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ERNÄHRUNG/112: Verbotenes Totalherbizid in 25 Prozent aller Lebensmittelproben (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF - Nr. 1039, vom 24. Juli 2014, 33. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Verbotenes Totalherbizid in 25 Prozent aller Lebensmittelproben!



Seit einigen Monaten kursieren vermehrt Berichte über hohe Gehalte von Chlorat in pflanzlichen Lebensmitteln aller Art - insbesondere in Obst und Gemüse, aber beispielsweise auch in Kräutern und Gewürzen. Chlorat ist ein oxidativ wirkendes Totalherbizid, das früher beispielsweise als "Unkraut-Ex" auch auf dem deutschen Markt zugelassen war. Weil Chlorat sowohl akut als auch chronisch eine toxische Wirkung aufweist, ist die Anwendung von Chlorat als Herbizid und als Biozid in der EU seit 2010 generell verboten. Warum sich Chlorat weiterhin in vielen Lebensmitteln - auch in Biogemüse - nachweisen lässt, könnte lt. "Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt" (CVUA) in Stuttgart verschiedene Ursachen haben:

  • "Rückstände aus der Verwendung von gechlortem Waschwasser, der Anwendung von Chlordioxid zur Desinfektion von Waschwasser oder eine illegale direkte Chlorierung von Lebensmitteln mittels Verfahren, bei denen Chlor "in situ" entsteht, z.B. der Chlorelektrolyse.
  • Umweltbedingt, z.B. über atmosphärische Ablagerungen, über kontaminiertes Beregnungs- oder Bewässerungswasser etc.
  • Verbotene Anwendung von Chloraten als Herbizid.
  • Aufnahme von Chloraten durch die Pflanze aus Böden, die damit belastet sind, entweder umweltbedingt oder aus früheren Anwendungen von Chloraten als Herbizide oder durch verunreinigte Dünger."

Das Stuttgarter CVUA hat nach den ersten Chlorat-Befunden in Lebensmitteln systematisch pflanzliche Lebensmittel aller Art analysiert - und musste feststellen, dass in 25 Prozent der über 1.000 untersuchten Lebensmittel der Wirkstoff in einer Konzentration von über 0,01 mg/kg nachweisbar war. 0,01 Milligramm Chlorat pro Kilogramm Lebensmittel gelten in der EU als Standardgrenzwert. Zum Vergleich: Für Trinkwasser gilt im Allgemeinen ein 100fach strengerer Vorsorgegrenzwert von 0,0001 mg/l. Für Chlorat hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) allerdings einen vorläufigen Richtwert von 0,7 mg/l festgesetzt.

"Dies bedeutet, dass laut WHO täglich 2 Liter Wasser mit einem Chlorat-Gehalt von 0,7 mg/L ohne negative gesundheitliche Folgen von Menschen getrunken werden können", schreibt das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) in einer Stellungnahme am 11.03.14. Auch Bio-Lebensmittel waren ebenfalls zu etwa 25 Prozent mit Chlorat kontaminiert. Der Median der Chloratbefunde lag sowohl bei konventionellen als auch bei Bio-Lebensmitteln bei etwas mehr als 0,02 mg/kg. Warum Konzentrationen über dem 0,01 mg/kg Standardgrenzwert "unerwünscht" sind, begründet das CVUA damit, dass Chlorat die Schilddrüsenfunktion beeinträchtigt und die roten Blutkörperchen (Erythrozyten) schädigt (siehe Kasten auf S. 1). Deshalb dürfen Lebensmittel, deren Chlorat-Gehalt gesichert über dem 0,01 mg/kg-Standardgrenzwert liegen, nach dem deutschen Lebensmittelgesetz (LFGB) erst gar nicht in den Verkehr gebracht werden. In einzelnen Fällen waren die gefunden Chloratkonzentrationen nicht nur in chronischer Hinsicht bedenklich: "Bei drei Proben (0,3%) lagen die errechneten Aufnahmemengen von Chlorat durch die jeweiligen Proben bei über 100% der vom BfR [Bundesamt für Risikobewertung; Anm. BBU] empfohlenen akuten Referenzdosis (0,01 mg/kg Körpergewicht). Hier könnten unerwünschte gesundheitliche Effekte nicht ausgeschlossen werden. Bei zwei weiteren Proben wurde die akzeptierbare tägliche Aufnahmemenge nur knapp unterschritten."


