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SCHUTZGEBIET/553: Im Nordostatlantik ist ein Schutzgebiet riesigen Ausmaßes geplant (WWF)


WWF Magazin 2/2009
WWF Deutschland - World Wide Fund For Nature

Aktiv

Die Alpen der Tiefsee

Von Stephan Lutter, WWF


Mitten im Nordostatlantik auf hoher See soll mit WWF-Unterstützung erstmals ein Schutzgebiet riesigen Ausmaßes ausgewiesen werden. Wir entführen Sie in die Meerestiefen und verraten die Geheimnisse dieses Unterwassergebirges.


Die Alpen der Tiefsee
Abstieg zum Mittelatlantischen Rücken

53 Grad Nord, 32 Grad West in den Weiten des Nordostatlantik auf halber Strecke zwischen Grönland und der iberischen Halbinsel: Wir stellen uns vor, in einem Tauchboot zu sitzen, rund 4000 Meter tief. Nur die Außenbordstrahler erhellen die ansonsten stockfinstere Umgebung. Vor uns, nur in Umrissen zu erkennen, erhebt sich eine steile Bergwand. Eigentlich ist es eine ganze Gebirgskette, mit Dreitausendern wie in den Alpen, samt tiefen Tälern und Schluchten. Es ist der mittelatlantische Rücken, eine mächtige Auffaltung der Erdkruste vom Nord- bis zum Südpolarmeer. Hier dringt heißes Magma aus dem Erdmantel nach oben und erkaltet zu frischer atlantischer Erdkruste - mancherorts so hoch, dass Inseln entstanden sind wie Island oder die Azoren mit ihren Vulkanen und heißen Quellen. Um unser Tauchboot herum ist es mit vier Grad Celsius allerdings bitterkalt.

In Felsvorsprüngen und Nischen der Berghänge haben sich feine Meeresablagerungen gesammelt. Darauf wachsen farbenprächtige Weichkorallen wie Gorgonien und einzelne Seefedern.

Wir beginnen den Aufstieg. Auf dem Weg nach oben begegnen uns immer häufiger Tintenfische, Schleimköpfe, Seekatzen und skurrile Tiefseehaie. Bei knapp 2000 Metern Wassertiefe treffen wir zum ersten Mal auf einen knallorangenen Granatbarsch, den Methusalem unter den Tiefseefischen: Er wird bis zu 130 Jahre alt und erst mit 20 bis 30 Jahren geschlechtsreif.

Auch die Besiedelung der Bergwände hat sich verändert: Dort wachsen jetzt neben Gorgonien auch ausgedehnte Schwammbänke, dann wieder große trichterförmige Tiefseeschwämme. Am Kamm eines Seebergs in 1000 Metern Tiefe haben Meeresströmungen den Schlamm weggeschwemmt, der Fels liegt frei. Genauer: Ein mehrere hundert Meter langes Korallenriff, das hier aufgewachsen ist. Es besteht aus Millionen verästelter Steinkorallen der Gattung Lophelia. In dieser Tiefe fehlen ihrem weißen bis gelblichen Kalkskelett die einzelligen Algen, mit denen ihre tropischen Verwandten in Symbiose leben. Die kleinen durchsichtigen Polypen der Korallen ernähren sich daher ausschließlich von Plankton, zum Beispiel Ruderfußkrebsen und Larven, die um uns herum nun immer dichter werden und das Wasser trüben. Das Hartkorallenriff ist von farbenprächtigen Weichkorallen und Schwämmen durchsetzt. Auch Krebse und Muscheln entdecken wir. Und den da kennen wir doch aus dem Fischgeschäft: Ein Rotbarsch lugt hervor. An anderer Stelle schwimmt ein Seewolf mit seinem mächtigen Gebiss.

Von den Gipfeln der Seeberge geht es nun langsam weiter in Richtung Meeresoberfläche. Vielgestaltige Medusen und Rippenquallen treiben nur scheinbar ziellos im Wasser umher. In 200 Metern Tiefe erhellt ein schwacher Lichtschimmer die Finsternis. Weiter oben wird es immer heller und jetzt wimmelt es von Leben: Fischschwärme und Tintenfische finden hier reichlich Plankton als Nahrung. Eine Schule von Grindwalen zieht vorbei. Hochseevögel wie Basstölpel und Gelbschnabelsturmtaucher schießen für schnelle Fischsnacks durchs Wasser. Letztere haben für diese Schlemmerei sogar über 1000 Kilometer von ihren Brutplätzen auf den Azoren zurückgelegt.

