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TRADITIONELL/002: Nahrungssicherheit durch indigenen Landbau - Rezepte aus den Gärten der Azteken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. November 2011

Umwelt: Nahrungssicherheit durch indigenen Landbau - Rezepte aus den Gärten der Azteken

ein Gastbeitrag von Haiko Pieplow *


Berlin, 25. November (IPS) - Wir haben den Respekt vor der Erde, dem Wasser, dem Feuer, dem Holz und dem Metall verloren. Wir machen die Erde zu Dreck und verlieren dabei langsam den Boden unter den Füßen. Verbildet und verblendet, ignorieren wir alle Warnungen, dass wir auf Kosten zukünftiger Generationen leben. Der Weltagrarbericht fordert seit 2008 einen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft, um Alternativen gegen den wachsenden Hunger und die Armut zu entwickeln, denn die industrielle Landwirtschaft ist mit ihrer Ressourcenverschwendung, Monokultur und Profitgier nicht zukunftsfähig.

Es gab und gibt andere, erfolgreichere Wege, ausreichend gesunde Lebensmittel, pflanzliche Rohstoffe und regenerative Energie zu erzeugen. Der Schlüssel dafür ist eine vielfältige, klein strukturierte urbane Landwirtschaft mit außerordentlich hohen Energiegewinnen auf kleinsten Flächen, wie sie immer wieder durch hochentwickelte Zivilisationen in Asien, Afrika, Amerika, Polynesien oder Europa entstanden sind.

Eine Landwirtschaft, die auf einer Optimierung des Kohlenstoffkreislaufes aufbaut, kann mit dem Anwachsen der Bevölkerungsdichte die Bodenfruchtbarkeit steigern und damit die Ernährungssicherheit verbessern. Mit Intelligenz, Kreativität und dem Blick für die Schöpfungskraft der Natur können aus unfruchtbaren Böden die fruchtbarsten Gärten entstehen.

Wir können von den humusreichen anthropogenen Schwarzerdeböden wie der 'Terra Preta do Indio' im Amazonas sehr viel lernen und in unsere zukünftige urbane Welt übertragen. Dabei sollten wir aufhören, nur zu reden oder andere mit unserem westlichen Schulwissen zu belehren. Wir sollten wieder lernen, in den Böden, auf und von denen wir leben, Humus aufzubauen. Terra Preta, eine Kultur des Landbaus, der in Mittel- und Südamerika noch an vielen Orten anzutreffen ist, gäbe uns die Möglichkeit dazu.


Wissen ist ein Schatz, der sich vermehrt, wenn man ihn teilt

Vom 18. bis 30. Oktober 2011 haben sich in Mexiko-Stadt und Umgebung bis zu 200 Vertreterinnen von Landfrauenverbänden, spirituelle Führerinnen von indigenen Gruppen Mittelamerikas sowie Experten aus China und Europa getroffen, um über Wege einer nachhaltigen Entwicklung zu diskutieren und in konkreten Projekten Erfahrungen auszutauschen sowie Wissen weiterzugeben.

Aus Europa waren Experten aus Portugal, Deutschland, Schweiz und Schweden angereist. Ich wurde von der Berliner Sektion der '1000 Friedensfrauen weltweit' und als Teil des internationalen Netzwerks 'Zero Emissions and Research Inititives' gebeten, im Rahmen dieses Treffens in mehreren Workshops die Herstellung von Terra Preta zu vermitteln sowie das Konzept der Blue Economy, einem alternativen Konzept der solidarischen Ökonomie, vorzustellen.

Gemeinsam haben wir in den Küchen der Dörfer die dort noch weit verbreiteten Holzöfen genutzt, um aus Holzabfällen Pflanzenkohle zu gewinnen und damit aus den jeweils verfügbaren organischen Abfällen, einschließlich tierischer und menschlicher Exkremente, Terra-Preta-Substrate herzustellen und daraus Initiale für Gartenbeete anzulegen. Dabei haben wir auf die Erfahrungen aus einem vergleichbaren Treffen in Peking zurückgreifen können. Initiiert von den 1.000 Friedensfrauen wurde dort im letzten Jahr ein Terra-Preta-Versuch in der 'Little Donkey Farm' der Renmin-Universität Peking angelegt.

Ein großer Gewinn war der Austausch von Erfahrungen und Wissen, insbesondere die Verbindung von indigenem spirituellem mit traditionellem bäuerlichem Wissen aus Mittelamerika mit den Erkenntnissen aus der Terra-Preta-Forschung. Eine indianische Priesterin vom Titicacasee (Peru), aus dem Ursprungsgebiet der Kartoffeln, hat es bei einer morgendlichen Sonnenzeremonie mit wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Ihre Großmutter hatte sie gelehrt, dass wir nicht nur die Kinder unserer Mütter, sondern die Kinder der Erde sind. Sie meinte damit nicht unseren blauen Planeten, sondern den kleinen Kartoffelacker ihrer Familie.