Warum Chlorate gesundheitlich bedenklich sind
Chlorate sind Salze der Chlorsäure (HClO3). Sie sind starke Oxidationsmittel und werden z.B. zum Bleichen von Papier, zum Gerben von Leder, zur Oberflächenbearbeitung von Metallen und in der Pyrotechnik verwendet. Aufgrund ihrer desinfizierenden Wirkung können sie in Kosmetika und zu Mundhygienezwecken in Mundwasser und Zahnpasta eingesetzt werden. Dass das vielleicht nicht besonders gesund ist, erläutert das CVUA folgendermaßen:
"Chlorat hemmt reversibel die Aufnahme von Jodid in die Schilddrüse und kann bei höheren Dosen insbesondere bei empfindlichen Personengruppen wie Kindern, Schwangeren oder Personen mit Schilddrüsenfunktionsstörungen oder Jodmangel unerwünschte gesundheitliche Effekte verursachen. Neben Auswirkungen auf die Schilddrüsenfunktion kann Chlorat auch Schädigungen der roten Blutkörperchen (Methämoglobinbildung, Hämolyse) bewirken."
Am 26.07.14 hat das Bundesamt für Risikobewertung (BfR) seine Stellungnahme Nr. 028/2014 vom 12.05.2014 zur gesundheitlichen Bewertung von Chloratrückständen in Lebensmitteln auf seiner Homepage veröffentlicht. Darin empfiehlt das BfR, die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) abgeleitete erlaubte Tagesdosis (Acceptable Daily Intake, ADI) von 0,01 Milligramm (mg) Chlorat pro Kilogramm (kg) Körpergewicht vorläufig als Basis sowohl für die chronische als auch für die akute Risikobewertung von Chlorat zu verwenden. Obwohl ein Viertel aller bislang untersuchten Lebensmittel Chloratbefunde aufgewiesen haben, rät das BfR von einem Verzicht auf Gemüse und Obst ab. Denn der gesundheitliche Nutzen von Obst und Gemüse bleibe trotz der Chloratbefunde "unumstritten".

Statt US-Chlorhühnchen zur Abwechslung US-Chlorat-Karotten

Seit der Debatte um das transatlantische Freihhandels- & Investitionschutzabkommen TTIP (s. RUND-BR. 1029/2-3, 1026/1-2) sind die US-Chlorhühnchen zu einem Synonym für drohende Standardabsenkungen beim Verbraucherschutz geworden. Durch die zuvor genannten Chlorat-Untersuchungen des CVUA Stuttgart ist deutlich geworden, dass die Haltbarmachung von Lebensmitteln mit Chlorwasser in der US-Lebenmittelindustrie eine breit angewandte Desinfektionsmethode ist. Bei der Untersuchung von importierten Karotten aus den USA hat das CVUA nämlich besonders hohe Chlorat-Konzentrationen festgestellt. Das CVUA führt dies auf das in den USA angewandte "Hydrocooling-Verfahren" zurück: "'Hydrocooling' ist ein Nachernteverfahren, mit dem frisch geerntetes und evtl. zubereitetes Gemüse/Obst mittels Eiswasser schnell auf Temperaturen unter 10°C heruntergekühlt wird, um die Haltbarkeit zur verlängern und Feuchtigkeitsverluste zu minimieren. Um die Belastung des Lebensmittels mit Mikroorganismen während und nach der Behandlung zu reduzieren, wird das Kühlwasser u.U. je nach Verfahren, Anwender oder Kühlgut auch mit Chlor bzw. Natrium- oder Calciumhypochlorit versetzt, wodurch pathogene Keime und Verderbniserreger abgetötet werden."

