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CHEMIE/347: Pestizide belasten Mensch und Natur weltweit (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Pestizide belasten Mensch und Natur weltweit
Gründe und Möglichkeiten für eine Abkehr vom chemischen Pflanzenschutz

von Susan Haffmans


Trotz über die Jahre verbesserter Ausbildung der beruflichen Pestizid-AnwenderInnen, technischem Fortschritt und Verschärfungen bei der Zulassungsprüfung ist es nicht gelungen, unsere Umwelt und Gesundheit ausreichend vor den negativen Auswirkungen des Pestizideinsatzes zu schützen. Pestizide lassen sich heute überall auf der Welt nachweisen, in Böden und Gewässern genauso wie in Nahrungsmitteln, im Hausstaub und in Muttermilch. Neben Auswirkungen auf die Gesundheit trägt der Pestizid-Einsatz zum Verlust der biologischen Vielfalt bei. Jüngste Daten zum dramatischen Rückgang von Insekten sind ein Alarmsignal und unterstreichen die Forderung nach einer anderen Landwirtschaft und nach nicht-chemischen Pflanzenschutzverfahren.


Pestizide ist ein Sammelbegriff. Er umfasst Substanzen, die als schädlich oder lästig angesehene Lebewesen abtöten, vertreiben oder ihre Entwicklung hemmen, wie z. B. Unkrautvernichtungsmittel (Herbizide), Schädlingsbekämpfungsmittel (Insektizide) und Substanzen zur Bekämpfung von Pilzbefall (Fungizide). Der Großteil der Pestizide wird in der Landwirtschaft eingesetzt, aber auch im Forst, im Gartenbau, auf Gleisanlagen, in Privatgärten und auf kommunalen Flächen. So gelangen auf jeden Hektar Nutzfläche im Jahr durchschnittlich etwa 9 Kilogramm Pflanzenschutzmittel. (1) Trotz Einhaltung aller Anwendungsvorgaben können Nicht-Zielorganismen auf den behandelten Flächen sowie in benachbarten und weiter entfernten Gebieten geschädigt und Böden und Gewässer belastet werden. Denn ein Teil der Pestizide verdunstet, verweht, versickert und verbreitet sich auf diese Weise in der Umwelt.


Mensch und Natur im großen Freilandversuch

Von Seiten der Behörden und der Pestizidindustrie wird immer wieder gesagt, es gäbe kaum Substanzen auf dem Markt, die so gut untersucht und geprüft seien wie Pestizide. Ein Blick in die Geschichte des chemischen Pflanzenschutzes offenbart jedoch, dass viele Pestizide, die alle nach erfolgreich bestandener Risikoprüfung zum Zeitpunkt ihrer Marktzulassung als vermeintlich "sicher" galten, wiederholt zu Schädigungen von Menschen, Tieren, Pflanzen und Ressourcen führten. So reicherte sich das in den 1930er Jahren zugelassene Insektizid DDT in tierischen Fettgeweben und in der Umwelt an und führte u. a. zu dramatischen Rückgängen von Vogelbeständen. Das in den späten 1950er Jahren entwickelte Herbizid Atrazin, führte zu schwerwiegenden Gewässerbelastungen. Viele Trinkwasserbrunnen mussten wegen hoher Atrazin-Kontamination geschlossen werden. Zahlreiche weitere Beispiele sind bekannt. Wer glaubt, man könne Jahr für Jahr große Mengen hochwirksamer Pestizide ausbringen, ohne dass es zu gravierenden negativen Auswirkungen auf Mensch und Natur kommt, der irrt.


Alarmierender Artverlust: Erst schwinden die Pflanzen, dann die Insekten

Während der Inlandsabsatz an Pestiziden in Deutschland seit Jahren steigt, vollzieht sich in der Agrarlandschaft ein dramatischer Rückgang an biologischer Vielfalt. Der Pestizideinsatz ist für den Artenrückgang nicht alleinverantwortlich, doch hat der Jahrzehnte währende Einsatz von Herbiziden wie Glyphosat und Insektiziden erheblich dazu beigetragen, dass es immer weniger Pflanzenvielfalt auf und an Äckern gibt. Der Samenvorrat in Ackerböden nimmt seit Jahrzehnten ab. Statt der in den 1970er Jahren noch verbreiteten 21 bis 40 Wildkrautarten pro Feld finden sich heute nur noch 2 bis 3 Arten. Dabei vertragen Kulturpflanzen durchaus etwas Unkraut ohne Ertragseinbußen, Weizen beispielsweise 20 bis 30 Wildkräuter pro Quadratmeter. (2) Fehlen Wildpflanzen auf landwirtschaftlichen Nutzflächen, so verlieren pflanzenfressende Insekten wichtige Nahrungsquellen. Die Wildbienen finden weder Nistmaterial, noch Pollen oder Nektar und Schmetterlinge keine Blätter, an die sie ihre Eier heften können.

Insekten sind zudem in besonderer Weise durch den Einsatz von Insektiziden gefährdet. Die Wirkmechanismen der Insektengifte unterscheiden nicht zwischen "Schädling" und "Nützling". Zwar gibt es zum Schutz von Nicht-Zielorganismen Auflagen für die Pestizid-Ausbringung, beispielsweise das Einhalten bestimmter Abstände zu Gewässern bei gewässergefährdenden Mitteln oder zeitliche Restriktionen für die Ausbringung bienengefährlicher Mittel. Doch was helfen unzureichende Auflagen, die auf Fehleinschätzungen im Rahmen der Risikoprüfung basieren? Ein bekanntes Beispiel sind die hochgradig bienengefährlichen Neonikotinoide Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam. Die neurotoxischen Stoffe sind nicht nur hochtoxisch für Bienen - viele erinnern sich an die Vergiftung von 11.000 Bienenvölkern in Deutschland 2008 - sondern stören selbst in geringsten Konzentrationen wichtige Funktionen wie die Gedächtnisleistung, Mobilität, Orientierung und das Sozialverhalten. (3) Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kam zu dem Schluss, dass die bisherige Risikoprüfung für die genannten Wirkstoffe unzureichend ist, um den Schutz von Bestäubern sicherzustellen. Nun steht die Europäische Union vor der Entscheidung, ob das seit 2013 geltende Teilverbot für die Anwendung von Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam in bestimmten Kulturen ausgeweitet und die Mittel endgültig vom Markt genommen werden - für Natur und Umwelt wäre dies eine gute Nachricht.

