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ANBAU/154: Gen-Armut - EU-weit einheitliches Pflanz- und Saatgut (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012

Gen-Armut
EU-weit einheitliches Pflanz- und Saatgut

von Susanne Gura



Seit Jahrzehnten darf in der EU nur amtlich zugelassenes Pflanz- und Saatgut verkauft werden, und die Zulassung gilt für die gesamte EU. Einheitlich homogen müssen die Sorten außerdem sein. Daher sind sie genetisch verarmt; sie können sich nicht anpassen und brauchen chemische Krücken. Der größte Anbieter von Saatgut ist heute weltweit ebenso wie in der EU die chemische Industrie. Ihr Geschäftsmodell und ihre Marktmacht haben schlimme Folgen für Umwelt und Landwirtschaft. Unter anderem sind die Nutzpflanzenvielfalt und für den Bioanbau geeignete Sorten größtenteils auf der Strecke geblieben.

Das Saatgutrecht ist völlig auf den Bedarf der Marktführer ausgerichtet. Die anstehende Saatgutrechtsreform kann dies nur ändern, wenn die laufenden Kampagnen wesentlich stärker unterstützt werden, von der Öffentlichkeit wie von der Politik. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat leider kürzlich mit dem so genannten Kokopelli-Urteil die bestehende Zulassungspflicht bestätigt, Vorab hatte die Generalanwältin des EuGH die Zulassungspflicht für unangemessen befunden, vor allem wegen des dramatischen Verlustes an Biodiversität und wegen der eingeschränkten Wahlfreiheit der Landwirte und Verbraucher in Europa. Diesen Schlussantrag der Generalanwältin, eine Art hauseigenes Gutachten, hatte der EuGH verworfen - ein völlig unüblicher Vorgang. »Schädliches Saatgut« will der EuGH damit von den Äckern der EU verbannen, und nur Sorten dürfen auf die Äcker, die »höchste Produktivität « gewährleisten. Wie bitte? Fragen sich Verbraucher und Landwirte, die seit Jahrzehnten auf den Äckern die Chemie reduzieren und die biologische Vielfalt erhöhen wollten, so wie es auch die EU mit ihrer Reform der Agrarpolitik beabsichtigt. Die erklärten Ziele sind hier jedoch etwas anderes als die wirklichen Ziele.

Auch das Saatgutrecht gibt vor, die biologische Vielfalt zu fördern. Der Verkauf alter Sorten bedarf laut Erhaltungssorten-Richtlinien ebenfalls einer amtlichen Zulassung, ohne dass jedoch eine Sortenprüfung erfolgt. So kostet die Zulassungsgebühr zwar nur 30 Euro - doch den Gebühren von Tausenden von Sorten stehen Einnahmen aus nur geringsten Mengen Saatgut zur Verfügung, die aufwändig separat erzeugt werden. Hinzukommen bürokratische Vorschriften, wie die Mengen vorab anzumelden und zu Saisonende zu berichten, als ob es immer noch zu viel Vielfalt gäbe. Damit nicht genug, jede Sorte darf nur in einer Ursprungsregion (auf begründeten Antrag auch zwei!) vermehrt werden, als hätten unsere Kulturpflanzen keinerlei Migrationshintergrund. Es verwundert nicht, dass fast zwei Jahre nach Inkrafttreten die Vielfalt der in Deutschland zugelassenen Erhaltungssorten aus kaum mehr als einem Dutzend besteht, ersichtlich auf der Webseite des Bundessortenamtes.

Circa 2.500 neue Sorten werden jährlich in der EU zugelassen. Die Hälfte davon sind Zierpflanzen. Da die Züchtung auf dem bereits Erreichtem aufbaut, sind neu zugelassene Sorten nur noch schwer von den bisherigen zu unterscheiden. Zwischen den Sorten gibt es nur geringe Unterschiede. Ein wichtiges Kriterium für die Zulassung ist Homogenität - die genetische Einheitlichkeit innerhalb der Sorten.

