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EUROPA/224: Zu den EU-Vorschlägen für eine neue Agrarpolitik ab 2014 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012
Die Berliner Umweltzeitung

LANDWIRTSCHAFT
Alles neu macht der Ciolos?
Zu den EU-Vorschlägen für eine neue Agrarpolitik ab 2014

von Jörg Parsiegla


Am 12. Oktober stellte EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos seine Reformpläne zur Gestaltung der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) für den Zeitraum 2014 bis 2020 vor. Diesem mit Ungeduld erwarteten Datum ging ein in der EU-Geschichte bislang einmaliger Vorgang voraus. Erstmals im Erarbeitungszeitraum einer europaweiten Reform war durch die Einrichtung eines internetbasierten Konsultationsverfahrens die Zivilgesellschaft aufgefordert sich einzubringen. Die deutschen kritischen Nichtregierungsorganisationen einigten sich daraufhin auf ein Papier der Plattformverbände mit Forderungen zum Umwelt- und Tierschutz sowie zur bäuerlich-ökologischen Landwirtschaft. Außerdem erarbeitete das Forum Umwelt und Entwicklung ein Positionspapier, das hauptsächlich Reformschritte für Entwicklung und Hungerbekämpfung betont (siehe RABE RALF, Ausgabe April / Mai 2011, Seite 19)(*).


Das Paket

Bei den neuen Vorschlägen handelt es sich um ein Bündel von insgesamt sieben Verordnungen. In der öffentlichen Debatte sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene stehen vor allem die Änderungen bei den Direktzahlungen (1. Säule des Fördersystems). Hier wird zum einen eine neue Aufteilung (Basisprämie / Prämie für klima- und umweltschonende Bewirtschaftungsmethoden (Greening) / weitere Zahlungen, beispielsweise an Klein-/Junglandwirte oder für benachteiligte Regionen) vorgeschlagen, zum anderen geben die Greening-Vorgaben selbst Anlass zur Diskussion. Darüber hinaus soll die Basisprämie unter Berücksichtigung der Arbeitskräftezahl gestaffelt und nach oben begrenzt werden.

Ebenso neu sind der angestrebte Übergang zu regional/national einheitlichen Zahlungen je Hektar und die Angleichung der Zahlungen zwischen den Mitgliedstaaten.

Ciolos will zudem Gesetzeslücken schließen, durch die bisher Konzerne wie RWE, Südzucker oder Deutsche Bahn Flächenprämien erhalten. Zahlungen sollen deshalb nur noch für "aktive Landwirte" fließen - automatisch als aktiver Landwirt gelten soll, wer weniger als 5.000 Euro Direktzahlungen im Jahr erhält.

Das Konzept der durch die Mitgliedstaaten kofinanzierten ländlichen Entwicklung (2. Säule) bleibt annähernd gleich. Anstatt der drei Achsen, welche ökonomische, ökologische und soziale Probleme mit einem Minimum an Ausgaben für jede Achse verknüpfen, beziehen sich die neuen Vorschläge auf sechs Prioritäten, darunter die Förderung der Ressourceneffizienz (und Übergang zu kohlenstoffarmer Wirtschaft), die Wiederherstellung, Erhaltung und Verbesserung der Ökosysteme sowie die Förderung der sozialen Integration einschließlich Armutsbekämpfung. Darüber hinaus sollen die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet werden, 25 Prozent der Mittel für Agrarumweltprogramme (Bewirtschaftungskriterien, Maßnahmen gegen den Klimawandel) bereitzustellen. Außerdem sollen die Mitgliedsländer bis zu 10 Prozent von der 1. Säule der GAP in die 2. Säule umverteilen dürfen.


Belohnung für Vielfalt

Unter Fortbestand des Zwei-Säulen-Fördersystems will Brüssel die Bauern also zu umweltfreundlicherem Wirtschaften bewegen. So sollen 30 Prozent der Direktzahlungen an Umweltauflagen gebunden werden. Nur wer diese einhält, soll die gesamte Hektarprämie ausgezahlt bekommen. Im Wesentlichen handelt es sich um folgende drei Maßnahmen:

1. Fruchtfolge - Mindestens drei Kulturen müssen angebaut werden, die größte darf nicht mehr als 70 Prozent, die kleinste nicht weniger als 5 Prozent Ackerfläche ausmachen.

2. Dauergrünland erhalten - Für die Artenvielfalt und den Klimaschutz besonders wertvolles Grasland darf nach einem Stichtag nicht mehr in Ackerfläche umgewandelt werden.

