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FORSCHUNG/450: Wo Menschen sind, laufen Tiere weniger weit (Uni Frankfurt)


Universität Frankfurt - 25. Januar 2018 / 19

Wo Menschen sind, laufen Tiere weniger weit

Forscher befürchten weitreichende Konsequenzen für Ökosysteme


FRANKFURT. Säugetiere bewegen sich in Gebieten, die stark vom Menschen geprägt sind, deutlich weniger als ihre Verwandten in der Wildnis. Sie legten nur zwischen der Hälfte und einem Drittel der üblichen Strecken zurück. Das schreibt ein internationales Team unter Leitung von Forschenden der Goethe-Universität und des Senckenberg, in der Titelgeschichte des Fachmagazins "Science". Die bisher umfassendste Studie zu diesem Thema basiert auf 57 Säugetierarten, deren Bewegungen per GPS verfolgt wurden. Die Autoren weisen darauf hin, dass die von ihnen festgestellte Entwicklung weitreichende Konsequenzen für die Ökosysteme und damit letztlich auch für den Menschen haben könnten.


Foto: © Adam Wajrak

Säugetiere, hier Bären auf einer Straße in Polen, bewegen sich in Gebieten, die stark vom Menschen geprägt sind, deutlich weniger als in der Wildnis.
Foto: © Adam Wajrak

Ob Langstreckenläufer wie das Zebra oder Kurzstreckensprinter wie der Hase: Alle Säugetiere überwinden täglich kleinere oder größere Strecken, unter anderem auf der Suche nach Futter. Wie ein Team um die Biologin Dr. Marlee Tucker, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität, nun zeigen konnte, verringert sich der Aktionsradius von Säugetieren jedoch in Gebieten, die stark durch den Mensch geprägt sind, signifikant. Hier legen landlebende Säugetiere durchschnittlich nur ein Drittel der Strecke zurück, die sie in der unberührten Natur ablaufen.

Für ihre Untersuchung haben Tucker und 114 Koautoren zu diesem Thema die Bewegungen von 803 einzelnen Säugetieren rund um den Globus ausgewertet. "Wir haben insgesamt 57 Säugetierarten untersucht. Von Hasen über Wildschweine bis hin zu Elefanten. Forscher im Team hatten jedes Tier mit einem Sender ausgestattet. Per GPS konnten dann ihre Aufenthaltsorte für mindestens zwei Monate stündlich verfolgt werden", so Tucker.

Alle Daten von den weltweiten Standorten der Forscher wurden schließlich im Portal "Movebank" zusammengeführt, das die Tierbewegungen archiviert. Die Daten verglichen die Wissenschaftler mit dem "Human Footprint Index" der Gebiete, in dem sich die Tiere bewegten. Der Index gibt an, wie sehr das Gebiet durch den Menschen verändert ist, beispielsweise durch den Bau von Siedlungen, Verkehrswegen oder Landwirtschaft.


Foto: © Petra Kaczensky

Khulane, mongolische Wildpferde, sind ein Beispiel unter vielen dafür, dass Säugetiere nur die Hälfte oder sogar nur ein Drittel der Strecke laufen, die ihre Artgenossen in der unberührten Natur absolvieren.
Foto: © Petra Kaczensky

In Gebieten mit einem vergleichsweise hohen "Human Footprint Index", z.B. einer typischen deutschen Ackerlandschaft, legen die dort lebenden Säugetiere in zehn Tagen nur 33 bis 50 Prozent der Strecken zurück, die andere Säugetiere durchschnittlich in der unberührten Natur zurücklegen. Das gilt sowohl für die maximal in zehn Tagen zurückgelegte Strecke als auch für die durchschnittlich in diesem Zeitraum zurückgelegte Strecke. Die Auswertung zeigt darüber hinaus, dass die Tiere nicht langsamer werden, sondern ihr langfristiges Raumnutzungsverhalten so verändern, dass sie über längere Zeitskalen weniger Strecke absolvieren.

Möglicherweise bewegen sich die Säugetiere weniger, weil sie ihr Verhalten an die durch den Menschen stark beeinflusste Umgebung angepasst haben. "In einigen dieser Gebiete gibt es teilweise ein besseres Futterangebot, daher müssen die Tiere nicht mehr weite Strecken auf sich nehmen, um satt zu werden. Außerdem schränken Straßen und die Zerstückelung der Lebensräume vielerorts die Tiere in ihrer Bewegung ein", so der an der Studie beteiligte Professor Thomas Müller, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum und Goethe-Universität.

Die Forschenden sind besorgt, dass Ökosystemfunktionen, die an Tierwanderungen gekoppelt sind, maßgeblich beeinträchtigt werden könnten. "Dass Tiere bestimmte Distanzen überwinden ist wichtig, denn damit transportieren sie beispielsweise Nährstoffe und Samen zwischen verschiedenen Gebieten Außerdem basieren viele natürliche Nahrungsnetze auf Tierbewegungen. Wenn sich Tiere weniger bewegen, könnten sich viele dieser Prozesse in Ökosystemen verändern. So könnte zum Beispiel der Austausch von Pflanzensamen durch Tiere zwischen verschiedenen Lebensräumen gefährdet werden", sagt Tucker.

Publikation:
Tucker, M.A. et al. (2018): Moving in the Anthropocene: Global reductions in terrestial mammalian movements. Science, Doi: 10.1126/science.aam9712

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Quelle:
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Pressemitteilung, 25.01.2018
Herausgeberin:
Die Präsidentin der Goethe-Universität
Redaktion:
Dr. Anne Hardy, Referentin für Wissenschaftskommunikation
Abteilung PR & Kommunikation
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2018

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