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EUROPA/161: Neue Pflanzenschutz-Politik - Was kommt auf Europas Bauern zu? (IVA)


Industrieverband Agrar e. V., Frankfurt am Main - Pressemitteilung, 16. Januar 2009

Neue Pflanzenschutz-Politik: Was kommt auf Europas Bauern zu?


(Berlin, 16. Januar 2009) Europa hat seine Pflanzenschutz-Politik neu geregelt. Am 13. Januar hat das Parlament eine Verordnung über die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und eine Richtlinie für deren Anwendung verabschiedet. "Die Landwirtschaft wird die Auswirkungen erst in einigen Jahren zu spüren bekommen", erklärt dazu Volker Koch-Achelpöhler, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands Agrar e. V. (IVA). "Wie diese aussehen, wird von der weiteren Ausgestaltung der Bestimmungen abhängen. Im Hinblick auf die zonale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wird die Praxis erweisen müssen, ob sich die damit verbundenen Hoffnungen erfüllen."


Zulassungsverordnung: Abschied von Paracelsus

Die Pflanzenschutz-Zulassungsverordnung gilt direkt in den Mitgliedstaaten. Sie wird voraussichtlich zum Jahresbeginn 2011 wirksam. Dann müssen Wirkstoffe bei der erstmaligen oder wiederholten Registrierung die neuen Anforderungen erfüllen. Die besonders umstrittenen Ausschlusskriterien, beispielsweise für Stoffe, die als hormonell wirksam eingestuft werden, müssen allerdings erst noch genau definiert werden. Die Kommission hat für einen Entwurf dazu vier Jahre Zeit; in der Übergangsphase gelten vorläufige Kriterien.

"Die Ausschlusskriterien bedeuten den Abschied von der 500 Jahre alten Erkenntnis, dass die Dosis das Gift macht", so Koch-Achelpöhler. "Es ist auch die Abkehr der Politik von einer wissenschaftsbasierten Entscheidungsfindung. Eine hochentwickelte Region wie Europa sollte nicht in dieser Richtung weitermarschieren. Die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Landwirtschaft könnte sonst spürbar leiden."


Kein "Verbot" von Wirkstoffen geplant

Zufrieden zeigte sich Koch-Achelpöhler darüber, dass die Extremforderungen des Parlaments zu Ausschlusskriterien im Rahmen der Kompromissfindung abgemildert wurden. "Allerdings sind wir zurzeit noch nicht in der Lage, seriöse Zahlen zum Verlust von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland zu nennen", erklärte der Verbandschef. "Hier sind jetzt vernünftige Analysen in der notwendigen Tiefe angesagt und keine Schnellschüsse".

Die Zahl der gefährdeten Substanzen sagt nichts über deren Bedeutung für die Praxis aus. Deshalb sieht die Verordnung auch zahlreiche Ausnahme- und Sonderregelungen vor. "Das bedeutet programmierte Irritation; es wird schwierig werden, im Regelungsdschungel den Überblick zu behalten."


Wirkstoff-Substitution: Probleme beim Resistenzmanagement?

Europaweit sollen zu "ersetzende Wirkstoffe" bestimmt werden, die gegenüber Substanzen für den gleichen Anwendungsbereich als "schlechter" eingestuft werden. Die Mitgliedstaaten sollen Pflanzenschutzmittel mit diesen Wirkstoffen ersetzen, wenn günstigere vorhanden sind. "Wir müssen befürchten, dass das Resistenzmanagement schwierig wird, wenn die Mitgliedstaaten diese Maßnahme allzu häufig praktizieren", so Koch-Achelpöhler.


Wie weit weht ein Wirkstoff mit dem Wind?

Als "forschungsfeindlich und innovationshemmend" bezeichnete der Verbandschef zusätzliche neue Anforderungen aus der Zulassungsverordnung. So muss künftig zum Beispiel berücksichtigt werden, ob eine Substanz zur Fernverfrachtung neigt, und es müssen ihre Auswirkungen auf die Artenvielfalt und das Ökosystem oder kumulative und synergistische Effekte von Mehrfachrückständen ermittelt werden. Eine klare Definition zu diesen Vorgaben fehlt bisher. "Ziel der Verordnung war die Förderung von Innovation. Neue Pflanzenschutz-Wirkstoffe werden auch dringend gebraucht, wenn alte wegfallen. Wir können sie aber nicht liefern, wenn die Entwicklung immer schwieriger wird", erklärte Koch-Achelpöhler.