3. Artenschutz - Mindestens 7 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche eines Betriebes werden als "ökologische Vorrangfläche" ausgewiesen (Hecken, Grünstreifen etc.).

Kleinlandwirte sollen von diesen Maßnahmen ausgenommen werden. Ihnen soll eine vereinfachte Pauschalzahlung ohne Greening-Anforderungen angeboten werden. Damit will Ciolos insbesondere die Situation in seinem Heimatland Rumänien und Bulgarien, aber auch in einigen anderen EU-Staaten berücksichtigen.

Die Verbände begrüßen zwar die Anbindung der Direktzahlungen an die seinerzeit in ihrem Papier geforderten ökologischen Kriterien, halten die Vorgaben allerdings für vollkommen unzureichend. Wenn ein Fruchtfolgeglied bis zu 70 Prozent der Anbaufläche einnehmen darf, bleibt Fehlentwicklungen wie der "Vermaisung" ganzer Landstriche weiterhin Tür und Tor geöffnet. Laut Kritik der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL e.V.) wird ein Fruchtwechsel nur erreicht, wenn eine Frucht auf maximal 50 Prozent der Ackerfläche begrenzt wird. Als Beitrag zur Reduzierung der Sojaimporte sowie zur Verbesserung der Klimabilanz fordert die AbL - ebenso wie das EU-Parlament - einen Mindestanteil von 20 Prozent Leguminosen an der Ackerfläche.

Was die Vorgabe für Grünland betrifft, so sieht eine Stellungnahme der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen dessen Erhalt generell bedroht, wenn es beim vorgeschlagenen Stichtag 1. Januar 2014 bleibt: Bis dahin könnten große Flächen in Ackerland umgebrochen werden, um die Erhaltungsauflage zu umgehen.

Auch bei den ökologischen Vorrangflächen werden die "mindestens 7 Prozent" als zu wenig kritisiert: Selbst der Wissenschaftliche Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMELV) fordert hier 10 Prozent.

Schließlich bleibt die Frage, warum die Direktzahlungen nicht in vollem Umfang an die Erfüllung von Umweltauflagen gebunden werden.


Neue Zahlungsobergrenzen

Bezüglich der 70 Prozent Direktzahlungen, die nicht direkt an Umweltauflagen gekoppelt sind, soll Betrieben, die über 150.000 Euro erhalten, in Abhängigkeit von den betrieblichen Lohnkosten progressiv ein Teil der Zahlungen gekürzt und bei 300.000 Euro eine absolute Obergrenze gesetzt werden. Um zu verhindern, dass Betriebe künstlich Voraussetzungen gegen die Kürzungen schaffen, etwa durch Betriebsteilung, sollen nationale Regelungen erlassen werden.

Da mehr als die Hälfte aller EU-Betriebe, die derzeit mehr als 500.000 Euro vereinnahmen, deutsch sind, war das Sturmlaufen von Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner gegen diese Deckelung vorauszusehen: Sie sieht darin ein neues Programm zur Förderung von Arbeitskräften in der Landwirtschaft und lehnt dies ab. In dieselbe Kerbe zielt erwartungsgemäß auch die Kritik des Deutschen Bauernverbandes. Sein Präsident, Gerd Sonnleitner, sieht in der Begrenzung der Direktzahlungen eine Umkehrung des Wettbewerbsprinzips, weil dies "dem Ansatz einer Flächenprämie zuwiderläuft". Zudem würde eine Anrechnung der Lohnkosten neue Verzerrungen schaffen. In Wahrheit dürfte es den Kritikern wohl eher um Besitzstandswahrung gehen. Denn Deutschland, das derzeit rund sechs Milliarden Euro aus der Agrarkasse erhält, darunter etwa 5,4 Milliarden Euro an Hektarprämien, müsste bis 2019 auf schätzungsweise ein Zehntel der Zahlungen verzichten. Dagegen sieht die EU-Kommission die Lage entspannt: Sie geht davon aus, dass in Deutschland gut 2.800 Betriebe über 150.000 Euro Basisprämie bekommen werden und nur 100 Betriebe vor die Entscheidung gestellt werden, entweder Kürzungen hinzunehmen oder Arbeitskräfte einzustellen bzw. die Lohnkosten zu erhöhen.