Mich hat das praktische Wissen, das bei den spirituellen Zeremonien der Nachfahren der Mayas aus Guatemala zutage trat, sehr zum Nachdenken gebracht. Bei einer morgendlichen zweistündigen Feuerzeremonie entstand so viel Pflanzenkohle, dass wir damit eine neue kleine Milpa anlegen konnten. Die Milpa ist der traditionelle mittelamerikanische Mischanbau der drei heiligen Schwestern Mais, Bohnen und Kürbis. Es gibt sie noch bei den Kleinbauern in den Bergen, zum Teil in wunderschönen Obsthainen aus Avocado- und Zitrusbäumen. Überall, wo die Bauern die Milpa zugunsten von Monokulturen aufgegeben haben, waren nach zehn bis 15 Jahren die Böden ausgelaugt und die Erträge eingebrochen, trotz oder wegen des Mineraldüngers und der Pestizide. Frauen haben weinend erzählt, dass die Böden in der Regenzeit kein Wasser mehr aufnehmen können und alles vertrocknet.

Die Bauern haben berichtet, dass einige von ihnen bereits seit 15 Jahren gute Erfahrungen mit Bokashi gemacht haben. Es werden dafür insbesondere tierische Exkremente veredelt, und es gibt bereits Bauern, die in den letzten Jahren zur Herstellung von Pflanzenkohle-Bokashi übergegangen sind. Bei den unterschiedlichen fakultativ anaeroben Herstellungsverfahren gibt es eine Gemeinsamkeit: die gezielte Förderung von fäulnisunterdrückenden Mikroorganismen und die daraus resultierende Aktivierung des Bodenlebens. Dabei werden wie beim 'Natural Farming' in Asien gezielt spezifische indigene Mikroorganismen gefördert.

Das Natural Farming wird auch auf der Little Donkey Farm bei Peking praktiziert. Bei der Herstellung von fermentierten Pflanzenkohle-Substraten wird wesentlich weniger Kohlenstoff und Stickstoff verschwendet, als bei der gewöhnlichen Mistdüngung. Dadurch steht den Bauern mit weniger Aufwand mehr hochwertiger Dünger und insbesondere Kohlenstoff aus dem regionalen Stoffkreislauf für den Humusaufbau zur Verfügung.


Urbane Landwirtschaft hat Tradition

Urbane Landwirtschaft wurde nicht nur im alten China betrieben, sondern auch von den Hochkulturen in Mittel- und Südamerika. Ein berühmtes Beispiel sind die schwimmenden Gärten der Azteken, die 'Chinampas', aus denen Technotitlan, das heutige Mexiko-Stadt, mit Gemüse versorgt wurde. Die Fruchtbarkeit der Chinampas soll die der chinesischen Polykultur sogar noch übertroffen haben und beruht auf der Düngung mit Sedimenten aus den Kanälen und mit menschlichen sowie tierischen Exkrementen. Die Reste der Chinampas werden noch heute von indigenen Kleinbauern außerordentlich erfolgreich bewirtschaftet und mit nährstoffreichen Siedlungsabwässern gedüngt. Sie sind auch wegen ihrer zahlreichen Kanäle eine gut besuchte touristische Attraktion.

Die mexikanischen Landfrauenorganisationen setzen insbesondere auf Bildung und Weitergabe von praktischem Wissen für eine solidarische Ökonomie. Bemerkenswert ist, dass ihre Bildungszentren oft mit modernen, funktionierenden Trocken-Trenntoiletten ausgestattet sind, so dass der Einstieg in die Herstellung von Terra Preta Substraten sehr gut vorbereitet war. So könnte das Wissen um unsere inneren Werte auch in diesem tabuisierten Bereich ganz praktisch in den Aufbau kleiner neuer Geschäftsmodelle überführt werden.

Ernst Friedrich Schumachers 'Small is beautiful' und Leopold Kohrs 'Das Ende der Großen - zurück zum menschlichen Maß' werden in Mexiko teilweise schon erfolgreich gelebt. Dass eine gesellschaftliche Veränderung nur von unten erfolgen kann, ist von vielen erkannt. Wir haben heute ungeahnte Möglichkeiten, von den Erkenntnissen unserer Vorfahren zu profitieren. Die 1.000 Friedensfrauen haben dafür bereits viele Türen geöffnet.

