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GENTECHNIK/702: Was droht von der neuen Bundesregierung im Bereich Gentechnik (BN)


Pressemitteilung des Bundes Naturschutz in Bayern e.V. - 07.12.2009 / Kategorie: Gentechnologie

Was droht von der neuen Bundesregierung im Bereich Gentechnik - kann Bayern gentechnikfrei werden?

Landesvereinigung für den Ökologischen Landbau (LVÖ) und Bund Naturschutz (BN) stellen Forderungskatalog vor


Angesichts der Ankündigungen von CDU/CSU und FDP im Koalitionsvertrag, die Anwendung der Gentechnik im Landwirtschafts- und Nahrungsmittelbereich unterstützen zu wollen, regt sich neuer Widerstand in Bayern.

Die Koalition möchte u.a. den Anbau der gentechnisch veränderten Kartoffel "Amflora" der BASF für eine kommerzielle Nutzung unterstützen, lässt unter Mitarbeit von Anwendern selbst eine Strategie zur Förderung der Gentechnik in Forschung und Anwendung erarbeiten, und plant, die Nulltoleranz für in der EU nicht zugelassene gentechnisch veränderte Organismen (GVO) zu kippen. Dies würde bedeuten, dass nicht abschließend oder möglicherweise überhaupt nicht sicherheitsbewertete GVO in Lebens- und Futtermitteln vorkommen dürften und nicht gekennzeichnet werden müssten - und damit unsichtbar bleiben würden.

Der Bund Naturschutz und die LVÖ mit ihren Mitgliedsverbänden Bioland, Naturland, Biokreis und Demeter kritisieren massiv das Festhalten der neuen Bundesregierung an einem Pro-Gentechnik Kurs. "Wir werden in Bayern den Finger in die Wunde legen", so Hubert Weiger, BN Landesvorsitzender, wenn es entgegen der Aussagen von Ministerpräsident Horst Seehofer und Umweltminister Markus Söder, die sich noch vor einigen Monaten für ein gentechnikfreies Bayern ausgesprochen haben, zum kommerziellen Anbau oder weiteren Freisetzungsversuchen in Bayern kommen sollte."

"Wir lehnen auch technische Tricks bei Rückstandsuntersuchungen ab, mit denen neue Verschmutzungen mit gentechnisch veränderten Bestandteilen in Lebens- und Futtermitteln zugelassen werden sollen", kritisierte Josef Wetzstein, Vorsitzender der LVÖ, "denn das ist Verbrauchertäuschung. Lässt man Grenzwerte zu, werden diese im Lauf der Zeit immer weiter angehoben, und dienen so den Interessen der Gentechnikindustrie"", so Wetzstein "Auf Dauer führen Anbau und Vermarktung gentechnisch veränderter Pflanzen und Ernteprodukte unweigerlich zu einer Vermischung, die die gentechnikfreie Produktion aushebelt und das Recht der Verbraucherinnen und Verbraucher auf Lebensmittel ohne Gentechnik zunichte macht", ergänzt Weiger.

Unter diesen Umständen," fordert Josef Wetzstein, "ist es dringend erforderlich, dass Ministerpräsident Horst Seehofer und Umweltminister Markus Söder sich auch im Hinblick auf die Rechte und Wünsche der Verbraucher entschieden für ein gentechnikfreies Bayern einsetzen."

Beide Organisationen empört, dass die gentechnisch veränderte, für BASF patentierte Kartoffelsorte Amflora, im Koalitionsvertrag eigens genannt wird.

"Wir brauchen diese Kartoffel nicht, und auch unsere Stärkefabriken brauchen sie nicht. Denn die Risiken der gentechnischen Veränderung sind nicht geklärt und es gibt neue Züchtungsverfahren ohne Gentechnik, die weniger risikoreich sind, und über die von der Industrie gewünschten Eigenschaften einer veränderten Stärkeproduktion für die Herstellung von Papier und Klebstoffen verfügen", so Weiger.

