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SCHUTZGEBIET/609: Steigerwald - Geplanter Nationalpark in Nordbayern (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2009

Geplanter Nationalpark in Nordbayern:
Die Buchenwälder des Steigerwaldes und ihre artenreiche Vogelwelt

Von Georg Sperber


Der Steigerwald - genauer der nördliche Teil mit seinen Buchenwäldern - ist seit drei Jahren ins Gerede gekommen. Zwar rauscht an seiner Südflanke auf der A 3 der Urlauberstrom in den Süden vorbei, doch um die Besonderheiten dieser Waldlandschaft wussten bisher nur wenige. Das änderte sich schlagartig im Jahr 2007 mit dem Vorschlag, das Gebiet mit seiner außerordentlichen Artenvielfalt zu einem Biosphärenreservat mit einem Nationalpark in den Staatswäldern als Reservatsteil weiterzuentwickeln.


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Franken war von Natur aus ebenso wie Altbayern weitgehend geschlossen von Buchenwäldern bedeckt. Der bunte Wechsel der Keuperstandorte und dazu ein subatlantisch-subkontinentales Übergangsklima ermöglichten ein typisch fränkisch-kleinflächiges Mosaik verschiedener Laubwaldgesellschaften, vom bodensauren Hainsimsen-Buchenwald bis zum reicheren Waldmeister-Buchenwald. Wo auf Tonböden und wechselfeuchten Verebnungen die Konkurrenzkraft der Rotbuche nachlässt, behauptet sich die Traubeneiche mit der Hainbuche und einer Vielzahl weiterer Laubbaumarten. In den schmalen Talgründen begleiten Roterlen-Eschen-Galerien die noch unverdorbenen Waldbäche. Auf den steilen Abhängen entlang der landschaftsprägenden Schichtstufe im Westen und Norden sind auf großen Flächen Schlucht- und Hangmischwälder erhalten. Hier gesellen sich zur Rotbuche Berg- und Spitzahorn, Esche, Winter- und Sommerlinde und überaus zahlreiche Vogelkirschen und Elsbeeren.



Forstgeschichtlicher Hintergrund

Dem Nordsteigerwald blieben abseits des großen geschichtlichen Geschehens in den umliegenden fränkischen Zentren Nürnberg, Bamberg, Würzburg und Schweinfurt Fehlentwicklungen erspart, welche andernorts die ursprünglichen Laubwälder verdrängten oder sogar bis zu deren völligen Zerstörung und Umwandlung in Kiefern- und Fichtenforste führten. Es war nicht zuletzt die Eigentumsform, welche das Laubwalderbe im nördlichen Steigerwald konservierte. Das mächtige Zisterzienserkloster Ebrach hatte in seinem Umfeld weitere Waldrodungen verhindert und im 14. Jahrhundert während einer Wüstungsperiode eine Reihe von Siedlungen aufgegeben und wieder dem Buchenwald überlassen. Die ausgedehnten Wälder im Norden um den Zabelstein waren als Hofjagdgebiet der Fürstbischöfe von Würzburg reserviert. Betont laubwaldfreundliche Waldordnungen des Fürstbistums Würzburg sicherten zudem seit dem frühen 16. Jahrhundert eine pflegliche Behandlung.

Versuche, ab Beginn des 20. Jahrhunderts auch in den Staatsforsten des Nordsteigerwaldes den modischen Nadelholzanbau zu verordnen, scheiterten an laubwaldfreundlichen Forstleuten vor Ort. So konnte sich auch über zwei Weltkriege hinweg vor allem um Ebrach ein Vorrat alter bis uralter Buchenbestände halten, der in Bayern und weit darüber hinaus ohne Beispiel war.

Erst in den 1960er Jahren, als die Buche bundesweit als "verlorene Holzart" galt, wurde der inzwischen als forstliche Erblast verteufelte "Buchenaltholz-Überhang" mit harter Hand "abgebaut". Inzwischen sind die von hohen Ertragserwartungen begleiteten neuen Nadelholzforste großflächig vernichtet - die Kiefernkulturen durch Schneebruch, die Fichten-Douglasien-Stangenhölzer durch Sturm, Dürre und Borkenkäfer. Ab den 1970er Jahren hatte man sich auf die traditionell laubbaumfreundlichen Waldbautugenden zurückbesonnen und besonders in den Ebracher Wäldern zunehmend auch Forderungen nach Naturschutz im Wald berücksichtigt.



