Schattenblick →INFOPOOL →UMWELT → LEBENSRÄUME

FORSCHUNG/268: Klimaalarm aus der Arktis - Warum Eisbären Schokoriegel jagen (Freiburger Uni-Magazin)


Freiburger Uni-Magazin - 5/Oktober 2009

Klimaalarm aus der Arktis
Warum Eisbären Schokoriegel jagen

Von Ulla Bettge


Seit seiner jüngsten Arktis-Expedition von Mitte Juni bis Ende August 2009 hat der Ökologe und Polarforscher Benoît Sittler von der Abteilung Landespflege der Freiburger Forst und Umweltwissenschaften durch einen von ihm abgegebenen Warnschuss ein Brummen im linken Ohr. Durch ungewöhnliche Geräusche in der Nähe seines Zeltes aus dem Schlaf geweckt, überraschte er eines Nachts einen Eisbären, der sich knapp 50 Meter vom Zelt entfernt an den Holzkisten mit Nahrungsvorräten bediente.


So bedrohlich wie in diesem Jahr waren die Begegnungen der lebensgefährlichen Art in rund 20 Jahren Arktisforschung für den Wissenschaftler von der Universität Freiburg und sein internationales Team noch nie. "In den ersten Jahren haben wir keinen einzigen Eisbären gesehen, in den letzten fünf Jahren mindestens fünf, und diesmal hatten wir seit Mitte Juli fast jeden zweiten Tag einen in der Nähe unseres Lagers", sagt Sittler.

Der bislang schwersten Attacke fielen drei der vier Schlafzelte samt Schlafsäcken zum Opfer sowie Vorräte von Ei- und Milchpulver bis Schokoriegel und Gummibärchen samt Verpackung, wie die Feldforscher später an Exkrementen feststellten. Das Team war gezwungen, in eine vier Kilometer entfernte Tundra Nordostgrönlands umzuziehen.

Klimawandel in Richtung Erderwärmung ist das Problem der weißen Riesen, daran besteht für die Spezialisten kein Zweifel. Eisbären ernähren sich im Wesentlichen von Robben, die sie von Eisschollen aus dem Meer fangen. "Früher begann die kurze Treibeisschmelze in der Gegend Ende August, in den letzten Jahren aber immer früher, und diesmal war es schon Mitte Juli soweit."


Gefrustete Eisbären auf Landgang

Ohne Eisschollen ist kein Robbenfang möglich und gefrustete Eisbären gehen auf Landgang zur Futtersuche. "Bären haben einen ausgezeichneten Geruchssinn, mit dem sie das Lager kilometerweit wittern - für nächstes Jahr müssen wir uns was einfallen lassen, um sie auf Distanz zu halten", sagt Sittler. Was nicht so einfach sein dürfte angesichts ausgehungerter Raubtiere, deren eisfreie "Fastenzeit" sich von früher einem bis zwei Monaten jetzt schon auf zweieinhalb bis drei Monate verlängert hat. "Ein paar Wochen halten die das aus, aber dann wird's eng", sagt der Arktis-Experte.

Auch mächtige und kältebedürftige Moschusochsen halten laues Klima nicht aus. Sie brauchen Kälte und Pulverschnee, unter dem sie durch leichtes Scharren Gras und Zwergweiden zum Fressen finden. Bei Wärmeeinbrüchen wird der Schnee matschig und schwer, bevor er wieder zufriert. Es bildet sich eine feste Eiskruste, die die Moschusochsen kaum durchbrechen können. "Sie verhungern und sterben an Erschöpfung." Acht Kadaver und kein einziges Kalb sichtete das Sittler-Team während seines Einsatzes vor Ort.


Ohne Beute keine Fortpflanzung

Tückisch sind die veränderten Schneeverhältnisse in der Arktis auch für Lemminge. Ihre gewohnte Fortpflanzung unter der Schneedecke ist nicht mehr möglich. Ohne eine schützende Schneeschicht werden sie zur schnellen Beute für Polarfüchse, Raubmöwen und Schneeeulen. Als absolutes "Lemminge-Tief" erlebten die Wissenschaftler diesen Polarsommer. "Wir hatten keinen einzigen Fang bei 400 ausgebrachten Fallen und fanden auch nur 24 Winternester gegenüber bis zu 4.000 in Rekord-Jahren. Das letzte "Lemminge-Hoch" verzeichneten sie übrigens 1998, und entsprechend schlecht sieht es bei den von Lemmingen abhängigen Raubfeinden aus. "Kein Nachwuchs bei Raubmöwen und Schneeeulen, und der einzige junge Polarfuchswelpe ist verhungert", sagt Sittler. Schneeeulen bräuchten als Beute zwei Lemminge pro Hektar, sonst gäbe es keine Fortpflanzung. Und die liegt nach Sittlers Beobachtungen schon länger im Argen. "In den vergangenen elf Jahren haben wir nur einmal eine brütende Schneeeule gesichtet - in den ersten zwölf Jahren waren es fünf bis zehn Paare alle vier Jahre."


Alarmanlage für den Klimawandel

Als Fazit aus dem Langzeitforschungsprojekt zur Ökologie der Arktis folgert Sittler: "Das ist eine Alarmanlage für den Klimawandel." Während man in Europa von einer mittleren Erwärmung von einem bis drei Grad innerhalb der nächsten 100 Jahre ausgeht, sehen Wissenschaftler wie Sittler die Temperaturen in der Arktis um zwei bis sechs Grad ansteigen. "Viele erste Anzeichen, wie zum Beispiel die Packeisbedeckung im Eismeer, bestätigen wie schnell dieser Prozess voranschreitet." Um die "aus den Fugen geratene" Populationsdynamik der arktischen Haupttierarten gezielt zu verfolgen und nachvollziehbar zu machen, sammelt das Forscherteam detaillierte Klimadaten über eine neue automatische Wetterstation, die ganzjährig im Einsatz ist. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetterdienst werden schon seit 1991 und auch weiterhin Aerosol- oder Staubproben gesammelt und auf den Klimawandel hin untersucht.


Zu den Spendern, die das von öffentlichen Mitteln spärlich bedachte Langzeitprojekt "Karupelv Valley Project" der Universität Freiburg mitfinanzieren, zählen auch Briefmarkensammler. Gegen ein Entgelt von derzeit acht Euro erhalten Sammler unfrankierte Postkarten oder Briefumschläge, die vom Arktis-Team auf die nächste Expedition mitgenommen werden, aus Grönland mit lokaler Frankatur und eindrucksvollen Post-Expeditions- und Projektstempeln zurück. Die Forscher haben dieses Jahr 1.500 Briefe mitgenommen. Der Erlös deckte fast die Hälfte ihres Budgets ab.


*


Quelle:
Freiburger Uni-Magazin Nr. 5/Oktober 2009, Seite 17-18
Herausgeber: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg,
der Rektor, Prof. Dr. Hans-Jochen Schiewer
Redaktion: Eva Opitz (verantwortlich)
Kommunikation und Presse
Fahnenbergplatz, 79098 Freiburg,
Tel.: 0761/203-4301, Fax: 0761/203-4278
E-Mail: info@pr.uni-freiburg.de

Freiburger Uni-Magazin erscheint sechsmal jährlich.
Jahresabonnement 13,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2009