"Die neue Regierung öffnet dem kurzfristigen Gewinnstreben weniger globaler GVO - Unternehmen die Türen und nimmt die in Milliarden Euro Beträgen kaum zu bewertenden unkalkulierbaren Risiken und Schäden für die Natur, die Umwelt, den gentechnikfreien und ökologischen Landbau und der ökologischen Lebensmittelwirtschaft in Kauf", kritisiert Josef Wetzstein den schwarz-gelben Koalitionsvertrag. "Die Bundesregierung darf sich auch nicht aus der Verantwortung bei der Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen und Organismen (GVO) stehlen", so Dr. Martha Mertens, Gentechniksprecherin des BN, und weiter: "Die Bundesregierung muss sich daher Bestrebungen auf EU-Ebene, die Zulassung von GVO ausschließlich der EFSA (European Food Safety Authority) zu überantworten, klar widersetzen. Denn die EFSA steht seit langem in der Kritik, industriefreundliche Entscheidungen zu treffen und Einwände von Mitgliedstaaten gegen GVO-Zulassungen nicht ausreichend zu berücksichtigen."

Im Dezember 2008 hat der Umweltministerrat der EU eine umfassende Verbesserung der Arbeit der EFSA gefordert. Er hat sich zudem für die Berücksichtigung sozioökonomischer Aspekte bei der Zulassung von GVO ausgesprochen.


Forderungen von LVÖ und BN:

Die beiden Organisationen fordern daher, dass die im Koalitionsvertrag genannten Bestrebungen, das Gentechnikgesetz zu deregulieren, dem im Koalitionsvertrag ebenfalls festgeschriebenen Ziel, dass "der Schutz von Mensch und Umwelt oberstes Ziel des deutschen Gentechnikrechtes bleibt" klar untergeordnet wird. Der Forderungskatalog der Organisationen zeigt, mit welchen Maßnahmen dieses oberste Ziel erreicht werden kann.

Forderungen im Einzelnen:

1. Das Zulassungsverfahren für gentechnisch veränderte Organismen auf EU Ebene ist zu reformieren, damit endlich auf Basis unabhängiger wissenschaftlicher Risikobewertung entschieden wird, und nicht länger z.B. nur die von den Konzernen vorgelegten Studien Entscheidungsgrundlage der EFSA sind. Das Zulassungsverfahren muss demokratisiert werden und den Mitgliedsstaaten ermöglichen, Verbote von genmanipulierten Pflanzen in ihren Ländern begründet aussprechen zu können. Deregulierungen, die das Mitspracherecht der Mitgliedsstaaten aushebeln, darf es nicht geben.

2. Bis die Reform transparent erfolgt ist, und unabhängige Risikostudien vorgelegt werden können, dürfen keine weiteren Zulassungen erteilt werden, auch die bereits zugelassenen GVOs müssen den neuen Zulassungsvoraussetzungen unterzogen werden.

3. Es dürfen keine weiteren gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland zum kommerziellen Anbau zulassen werden. Nein zu Mon 810 Mais und Amflora-Kartoffel!

4. Eine allmähliche schleichende Verschmutzung von Saatgut, Futtermitteln und Lebensmitteln mit nicht zugelassenen gentechnisch veränderten Pflanzen ist zu verhindern. Die EU weit geltende Nulltoleranz muss beibehalten werden. Die versuchte Panikmache der Fleischwirtschaft und des Bauernverbands entbehrt jeder fachlichen und wissenschaftlichen Grundlage.

5. Die Haftungsregelungen für Verunreinigungen und Schäden müssen so geregelt werden, dass die GVO-Produzenten in die Pflicht genommen werden.

6. Es darf nicht zu Unterschreitungen der bislang festgelegten Abstände zwischen GVO- und Nicht-GVO-Flächen im Gentechnikgesetz kommen. Entsprechende privatrechtliche Möglichkeiten müssen unterbunden werden. Im Gegenteil: Höhere Schutzabstände zwischen GVO-Feldern und konventionellen Feldern oder Schutzgebieten müssen bundesweit einheitlich umgesetzt werden. Die Belange der Imkerei sind endlich zu berücksichtigen.