Hinzukommt die Monopolisierung - die Zahl der Anbieter sinkt. Der globale Marktanteil der zehn größten Saatgutkonzerne ist von 30 Prozent in 1998 auf 74 Prozent in 2010 rasant gestiegen. Einer neuen Studie zufolge stammen bei Paprika 56 Prozent, bei Tomaten 62 Prozent, und bei Blumenkohl sogar 71 Prozent des Saatgutes in Europa von nur zwei Konzernen, Monsanto und Syngenta.(1) Auch Bayer hat drei führende Gemüsesaatgutfirmen aufgekauft: Nunhems, Hild sowie erst kürzlich Abbott&Cobb. Neue Züchtungsmethoden wurden bereits entwickelt, die ähnlich in die Genetik eingreifen wie die herkömmliche Gentechnik. Patente auf Pflanzen werden immer häufiger und greifen bis in die Produkte wie Mehl, Brot und Marmelade durch.


Was macht den Saatgutmarkt so lukrativ?

Neben der Zulassungspflicht ist der »Sortenschutz« Teil des Saatgutrechts. 25 Jahre lang darf eine Saatgutfirma Lizenzgebühren auf ihre neu entwickelten Sorten kassieren. Eine Art Patentschutz also, bei dem jedoch andere Zuchtfirmen die Sorte kostenfrei für die Weiterzüchtung einsetzen dürfen. Ob die Lizenzgebühren annähernd die Züchtungskosten decken, ist niemals nachgewiesen worden. Und welchen Anteil stellt heute die massive öffentlich EU-geförderte private Forschung? Die Evaluierung des EUSaatgutrechts, Grundlage der Reform, hat diese Fragen nicht einmal gestellt. Wenn das Recht auf Lizenzgebühren (mit der perversen Bezeichnung »Sortenschutz«) abgelaufen ist, wird die Sorte auf dem Markt durch eine andere ersetzt - die Kartoffel Linda ist kein Einzelfall.

Die deutsche Getreidezüchtungsindustrie investiert 16 Prozent ihres Umsatzes in Forschung, und Lizenzgebühren machen zwei Prozent der Weizen-Produktionskosten aus. Die Zahlen gab die Industrie bekannt, um die Landwirte zu überzeugen, Lizenzgebühren zu zahlen, auch wenn sie Saatgut aus der eigenen Ernte »nachbaut«. Seit 1998 ist dafür eine Lizenzgebühr fällig. Zur Aussaat von Weizen, der in Deutschland wichtigste Ackerkultur, verwenden Landwirte etwa je zur Hälfte eigenes beziehungsweise gekauftes Saatgut. Hybridsaatgut, das bei anderen Kulturen zum weitgehenden Verlust der samenfesten, das heißt nachbaubaren Sorten geführt hat, ist bei Weizen noch wenig auf dem Markt. Klagen der Saatgutindustrie über Probleme bei der Erhebung der Nachbaugebühr nehmen in der Evaluierung breiten Raum ein. Davon, dass die Saatgutindustrie ihre Sorten auf tausend Jahre bäuerlicher Züchtungsarbeit begründet hat, ist keine Rede. Die heutige Gen-Armut ist immerhin beschrieben.

6,4 Milliarden Euro sind auf dem Saatgutmarkt in der EU zu verdienen, davon machen Deutschland und Frankreich fast die Hälfte aus. Über die Hälfte (56 Prozent) der Sortenschutzrechte halten Firmen in diesen beiden Ländern, die sich Schlüsselpositionen bei der Saatgutrechtsreform gesichert haben. Das europäische Sortenschutzamt CPVO sitzt in Angers, Frankreich, sein Vorstandsvorsitzender ist Deutscher. Die EU-Kommission hat eine Vertreterin des französischen Saatgutindustrieverbands GNIS für die Verwaltung des Reformprozesses angeheuert. Die Geschäftsführer der European Seed Association ESA und seiner Schwesterorganisation für Obst und Zierpflanzen CIOPORA sind Deutsche.