Zahlen aus Nordrhein-Westfahlen belegen, dass selbst in bestimmten Naturschutzgebieten die Biomasse an Insekten innerhalb der letzten 20 Jahre um fast 80 Prozent zurückgegangen ist. (4) Im Vergleich zu 1970 haben wir heute nur noch 11 Prozent der Insekten von einst. (5) Ohne ausreichend Insekten gibt es keinen Bruterfolg für Vögel, und auch anderen kleinen Wirbeltieren fehlt die Nahrung. Für diesen Artenschwund ist nicht die Landwirtschaft allein verantwortlich. Sicher ist aber, dass der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft einen Anteil am Rückgang von Wildpflanzen, Insekten und Vögeln in der Agrarlandschaft hat.


Globales Engagement gegen hochgefährliche Pestizide

Seit mehr als 30 Jahren informiert das internationale Pesticide Action Network (PAN) mit seinen 600 Partnerorganisationen in mehr als 90 Ländern über die negativen Folgen des Einsatzes von Pestiziden und setzt sich für umweltschonende, sozial gerechte Alternativen ein. PAN Germany mit Sitz in Hamburg ist Teil dieser PAN-Familie. Pestizidbedingte Probleme gibt es überall auf der Welt. In besonderer Weise betroffen sind sog. Entwicklungsländer. Obgleich dort nur 25 Prozent der Pestizid-Weltproduktion stattfindet, ereignen sich hier die meisten Pestizidvergiftungen und 99 Prozent der pestizidbedingten Todesfälle. Ging es in den frühen Anfängen von PAN vielfach um Hilfe bei akuten Vergiftungen und um deren Vermeidung, wurde das Engagement bald auf den Schutz der Umwelt, die Förderung nicht-chemischer Alternativen und die Durchsetzung besserer internationaler Regelungen ausgeweitet. PAN trug und trägt u. a. zur Ausgestaltung internationaler Vereinbarungen bei, wie dem internationalen Pestizid-Verhaltenskodex, und war maßgeblich daran beteiligt, dass besonders gefährliche Pestizide wie DDT und Endosulfan in der landwirtschaftlichen Anwendung international verboten wurden.


Was muss getan werden?

Ein wichtiger Schritt ist die konsequente Förderung nicht-chemischer Maßnahmen im Pflanzenschutz und Schädlingsmanagement. Die Verantwortung für eine pestizidfreie Zukunft kann nicht von der Landwirtschaft alleine geschultert werden, hier ist die gesamte Gesellschaft gefordert, Ideen einzubringen und Verantwortung zu übernehmen. Der Politik kommt es zu, entsprechende Weichen zu stellen, u. a. durch eine wesentliche Aufstockung des Forschungsetats im Bereich nicht-chemischer Pflanzenschutzverfahren, die Durchsetzung einer risikoabhängigen Abgabe auf Pestizide, um zumindest einen Teil der "externen" Umwelt- und Gesundheitskosten des Pestizideinsatzes einzupreisen. Außerdem sollten Anreize für die Anwendung von Produkten und Verfahren mit weniger negativen Auswirkungen geschaffen werden, sowie eine endlich bußgeldbewährte strikte Neufassung der sogenannten "guten fachlichen Praxis im Pflanzenschutz" entstehen. Unternehmen können Vorgaben erarbeiten für einen schrittweisen Verzicht auf hochgefährliche Pestizide in der Zulieferkette oder im Beschaffungswesen. Und jedeR einzelne kann schon heute auf Unkrautvernichter und Insektensprays im eigenen Garten verzichten und beim Einkauf nicht-gespritztes Obst, Getreide und Gemüse aus der Region nachfragen.


Die Autorin ist Agraringenieurin und als Projektkoordinatorin im Bereich Pestizide beim Pesticide Action Network tätig.



Anmerkungen:

(1) Web-Informationen des Umweltbundesamtes zum Thema Pflanzenschutzmittel (17.11.2017).
http://www.umweltbundesamt.de/themen/chemikalien/pflanzenschutzmittel.

(2) Gesine Schütte (2017): Artensterben im Agrarland und auf unseren Äckern.
http://www.pan-germany.org/download/pestizid-brief/PB1_2017_Artensterben_F.pdf.

(3) PAN Germany (2011): Bienen, Hummeln & Co - Bedeutung, Gefährdung und Schutz.
http://www.pan-germany.org/download/biodiversitaet/Bestaeuber_Info_2011.pdf.

(4) Heinz Schwan et al. (2013): Ermittlung der Biomassen flugaktiver Insekten im Naturschutzgebiet Orbroicher Bruch mit Malaise-Fallen in den Jahren 1989 und 2013. In: Mitteilungen aus dem Entomologischen Verein Krefeld, Bd. 1, S. 1-5.

(5) Gesine Schütte (2017): Artensterben im Agrarland und auf unseren Äckern.
http://www.pan-germany.org/download/pestizid-brief/PB1_2017_Artensterben_F.pdf.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 33-34
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2018

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