Schutzgebietsausweisungen

Im Jahr 1973 wurden dann 1280 Quadratkilometer des Steigerwaldes als Naturpark ausgewiesen. 40% Prozent dieser Fläche sind bewaldet, ein Drittel (17 600 Hektar) befindet sich im Staatseigentum. Mehr als 10 000 Hektar überwiegend staatliche Laubwälder wurden im Rahmen von NATURA 2000 als das FFH-Gebiet "Buchenwälder und Wiesentäler des Nordsteigerwaldes" und zugleich als Europäisches Vogelschutzgebiet "Oberer Steigerwald" gemeldet. Das IBA (Important Bird Area) "Nördlicher Steigerwald" umfasst eine Fläche von 27000 Hektar. (Die Wälder um Ebrach werden geographisch als Oberer Steigerwald benannt, die Wälder nördlich davon bis hin zum Maintal als Nordsteigerwald. Beide zusammen bilden den nördlichen Steigerwald).

Trotz zeitbedingter Fehlentwicklungen in den buchenfeindlichen 1960er Jahren blieben im nördlichen Steigerwald als Kernstück fränkischen Naturerbes großartige Buchenwälder erhalten. Zwischen dem Tal der Mittleren Ebrach im Süden und dem Maintal im Norden verfügt der Freistaat Bayern über mehr als 15000 Hektar buchendominierter Laubwälder. Vier Naturwaldreservate mit zusammen 210 Hektar vermitteln eine eindrucksvolle Vorstellung davon, wie sich Buchenwälder entwickeln, wenn sie sich selbst überlassen werden. Zwei weitere Reservate mit ca. 150 Hektar sind geplant.

Fünf geschützte Waldwiesentäler schließt das FFH-Gebiet ein. Im Norden grenzt das LIFE-NATUR-Projekt Maintalaue zwischen Hassfurt und Eltmann auf 1500 Hektar an das Naturschutzgebiet "Vogelfreistätte Graureiherkolonie Dippach", mit 300 Brutpaaren die größte der alten Bundesländer.

Wegen seiner großflächigen, von Siedlungen und öffentlichen Verkehrseinrichtungen kaum zerschnittenen überwiegend staatlichen Buchenwälder wurde der nördliche Steigerwald als eines der wertvollsten und besonders dringlich zu schützenden Waldgebiete Deutschlands herausgehoben. Kernbereiche bilden zwei großflächige Staatswaldkomplexe, der obere Steigerwald mit ca. 4600 Hektar im Süden um Ebrach und der 6000 Hektar umfassende Nordteil zwischen dem Tal der Rauen Ebrach und dem Steilabfall zum Maintal. Im Westen verbindet beide Komplexe eine Waldbrücke.

1997 wurde in einer Studie des Bundesamts für Naturschutz über bestehende und potenzielle deutsche Nationalparke der nördliche Steigerwald als Nationalpark-Suchraum eingestuft, als mögliche Variante ein Biosphärenreservat vorgeschlagen. Aktuell wurde die Bedeutung des Nordsteigerwaldes aus nationaler Sicht einmal mehr bestätigt. Zur Voranmeldung deutscher Buchenwälder als Weltnaturerbe an die UNESCO wurden 2006 in einer Machbarkeitsstudie des Bundesamtes für Naturschutz 24 Gebiete bewertet. Der nördliche Steigerwald erreichte dabei einen Spitzenrang unter den vorderen fünf. Da ihm jedoch das Charakteristikum eines Großschutzgebietes mit eigener Verwaltung und größeren aus der Nutzung befreiten Anteilen fehlt, konnte er bei der Anmeldung nicht berücksichtigt werden.