Große Erwartungen an die Zonale Zulassung

Große Hoffnungen verbindet die Landwirtschaft mit der erleichterten gegenseitigen Anerkennung von Zulassungen innerhalb der jetzt geschaffenen drei Zonen in Europa. Selbst Zonen übergreifend können Nachbarländer Zulassungen übernehmen. Ob die heutigen Wettbewerbsverzerrungen durch unterschiedlichen Zugang zu Mitteln beseitigt werden, muss die Praxis zeigen.

Auch Erzeugerverbände oder Behörden können die Anerkennung einer Zulassung beantragen. Die Zustimmung des Herstellers ist dafür nicht erforderlich. "Als Industrie sind wir mit dieser Regelung nicht glücklich", sagte dazu Koch-Achelpöhler. "Die Hersteller tragen die Verantwortung für ihre Produkte; sie müssen mit entscheiden können, wo und wie diese eingesetzt werden."


Warten auf die Kommission

Die vorläufige nationale Zulassung von Pflanzenschutzmitteln wurde erschwert. In Zukunft wird sie erst möglich sein, wenn die Kommission mit der Wirkstoffzulassung in Verzug gerät und auch nach zweieinhalb Jahren noch nicht entschieden hat. "Diese Wartezeit gibt es heute nicht; sie wird dazu führen, dass die Landwirte erst mit erheblicher Verspätung Innovationen nutzen können. Auch für den Hersteller geht dadurch wertvolle Patentlaufzeit verloren".

Um Behandlungslücken zu schließen, können Behörden und Erzeuger künftig Lückenindikationen durchsetzen. Davon werden vor allem der Obst- und Gemüsebau profitieren. Zur Finanzierung der nötigen Untersuchungen ist ein Europäischer Fonds geplant.


Nachhaltiger Pflanzenschutz

Auf deutlich größere Zustimmung als die Zulassungsverordnung trifft die Rahmenrichtlinie für die nachhaltige Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. "Die Industrie hat sich immer dafür eingesetzt, die Risiken des Pflanzenschutzes zu minimieren. Rein quantitative Reduktionsprogramme sind dafür ungeeignet. Wir begrüßen deshalb, dass die Richtlinie eine Politik mit klarem Fokus auf Risikoreduktion zulässt."

Die Richtlinie muss in den Pflanzenschutzgesetzen der Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Sie sollen ihre Reduktionsziele in nationalen Aktionsplänen formulieren und die Umsetzung kontrollieren. Zu den Vorgaben in diesem Rahmen gehört die Aus-und Weiterbildung von Anwendern und Verkäufern, das Monitoring "bedenklicher" Wirkstoffe oder nationale Mengenreduktionsziele. Dabei können erreichte Reduktionsziele angerecht werden.

Bis 2014 muss der Integrierte Pflanzenschutz in allen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Maßnahmen wie der Sachkundenachweis für Landwirte oder der Spritzen-TÜV, die in Deutschland bereits umgesetzt sind, sollen europaweit Standard werden.

Für bestimmte Gebiete und Anwendungen sind Beschränkungen vorgesehen, zum Beispiel für öffentliche Flächen oder Wasserschutz- und Natura- 2000-Gebiete.

"Die Industrie sieht eine wichtige Aufgabe darin, an der Weiterentwicklung des nationalen Aktionsplans mitzuarbeiten. Es liegt in unserem ureigenen Interesse, die nachhaltige Anwendung unserer Produkte zu fördern", schloss Koch-Achelpöhler.


Der Industrieverband Agrar e.V. mit Sitz in Frankfurt am Main ist der Zusammenschluss von Unternehmen der agrarchemischen und agrarbiologischen Industrie in Deutschland. Zu den Geschäftsfeldern der 46 Mitgliedsunternehmen gehören Pflanzenschutz, Pflanzenernährung, Schädlingsbekämpfung und Biotechnologie.


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Quelle:
IVA-Pressemitteilung, 16.01.2009
Herausgeber:
Industrieverband Agrar e. V., Pressestelle
Der Verband der Pflanzenschutz- und Düngemittelhersteller
Tel.: +49 69 2556-1249 oder +49 177 8772222
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Internet: http://www.iva.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2009