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EUROPA/208: EU-Pestizidpolitik - Hintertürchen, Schleichwege und Ausnahmen (DNR EU)


Deutscher Naturschutzring (DNR)
Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände
EU-Koordination

EU-News - Donnerstag, 27. Januar 2011 / Chemie & Nanotechnologie

EU-Pestizidpolitik: Hintertürchen, Schleichwege und Ausnahmen


Das europäische Pestizid-Aktions-Netzwerk PAN-Europe hat eine Studie zum Verhalten der EU-Mitgliedstaaten im Umgang mit giftigen Pflanzenschutzmitteln veröffentlicht. Demnach hat sich die Zahl der Verbotsausnahmen in den letzten vier Jahren um 500 Prozent erhöht.

Die Umweltaktivisten haben eines der vielen Schlupflöcher in der Richtlinie 91/414/EG über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln genauer untersucht: Ausnahmeregelungen nach Artikel 8.4 [1]. Im Jahr 2010 haben die Mitgliedstaaten insgesamt 321 Ausnahmen für 152 unterschiedliche chemische Substanzen beantragt. Frankreich führt die Liste der "Ausnahmegestatter" an und erlaubte die Verwendung von 74 nicht-autorisierten Pestiziden, gefolgt von Griechenland mit 54 und Portugal mit 31 Ausnahmen. Laut Studie habe Frankreich noch 2007 keinerlei Ausnahmen gestattet, doch im letzten Jahr habe es plötzlich 74 Fälle von "unvorhergesehenen Gefahren" gegeben. Auch in Deutschland sei die Zahl der Ausnahmeregelungen aus nicht nachvollziehbaren Gründen angestiegen.

PAN-Europe bezweifelt, dass dieser "Tsunami" von Ausnahmeregelungen den gesetzlichen Bestimmungen wirklich entspricht und kritisiert die intransparenten Entscheidungsprozesse. Es gebe nämlich kaum Informationen über die angeführten Begründungen der Mitgliedstaaten und ob diese wirklich gerechtfertigt seien. Die Flut von Fällen mit "unvorhergesehenen Gefahren" sei unwahrscheinlich und gerade beim Gebrauch von Methoden wie Bodenbegasung könne von "unvorhergesehen" keine Rede sein. "Das sieht mehr wie ein Schönfärben illegalen Gebrauchs aus", urteilen die PAN-Autoren. Auch die zweite Begründung für Ausnahmen - dass eine Gefahr "mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann" - könne gar nicht so oft greifen, denn es gebe fast immer Alternativen.

PAN-Europa forderte die EU-Kommission auf, Ausnahmen auf ein Minimum zu beschränken. Viele der verwendeten Substanzen seien sehr gefährlich für die Umwelt und die menschliche Gesundheit. Unter den letztlich dann doch genehmigten Stoffen befänden sich unter anderem Organochlorchemikalien oder Neonicotinoide, die im Verdacht stehen, für das Bienensterben verantwortlich zu sein.

Die EU-Kommission müsse sich endlich für eine nachhaltige Landwirtschaft einsetzen, veraltete gesundheits- und umweltgefährdende Methoden untersagen und ein hohes Schutzniveau garantieren. [jg]


[1] Artikel 8.4: "Abweichend von Artikel 4 kann ein Mitgliedstaat unter besonderen Umständen für eine Dauer von höchstens 120 Tagen das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, die den Bestimmungen von Artikel 4 nicht entsprechen, für eine beschränkte und kontrollierte Verwendung zulassen, wenn dies aufgrund einer unvorhersehbaren Gefahr notwendig ist, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann."

PAN-Europe Report "Meet (chemical) agriculture, The world of backdoors, derogations, sneaky pathwyas and loopholes" and Excel annex

PAN Europe, Hans Muilerman, Tel: +31 (0)6-55807255, E-Mail: hans@pan-europe.info

91/414/EG
http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31991L0414:DE:HTML

"Meet (chemical) agriculture, The world of backdoors, derogations, sneaky pathwyas and loopholes
http://www.pan-europe.info/Resources/Reports/PAN%20Europe%20-%202011%20-%20Meet%20(chemical)%20agriculture,%20The%20world%20of%20backdoors,%20derogations,%20sneaky%20pathways%20and%20loopholes.doc

Ecel Annex
http://www.pan-europe.info/Resources/Reports/PAN%20Europe%20-%202011%20-%20Meet%20(chemical)%20agriculture,%20The%20world%20of%20backdoors,%20derogations,%20sneaky%20pathways%20and%20loopholes.xls


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Quelle:
EU-News, 27.01.2011
Deutscher Naturschutzring e.V. (DNR)
EU-Koordination
Marienstraße 19-20, 10117 Berlin
E-Mail: eu-info@dnr.de
Internet: www.eu-koordination.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2011