Die US-Lebensmittelhersteller würden zwar die Chlorkonzentration im Abkühlwasser überwachen, aber nicht die Chlorat-Konzentration. Das ist einigermaßen fahrlässig, weil bekannt ist, dass bei der Behandlung von Wasser mit Chlor und bei Verwendung von Chlorbleichlauge (Natrium- bzw. Calciumhypochlorit-Lösung) Chlorat als Nebenprodukt entstehen kann. Dazu führt das CVUA weiter aus: "Die Bildung von Chlorat als Nebenprodukt ist abhängig vor allem vom pH-Wert, von der Wassertemperatur, der Anwendungsdauer und auch von der organischen Belastung des Wassers. Da bei hoher organischer Belastung der Chlorbedarf erhöht ist, steigt auch der Gehalt an Chlorat an. Wird während der Behandlung der Lebensmittel im Hydrocooler nur die Chlorkonzentration überwacht, so kann sich vom Anwender unbemerkt, insbesondere bei kontinuierlicher Nachchlorierung des Wassers, die Chlorat-Konzentration stark erhöhen und so zu erhöhten Chlorat-Rückständen im Lebensmittel führen."

Das Hydrocooling-Verfahren ist vermutlich nur eine der Ursachen für die Chlorat-Belastung von Gemüsen und anderen pflanzlichen Lebensmitteln. Es muss noch andere Ursachen geben, denn mit dem Hydrocooling-Verfahren ist nicht erklärbar, dass sich auch in vielen einheimischen Bio-Lebensmitteln vergleichsweise hohe Chlorat-Konzentrationen nachweisen lassen. Behörden und Lebensmittelindustrie stochern offenbar bei der Suche nach den Ursachen der Chloratbelastung von pflanzlichen Lebensmitteln immer noch im Nebel. Auf der Homepage des Bundes für Lebensmittelkunde und -recht e.V. (BLL) versichert man zunächst, dass die deutsche Lebensmittelwirtschaft "sich ihrer hohen Verantwortung für die Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln bewusst" sei, um dann fortzufahren: "Da die Ursachen für Chlorat-Gehalte in pflanzlichen Lebensmitteln bislang auf Annahmen beruhen und bestimmte Funde noch nicht schlüssig erklärt werden konnten, hat die deutsche Lebensmittelwirtschaft begonnen, mögliche Eintragsquellen für Chlorat in Lebensmittel zu überprüfen und den Übergang von Chlorat aus Wasser auf Lebensmittel zu untersuchen. Sie steht dazu mit den zuständigen Behörden in Deutschland in engem Austausch." Die BLL-Meldung stammt vom März 2014. Bis auf das US-amerikanische Hydrocooling-Verfahren hat man offenbar noch keine weitere heiße Spur gefunden.


Chloratträchtige Homepages

Die obenstehenden "Chlorat-Infos" beruhen auf den Angaben, die man auf den Homepages der CVUA, der Stiftung Warentest, des BBL und des BfR nachlesen kann:
www.cvuas.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=1852
http://www.cvuas.de/pub/beitrag.asp?subid=1&Thema_ID=5&ID=1851
http://www.test.de/Rueckruf-Tiefkuehl-Brokkoli-von-Rewe-Penny-und-Real-Erhoehte-Chlorat-Rueckstaende-4701717-0/
http://www.bll.de/de/lebensmittel/sicherheit/unerwuenschte-stoffe/chlorat
www.bfr.bund.de/cm/343/empfehlung-des-bfr-zur-gesundheitlichen-bewertung-von-perchlorat-rueckstaenden-in-lebensmitteln.pdf

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Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1039
Herausgeber:
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© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. August 2014