ihre Reduktionsziele deutlich aufgestockt hätten, ist aber völlig unklar. Immerhin: Die beiden Staaten haben am Schluss auf Druck der kleinen Inselstaaten zugestanden, dass es nach der Veröffentlichung des nächsten IPCC-Berichts im Jahr 2015 eine Überprüfung der Klimaschutzanstrengungen geben wird. Dabei sollen unter anderem eine Verschärfung des Langfristtemperaturziels auf 1,5 Grad Celsius sowie die dafür notwendigen Reduktionsziele von Industrie- und Schwellenländern verhandelt werden. Hierfür hat sich der maledivische Präsident sogar noch einmal ausdrücklich bei China bedankt.


2. Wie wird die Antwort auf den Klimawandel finanziert?

Der Bali-Aktionsplan, die Grundlage des gesamten Verhandlungsprozesses, der nun in Kopenhagen seinen (vorläufigen?) Höhepunkt fand, fordert, dass sich erstmals auch die Schwellenländer und Entwicklungsländer - außer den ärmsten - zu ernsthaften Klimaschutzmaßnahmen-, nicht aber schon Reduktionszielen, verpflichten sollen. Die Industrieländer verpflichten sich im Gegenzug neben ernsthaften Reduktionszielen zu substanzieller Finanzierung für Klima- und Regenwaldschutz sowie für die Anpassung der verletzlichsten Staaten.

Klare Zusagen für die Langfristfinanzierung kamen erst in den beiden letzten Tagen des Kopenhagener Klimagipfels auf den Tisch - von Seiten der EU und der USA. Die EU hat durch das lange Zögern sowohl beim Reduktionsziel als auch bei der Langfristfinanzierung die Chance verpasst, den lange vor sich hindümpelnden Prozess zu dynamisieren. Insbesondere die Afrikanischen Staaten, geführt von Sudan und Algerien, reihten sich in die Staaten ein, die ständig aus prozeduralen Gründen den Prozess blockierten. Und da nicht klar war, ob sich die Industrieländer bei Emissionszielen und Finanzen tatsächlich bewegen würden, setzten sie auf eine gemeinsame Strategie mit ihren "Schutzmächten" China und Indien, diese Ziele einzufordern. Insbesondere beim Abschlussplenum wurde deutlich, dass viele Entwicklungsländer auf entsprechende klare Signale gewartet hatten, um darauf basierend konstruktive Wege nach vorn zu finden. Statt dessen setzte aber insbesondere die deutsche Kanzlerin Merkel darauf, erst in der letzten Phase der Konferenz, die Pokerkarten der EU auf den Tisch zu legen. Sie wollte so den Schwung erzeugen, dass sich am Ende verschiedene Industriestaaten - einschließlich der USA -nach oben bewegen - und damit auch Bewegungsspielraum für China und Indien möglich werden würde. Doch die Rechnung ging nicht auf. So unterblieb die von vielen erhoffte Dynamisierung der Verhandlungen in den ersten 12 Tagen der Konferenz. Am Schluss machten die USA und die großen Schwellenländer China, Indien, Brasilien und Südafrika den Deal unter sich aus.Die EU wurde nur noch bei Nachverhandlungen hinzugezogen. Merkels zurückgehaltene Pokerkarten konnten damit nie zum Einsatz kommen.

In Sachen Langfristfinanzierung liegen im Copenhagen-Accord zumindest konkrete Zahlen auf dem Tisch. Bis 2012 sollen von Industrieländern jedes Jahr 10 Milliarden US-Dollar gezahlt werden, bis 2020 soll die Summe auf jährlich 100 Milliarden US-Dollar steigen. Das Geld soll für den Schutz des Regenwaldes, für Anpassung, für Technologieentwicklung und -transfer sowie den Aufbau von Kapazitäten in Entwicklungsländern gezahlt werden.

Aufgebracht werden soll das Geld durch private und öffentliche, bilaterale und multilaterale Quellen, auch durch neue, innovative Finanzmechanismen. Es wurden aber keine klaren Regeln für die Zusätzlichkeit und Transparenz der Geldströme vereinbart. Statt klarer Regeln soll es immerhin ein hochrangig besetztes, als "High Level Panel" bezeichnetes Gremium geben, dass darüber wacht, dass die versprochenen Geldströme tatsächlich fließen. Es ist vorstellbar, dass der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon, der diese Idee einbrachte, sich selbst in diesem Gremium engagieren wird. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass ein neuer "Green Climate Fund" sowie ein neuer Technologiemechanismus nun gegründet werden soll.


3. Wird es ein neues völkerrechtlich verbindliches Abkommen geben?

Der Copenhagen-Accord wurde nicht als Entscheidung der Vertragsstaatenkonferenz (englisch Conference of the Parties, COP) angenommen, da insbesondere die vier sozialistischen lateinamerikanischen Staaten Venezuela, Bolivien, Cuba und Nicaragua dies blockierten. Allerdings hatte es auch zunächst bei anderen und in der Regel sehr konstruktiven Staaten, z.B. Costa Rica und Tuvalu, Bedenken gegen eine solche Entscheidung gegeben. Er wurde zunächst lediglich als ein Verhandlungsinput akzeptiert. Klar ist, dass an vielen Punkten noch Konkretisierungen - insbesondere was die Klimaziele angeht -, vorgenommen werden sollen und müssen. Aber wenn ein solches Papier, das von allen großen Industrie- und Schwellenländern als der Startpunkt für die Verhandlungen der kommenden Monate akzeptiert wird, tatsächlich von der COP zurückgewiesen worden wäre, hätte das den UN-Klimaprozess in die Irrelevanz geführt. In Zukunft wäre der internationale Klimaschutz dann womöglich in der G20 ausgehandelt worden - einem Gremium, in dem die ärmsten und gefährdetsten Staaten überhaupt nicht repräsentiert werden. Um dem vorzubeugen, einigte man sich am Ende einer langen Verhandlungsnacht schließlich darauf, dass der Copenhagen Accord durch eine Entscheidung von der COP "zu Kenntnis genommen" wird.