Eine beeindruckende Unterwasserwelt - von der wir beileibe nicht alle Bewohner gesehen haben. Auch das größte Meeressäugetier etwa, der Blauwal, wandert hier durch. Oder die Lederschildkröte auf der Suche nach Quallen, ihrer Leibspeise. Internationalpark unter Wasser

Erst seit 2003 ist bekannt, wie extrem vielfältig und artenreich diese Unterwasserwelt um die so genannte Charlie-Gibbs-Bruchzone ist. Im Juni 2008 haben die Anrainerstaaten des Nordostatlantiks im Rahmen des so genannten OSPAR-Abkommens beschlossen, diesen Teil des mittelatlantischen Gebirgsrückens zum ersten Meeresschutzgebiet auf Hoher See zu machen. Das Besondere: Das Gebiet liegt in internationalen Gewässern und hat eine riesige Ausdehnung von rund 300.000 Quadratkilometern - so groß wie Italien. Es schließt zudem einen Teil des Meeresbereichs ein, an der sich kältere Meeresströmungen aus dem Norden mit wärmeren aus dem Süden treffen. Genau das ist ein Grund für die große biologische Vielfalt vom Meeresgrund bis zur Wasseroberfläche. Vor allem diese Lebensgemeinschaften sollen unter Schutz gestellt werden.

Meeresschutzgebiete fern der Küste gibt es schon in den Gewässern vor Deutschland, Portugal, Irland, Schweden, Kanada, Australien und neuerdings auch den Vereinigten Staaten. Viele davon wurden eingerichtet, um wertvolle Tiefseelebensräume wie Korallenriffe, Seeberge und heiße Quellen, so genannte schwarze oder weiße Raucher, zu schützen und zerstörerische Bodenschleppnetze zu verbannen. Doch sie alle befanden sich bisher innerhalb der "Ausschließlichen Wirtschaftszonen" bis 200 Seemeilen von Land entfernt.

Im Schutzgebiet auf dem Mittelatlantischen Rücken hingegen hat nach dem Seerechtsabkommen der Vereinten Nationen kein Staat allein das Sagen. Dort operieren bislang Fangflotten aus vielen Ländern. Lizenzen zur Ausbeutung von metallischen Bodenschätzen stehen auf Antrag allen zu und im südlichen Teil gibt es regen internationalen Schiffsverkehr. Umso größer ist der Erfolg einzuschätzen, dass mehrere Nationen sich hier auf ein Schutzkonzept geeinigt haben. Die Charlie-Gibbs-Bruchzone wird demnach der erste "Internationalpark".

http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/alpen-der-tiefsee/

Raute

Walschutzgebiet und Internet-Observatorium

WWF: Welche Rolle spielte der WWF bei der Einrichtung des Hohe-See-Schutzgebietes?

Stephan Lutter: Die OSPAR-Staaten baten uns, ein geeignetes Gebiet ausfindig zu machen und eine wissenschaftliche Begründung zu erarbeiten. Wir nahmen an mehrjährigen Verhandlungen aktiv teil. Zunächst unterstützten formell die Niederlande, Portugal und Frankreich die Nominierung, am Ende alle 15 Staaten und die EU.

WWF: Wie geht es nun weiter?

SL: Die Internationale Seebodenbehörde, Schifffahrtsorganisation und Walfangorganisation sowie die Nordostatlantische Fischereikommission sind durch das Abkommen aufgefordert, ihren jeweiligen Beitrag zu notwendigen Schutzmaßnahmen bis 2010 zu leisten. Zm Beispiel bodengängige Schleppnetze und Langleinen sowie den Abbau von Bodenschätzen zu verbieten.

WWF: Genügt das?

SL: Nein, deshalb erarbeiten wir gleichzeitig einen Managementplan mit genauen Angaben zu fischereifreien Zonen, einem geplanten Walschutzgebiet und Bereichen, in denen die Ausbeutung mineralogischer oder biologischer Ressourcen unterbleiben soll. Dafür ist die Unterstützung der Öffentlichkeit wichtig. Deshalb soll die Vielfalt, aber auch Bedrohung unter Wasser in den Medien bekannter und mit einer Art Internet-Observatorium sichtbar gemacht werden.

WWF: Wann genau wird das Gebiet endgültig unter Schutz stehen?

SL: Voraussichtlich ab Sommer 2010.

WWF: Und wie soll es heißen?

SL: Charlie-Gibbs Marine Protected Area.

WWF: Wann wird es die ersten Tauchfahrten für Touristen dorthin geben?

SL: Solche Tauchfahrten hat es tatsächlich schon gegeben, allerdings zu heißen Tiefseequellen an anderen Orten. Die Schätze der Tiefsee mit Unterwasserkameras zu vermitteln, ist aber umweltschonender und preiswerter.

Das Gespräch führte Donné Norbert Beyer
(S. 23 der Printausgabe)


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Quelle:
WWF Magazin 2/2009, Seite 21-23
http://www.wwf.de/downloads/wwf-magazin/april-2009/alpen-der-tiefsee/
Herausgeber:
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Die Zeitschrift für Mitglieder und Freunde der
Umweltstiftung WWF Deutschland erscheint vierteljährlich


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2009