Diejenigen, die glauben, dass sie ihre Geldgier durch das Monopolisieren von Wissen um die Terra Preta befriedigen könnten, werden scheitern, da sich dieses uralte Wissen viel schneller verbreitet, wenn man es teilt. Wir müssen wieder den Respekt vor der Natur und vor uns selbst zurückgewinnen. Wir können lernen, dem Boden wieder zurückzugeben, was wir ihm nehmen. Erst durch dessen Früchte werden die Werte geschaffen, die man nur zum Teil in Geld ausdrücken kann. Die Bedeutung des Wortes Klugscheißer sollte überdacht werden und 'Dukatenscheißer' seinen negativen Beigeschmack verlieren.


Rezepte zur Terra-Preta-Herstellung (Pflanzenkohle-Bokashi)

Wir haben zehn Prozent Pflanzenkohlepulver mit 20 Prozent Mutterboden, 30 Prozent Hühnermist und 30 Prozent Küchenabfällen gemischt und mit zehn Prozent bestem frischen Kuhmist angeimpft. (Angaben in Volumen- Prozent). In den Küchenabfällen und dem wohlriechenden Mist gesunder Kühe sind die erforderlichen Milchsäurebildner ausreichend enthalten, so dass ein weiterer Zusatz von Effektiven Mikroorganismen nicht notwendig ist. Das gut gemischte Material wurde in alte 20 l Eimer gefüllt und verdichtet. Andere Gefäße, beispielsweise aus Ton standen nicht zur Verfügung, könnten aber auch verwendet werden. Luftdichte Kunststoffsäcke erfüllen den gleichen Zweck.

Die Eimer wurden dann im Garten zum Fermentieren mit der Öffnung nach unten auf den Boden gestellt. Damit ist auch die Feuchtigkeitsregulierung gesichert und die Bodentiere können nach der Fermentierung in das Material einwandern und es vererden. Am Tag steigen in Mexiko meist die Temperaturen auf 30 Grad Celsius. Dadurch laufen die biologischen Prozesse, die zur Vererdung führen, sehr gut ab. Die Eimer wurden in 80 Zentimeter Abstand an die Stellen gestellt, an denen im Frühjahr der Mais gepflanzt wird.

Nach drei Monaten werden die Eimer abgezogen und in das so entstandene Terra-Preta-Substrat gepflanzt. Sollte die Vererdung noch nicht vollständig abgeschlossen sein, wird neben dem Pflanzenkohle-Bokashi, wie man dieses Substrat auch bezeichnen könnte, gepflanzt. Der Hühnermist kann auch durch Menschenkot aus den Trockentrenntoiletten ersetzt werden. Dafür bietet sich dann an, schon die Fäkalien nach jeder Toilettenbenutzung mit feuchtem Pflanzenkohlepulver zu bedecken.

Die mexikanischen Bauern, mit denen ich gesprochen habe, mischen eine Tonne Mutterboden mit 600 Kilogramm Mist (von Pferden, Schweinen, Hühnern) und 400 Kilogramm Grünabfällen und Ernterückständen. Dazu werden ca. zehn Liter Zuckerrohrmelasse oder Maiskochwasser gegeben, in der eine Handvoll Backhefe aufgelöst wurde. Die Feuchtigkeit wird mit der bei uns auch bekannten Handprobe für Silage eingestellt. Das Gemisch wird dann zu ca. ein Meter hohen und 1,20 Meter breiten Mieten aufgesetzt und mit Folie abgedeckt. Um das Heißwerden der Mieten zu vermeiden, wird bei Bedarf umgesetzt. Die Temperatur in der Miete soll nicht über 40 Grad Celsius steigen.

Nach etwa einem Monat wird dann der Bokashi auf die Felder ausgebracht. Durch den Mutterboden und die Hefe werden die indigenen Mikroorganismen eingebracht und gefördert, so dass eine Zugabe von Starterkulturen wie Effektive Mikroorganismen nicht nötig ist. Wer etwas Erfahrung mit den Grundprinzipien der Bokashi-Herstellung gesammelt hat, kann das Verfahren an die jeweiligen Bedingungen seines Hofes anpassen und auf verschieden Wegen zu gleichen guten Ergebnissen kommen. (Ende/IPS/kb/2011)

* Der deutsche Terra-Preta-Pionier Dr. Haiko Pieplow gehört zu den kreativsten Vordenkern für die Umsetzung geschlossener Stoffkreisläufe in urbanen und semiurbanen Räumen. Er hatte einen entscheidenden Anteil daran, dass in Deutschland der Einsatz von Pflanzenkohle inzwischen mehrheitlich von der Biologie her gesehen wird.


Links:
http://www.1000peacewomen.org/index.php
http://www.zeri.org/ZERI/Home.html

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. November 2011