Umfangreiche Entscheidungen, die den Unterbau eines zukünftigen Abkommens bilden sollen, sind inzwischen bis auf wenige Streitpunkte vorbereitet. Diese könnten auf der nächsten Konferenz in wenigen Verhandlungstagen gelöst werden.

Der größte Knackpunkt für ein zukünftiges umfassendes Klimaschutz-Abkommen, die Frage der Rechtsform, bleibt aber weiterhin offen. Wird am Ende neben dem Kyoto-Protokoll ein zweites rechtlich verbindliches Protokoll verabschiedet? Werden die zwei Protokolle irgendwann in ein gemeinsames Abkommen münden? Oder werden wir sofort ein einziges - dann wahrscheinlich völkerrechtlich nicht verbindliches - Abkommen bekommen?, In einem solchen würde jedes Land sein national beschlossenes Ziel wie in eine Schublade hineinlegen - "pledge and review" heißt das in Fachjargon. Damit wäre man , was die Rechtsform angeht, in die Vor-Kyoto-Zeit zurückgeworfen, ein deutlicher Rückschritt. Im Moment deuten die Zeichen in diese Richtung. Allerdings: wenn sich die Industrieländer von völkerrechtlicher Verbindlichkeit verabschieden, stehen die Chancen noch schlechter, dass sich die Schwellenländer im Gegenzug von größerer Ambition überzeugen lassen.


Fazit

Nach Kopenhagen ist die Herausforderung nicht kleiner, sondern größer geworden. Ist im kommenden Jahr noch ein Abkommen möglich, das mit dem 2-Grad-Limit vereinbar ist? Die Welt muss darauf hoffen, dass das US-Klimaschutz-Gesetz den Senat passiert und dann mehr Handlungsspielraum für die US-Regierung besteht. Dieser gordische Knoten muss durchschlagen werden, wenn die notwendige Dynamik noch entstehen soll. Mitte des Jahres könnte dann ein neues Abkommen beschlossen werden.

Dieser hält den Rücken frei für dringend notwendige Vorreiterkoalitionen, etwa für Erneuerbare Energien, Energieeffizienz und Regenwaldschutz, die über diesen Minimalkonsens hinausführen. Hoffnungsvoll in diese Richtung stimmt, dass in den beiden größten Emittentenländern USA und China derzeit eine positive Klimaschutzdynamik in Gang ist, die durchaus über die Minimalziele hinausführen kann, zu der diese sich derzeit international verpflichten wollen. Klimaschutz national und auf lokaler Ebene sowie in anderen internationalen Gremien voranzubringen steht damit allerdings auch nach Kopenhagen nicht als Alternative für den UNFCCC-Prozess dar, sondern als Komplementärstrategie, deren Erfolg erst größere Schritte bei UNFCCC ermöglicht.

Das UNFCCC-System muss sich den grundlegenden Fragen stellen, die nach dem Ablauf des Klimagipfels aufkommen. Wie kann es sein, dass mit dem dänischen Premierminister Rasmussen ein Versammlungsleiter die zweite Verhandlungswoche leitete, dessen Handlungen mehr Fehler und Provokationen enthielten als konstruktive Ansätze? In der entscheidenden Nachtsitzung ruft er den Delegierten zu "Ich kenne mich mit dem Verfahren nicht so gut aus" und bittet diese um Vorschläge. Ist es wirklich sinnvoll, dass die Staaten, die 90% der Emissionen der Welt verursachen, einen Konsens von allen 193 Staaten brauchen, um Klimaschutzziele vereinbaren zu können? Warum müssen über die Regenwald- und Finanzierungsländer hinaus alle Staaten am Regenwaldschutz beteiligt sein? Braucht es spätestens im Jahr 2012 (Rio plus 20) eine gründliche Neuorganisation der Rolle der UN im internationalen Klimaprozess?

Es kann gut sein, dass wir in Kopenhagen das Aufbrechen des Verhandlungsblocks der Entwicklungsländer (G77 und China) erlebt haben. Die Divergenzen zwischen erstens Schwellen-, zweitens Ölländern und drittens den ärmsten und verletzlichsten Staaten werden immer offensichtlicher. Ob damit die Verhandlungsdynamik konstruktiver wird, oder ob sich die ärmsten Ländern dann wieder mit Geldzusagen ruhig stellen lassen und nicht die für ihre Existenz notwendigen Forderungen stellen, lässt sich heute noch nicht sagen. Alles mündet in der einen Frage: Wer organisiert nach Kopenhagen das große Aufbäumen? Denn eins ist klar: Die Naturgesetze lassen nicht mit sich verhandeln. Es bleibt also auch nach Kopenhagen noch viel für die politischen Entscheidungsträger, aber gerade auch für die Zivilgesellschaft zu tun.


Die Autoren haben die Verhandlungen in Kopenhagen zu verschiedenen Schwerpunkten verfolgt.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 23-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2010