Anders als Aigner und Sonnleitner sieht auch der Bauernbund Brandenburg (BBB e.V.), in dem überwiegend auf ihre alten Höfe zurückgekehrte "Wiedereinrichter" organisiert sind, die Obergrenzenfrage. Die geplante Kappung derzeit Agrarsubventionen sei sinnvoll, bleibe aber, so Geschäftsführer Reinhard Jung, ein "zahnloser Tiger". Sein Fazit: "Richtig wäre es, wenn die Zahlungen nur an Betriebe gingen, die sich im Eigentum ortsansässiger Landwirte befinden und nicht in der Hand westdeutscher oder niederländischer Fonds".


Gerechtere Direktzahlungen

EU-Kommissar Ciolos möchte die Direktzahlungen darüber hinaus gerechter unter den europäischen Bauern verteilen. Hierfür sind bis 2019 in den Mitgliedsländern eine Vereinheitlichung und untereinander eine Anpassung dieser ursprünglich als Ausgleich für Mindestpreise gezahlten und zuletzt von der Produktion entkoppelten Betriebs- beziehungsweise Hektarprämien vorgesehen. Dabei steht diese Vereinheitlichung, d.h. der Übergang von historischen Betriebsprämien hin zu regional einheitlich hohen Zahlungsansprüchen (in Deutschland schon bis 2013 umgesetzt) in vielen Mitgliedsstaaten, insbesondere den osteuropäischen, noch ganz am Anfang. Die Anpassung untereinander wird noch einmal sehr zeitaufwendig sein. "Ein Drittel der Differenz zu 90 Prozent der Durchschnittzahlungen in der EU", so lautet die Formel, soll im Laufe der Jahre angeglichen werden. Das heißt, dass in jenen Mitgliedstaaten, in denen der Zahlungsdurchschnitt pro Hektar unterhalb von 90 Prozent deshalb EU-Durchschnitts liegt, die Summen schrittweise angehoben werden - bis die Differenz zu diesen 90 Prozent des EU-Durchschnitts um ein Drittel reduziert ist. Abgeben müssen die Länder, die über dem EU-Durchschnitt (gegenwärtig 271 Euro) liegen, darunter auch Deutschland mit derzeit 318 Euro. Den höchsten Aufschlag bekommt dadurch laut EU-Kommission Lettland (plus 48 Prozent, oder von derzeit 95 auf dann 144 Euro). Die größten Abzüge haben Malta (minus 11 Prozent) und die Niederlande (minus 8 Prozent). Deutschland verliert "nur" 4 Prozent, mit denen die Bundesregierung diesmal aber - die Ausnahme bestätigt die Regel - leben kann.


Fazit

Die Regelungen für die künftige Agrarpolitik sollen 2014 in Kraft treten, müssen aber zuvor mit den Mitgliedsstaaten ausgehandelt werden. Dazu muss das Gesetzespaket von den nationalen Parlamenten und erstmals auch vom EU-Parlament verabschiedet werden.

Die Umweltverbände finden sich in der undankbaren Rolle wieder zu verteidigen, was sie im Detail zwar als zu schwach ablehnen, aber wenigstens im Prinzip als ersten "Schritt in die richtige Richtung" begrüßen.

In Brüssel, so Insider, hat die Debatte die übliche Basarform angenommen: Wer kriegt was, wem wird genommen? Wo lässt sich dieses oder jenes Partikularinteresse unterbringen?

Die großen Herausforderungen, vor denen die europäische Landwirtschaft auch in ihrer Rolle als globaler Trendsetter und nach den USA weltgrößter Importeur und Exporteur von Agrargütern steht (Wann, beispielsweise, fallen die Subventionen für die Agrarexporte nach Afrika?) treten dabei vollkommen in den Hintergrund. Die Vision einer nachhaltigen Landwirtschaft von morgen sucht man in den Vorschlägen der EU-Kommission und in den Reaktionen der Politiker vergebens.


www.abl-ev.de/spezialseiten/abl-artikel/details/article/die-vorschlaegeder-eu-kommission.html
www.abl-ev.de/spezialseiten/abl-artikel/details/article/weitere-vorschlaege-der-kommission.html
www.bmelv.de
www.forumue.de
www.gruene-bundestag.de
www.meine-landwirtschaft.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

• Erntereifes Korn (im Original goldgelb) auf einem
Getreideschlag in Niederösterreich bei Pellendorf

• Im Blickpunkt der Milchindustrie steht heute praktisch nur noch eine einzige Rasse: das Holstein-Frisian-Rind (HF-Rind), hier im Berliner Umland


(*) Anmerkung der Redaktion Schattenblick:
siehe www.schattenblick.de/infopool/europool/wirtsch/euwa1442.htm


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
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Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: jährlich, 20 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Dezember 2011