Initiativen pflegen Kulturpflanzenvielfalt auf Spendenbasis

Tausende von Vielfaltssorten finden sich nicht nur in Genbanken, wo sie wie lebendig begraben sind. Angebaut und weiterentwickelt wird die Vielfalt jedoch von engagierten Menschen, die ihre Kenntnisse und Fertigkeiten weitergeben. In den 1980er Jahren wurden der Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt (VEN), und der Pomologenverein, in Österreich Arche Noah und in der Schweiz die Stiftung Pro Specie Rara etabliert. Dreschflegel kam als Organisation von circa einem Dutzend Vermehrern und Züchtern hinzu. Heute gibt es auch eine Reihe regionaler Organisationen wie Freie Saaten e.V. in der Pfalz, sowie seit 2009 einen deutschsprachigen Dachverband. Überall in Europa finden lokale Saatgutbörsen, Veranstaltungen und Aktionen statt. Auf europäischer Ebene treffen sich regelmäßig »Let's Liberate Diversity« und die Saatgutkampagne zum Austausch von Saatgut und Ideen und zu Aktionen vor allem zur Saatgutrechtsreform. Sie fordern die Aufhebung der Zulassungspflicht für den informellen Vielfaltssektor. Dieser gibt bisher nicht zugelassene Sorten gegen Spende ab und riskiert Klagen wie die gegen Kokopelli in 2007 oder ordnungsrechtliche Verfahren wie das gegen die lettische Farm Neslinko in 2012.


Mehr Sorten für den Bioanbau

Nachdem immer mehr samenfeste Sorten vom Markt genommen und durch Chemie-abhängige Hybridsorten ersetzt wurden, nahmen Bio-Erzeuger die Züchtung selbst in die Hand. Aus ersten Anfängen in den 1980er Jahren entwickelte sich unter anderen die biologisch-dynamisch arbeitende Bingenheimer Saatgut AG, der größte Anbieter von Biosaatgut in der EU. 1994 war der Verein Kultursaat gegründet worden; er hat 43 neue zugelassene Sorten gezüchtet. Sortenspezifische Informationen über »Gemüse mit Charakter« werden über die Gärtner an Händler und Verbraucher weitergegeben. Bioläden fördern »Fair Breeding« mit 0,3 Prozent ihres Gemüseumsatzes für eine festgelegte Anzahl Jahre. Der neue Verein Saat:gut züchtet zunächst Kohl, denn davon gab es fast nur noch Hybride. Die Zukunftsstiftung Landwirtschaft fördert solche Initiativen seit etwa einer Dekade. Auf europäischer Ebene kooperieren Bio-Züchter im Europäisches Konsortium für Ökologische Pflanzenzucht (European Consortium for Organic Plant Breeding ECOPB-Verband). Dieser fordert von der Saatgutrechtsreform für seine Züchtungsziele geeignete Zulassungsbedingungen.


Was zeichnet sich bei der Saatgutrechtsreform ab?

Die Saatgutindustrie möchte Sortenschutz und Zulassung administrativ verknüpfen und die Verwaltung privatisieren, das heißt praktisch auf Industrie oder ihre Verbände übertragen. Sortenschutz und EU-Patentrecht werden sicherlich nicht eingeschränkt, sondern die Zulassung für den Verkauf geschützten Saatgutes vereinfacht, und zwar EU-weit. Alte Sorten gehören nach Meinung der Industrie in Genbanken, nicht auf Äcker oder in Gärten. Die Zulassung sei entscheidend, um Trittbrettfahrer auszuschalten, in deren Samentüten nicht das drin ist, was draufsteht, so argumentieren die Sortenämter in verschiedenen EU-Ländern. Allerdings findet eine Prüfung bei der Zulassung von Erhaltungssorten gar nicht statt; die Gebühr dient lediglich der Verwaltung. Europaweit fordern Erhalterorganisationen die Streichung der Zulassungspflicht, damit Saatgut von Vielfaltssorten ohne Bürokratiekosten verkauft werden kann. Die Abnehmer, vor allem private Gärtner, orientieren sich an der Beratung durch die etablierten Erhalterorganisationen, nicht an der amtlichen Zulassung.

Die Autorin ist selbstständige Beraterin zu Welternährungsfragen und Erste Vorsitzende des Vereins zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt und im Vorstand des Dachverbands Kulturpflanzen und Nutztiervielfalt.

(1) Thoralf Richter: Strukturen und Entwicklungen des Schweizer internationalen Marktes für Saatgut, 2012.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2012, S. 20-21
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2012