7. Bayern und der Bund müssen eine Initiative zur Kennzeichnungspflicht für tierische Lebensmittel in die Wege leiten, damit die Verbraucherinnen und Verbraucher eine Wahlmöglichkeit erhalten und Produkte von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Pflanzen gefüttert wurden, erkennen können - über die derzeit mögliche Kennzeichnung "ohne Gentechnik" hinaus.

8. Die Bundesregierung muss sich für die Berücksichtigung sozioökonomischer Kriterien bei der Zulassung von GVO einsetzen, wie es der Umweltministerrat gefordert hat.


Hintergrund 1:

Das Zulassungsverfahren der europäischen Union für gentechnisch veränderte Pflanzen steht in der Kritik:

Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ist für die Zulassung von gentechnisch veränderten Organismen zuständig. Die Behörde selbst steht in der Kritik, weil Mitgliedern eine zu große Industrienähe vorgeworfen wird.

Die Standards nach denen die Untersuchungen von der Industrie durchgeführt werden, sind unzureichend geregelt. Die EFSA führt keine eigenen Untersuchungen durch und berücksichtigt die Ergebnisse unabhängiger Studien kaum. Bei Fütterungsversuchen an Nutztieren werden gesundheitlich Folgewirkungen kaum erfasst.


Hintergrund 2:

Der Weltagrarbericht räumt der Agrogentechnik keine Lösungskraft für die Probleme der Weltlandwirtschaft ein.

2009 werden nach Prognosen der Welternährungsorganisation FAO mehr Menschen als je zuvor auf diesem Planeten Hunger leiden, während gleichzeitig möglicherweise die größte Ernte aller Zeiten eingefahren wird.

"Weiter wie bisher ist keine Option mehr" lautet die Botschaft von über 400 wissenschaftlichen Kapazitäten aus aller Welt, die im Auftrag der Weltbank und Vereinten Nationen in vierjähriger Arbeit die bisher umfassendste Bestandsaufnahme der globalen Landwirtschaft erstellten. Ihr Bericht wurde im April 2008 von 60 Regierungen in Johannesburg verabschiedet. Die Bundesregierung hatte sich daran leider nicht beteiligt. Der Weltagrarbericht zeigt, dass es nicht darauf ankommt, immer mehr zu produzieren, sondern Lebensmittel da verfügbar zu machen, wo sie gebraucht werden. Das bedeutet auch, dass künftig die Produktion von Agrarsprit und Fabrikfleisch in ihrem bisherigen Ausmaß nicht vertretbar sind und deren staatliche Förderung gestoppt werden muss.

Die Agro-Gentechnik ist auf eine industrialisierte Landwirtschaft zugeschnitten, die sich durch große Flächen und Monokulturen auszeichnet.

Die meisten Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass der Verbrauch von Pflanzenschutzmitteln in Gentech-Kulturen drastisch steigt. Dies betrifft vor allem den Anbau von Sojabohnen, aber auch Maiskulturen.

Auch das vielbeschworene Arbeitsplatzpotenzial der Agro-Gentechnik ist nicht durch Tatsachen gedeckt. Gentechnik in der Landwirtschaft ist eine Rationalisierungstechnologie, die Arbeitsplätze vernichtet.

Den vermeintlichen Chancen der Agro-Gentechnik stehen große Risiken gegenüber: Der steigende Gifteinsatz auf dem Acker birgt Gefahren für die Umwelt, und die gesundheitlichen Auswirkungen gentechnisch veränderter Lebensmittel sind nicht geklärt.

Weitere Informationen: www.weltagrarbericht.de

Download:

PM-133-09-Koalitionsvertrag_Gentechnik_Gen.pdf


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Quelle:
Presseinformation 133-09/LFGS, 07.12.2009
Herausgeber:
Bund Naturschutz in Bayern e.V.
Landesgeschäftsstelle
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Tel. 0 941/ 2 97 20-0, Fax 0 941/ 2 97 20-30
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Internet: www.bund-naturschutz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Dezember 2009