Biodiversität in Buchenwäldern

Buchenwälder galten als schattig und ausgesprochen arm an Pflanzen- und Tierarten. Drei Jahrzehnte intensiver Forschungsarbeit in Buchen-Naturwaldreservaten, den kleinflächigen "Urwäldern von morgen", brachten jedoch überraschende Einblicke in die Lebensfülle dieser Wälder. Erst mit dem steigenden Anteil von Baumindividuen, die den vollen Lebenszyklus bis zum Altern, Vergreisen, Absterben und Vermodern durchlaufen dürfen, entfaltet sich die volle Artenvielfalt sommergrüner Laubwälder. Das 98 Hektar große Naturwaldreservat "Waldhaus" bei Ebrach gilt als das derzeit besterforschte Waldobjekt Süddeutschlands, ja wohl ganz Deutschlands. Nach vier Jahrzehnten Verzicht auf Holznutzung entwickeln sich Bestandesstrukturen, die echten Buchenurwäldern in der Slowakei, der Ukraine und den Karpaten ähneln. Eine lebende Baumbiomasse von 700 bis 800 Kubikmetern, dazu hundert und mehr Kubikmeter Totholz pro Hektar und das für Buchenurwälder bezeichnende kleinflächige Mosaik unterschiedlich alter Entwicklungsphasen, überragt von bis zu 350 Jahre alten Buchengiganten, ergeben eine ausgeprägte, ungleichaltrige Struktur. Diese Struktur unterscheidet die ältesten Buchenbestände des Nordsteigerwaldes von nahezu allen übrigen Reservaten in Deutschland, die als gleichaltrige Hallenbestände aus Großschirmschlag hervorgegangen sind. Nur im nördlichen Steigerwald gab es als regionale Besonderheit eine Form der Starkholzzucht, die zu ungleichaltrigem Bestandsaufbau führte. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts war die Buchenwirtschaft noch allgemein auf Brennholzproduktion ausgerichtet. Im Nordsteigerwald wurden ausnahmsweise besonders vitale Überhälter in die nächste Baumgeneration übernommen. Erst bei deren Abnutzung wurden die zu meterdicken Stämmen herangereiften Altbuchen als sogenannte "Schaufelbuchen" geerntet, aus deren Spaltstücken örtliche Kleinunternehmer Getreideschaufeln schnitzten.

Ganz nebenbei sicherten diese urigen Schaufelbuchen den Erhalt von Tierarten, die auf alte Waldentwicklungsphasen angewiesen sind. Als besondere Indikatoren für Naturnähe gelten die an Holz gebundenen Insektenarten. 438 dieser xylobionten Spezies wurden bisher im Nordsteigerwald beschrieben. Das Naturwaldreservat "Waldhaus" gilt geradezu als Referenzfläche für Artenvielfalt im Buchenwald. Erstmals für Süddeutschland konnte in zwei Ebracher Naturwaldreservaten im Buchenwald in Mulmhöhlenbuchen der Eremit nachgewiesen werden, ein als prioritäre FFH-Art bedeutsamer Großkäfer. Bisherige Fundorte waren - wie allgemein üblich - einzelne Alteichen und Linden, letzte Asylstätten einer aus den rationellen Försterwäldern vertriebenen Urwaldreliktart.

Überwältigend selbst für Laien ist der Reichtum der an mächtige vermodernde Buchenstämme gebundenen Pilzarten, darunter so prächtige Vertreter wie die drei seltenen Stachelbärte Igelstachelbart, Ästiger Stachelbart und Dorniger Stachelbart.

Von den Säugetierarten sind inzwischen die Fledermäuse dank modernster Technik eingehend erforscht. Allein in einem Naturwaldreservat wurden 15 verschiedene Arten nachgewiesen, darunter die stark gefährdete Mopsfledermaus in hoher Dichte. Die "Urwaldart" Bechsteinfledermaus hat ihren deutschen Verbreitungsschwerpunkt in Unterfrankens Buchenwäldern. Auch für eine dritte gefährdete Art, das Große Mausohr, sind Unterfrankens Laubwälder das bundes- und europaweit wichtigste Verbreitungsgebiet.



Specht- und Schnäpperwälder

Vogelbeobachter haben bisher die siedlungsfernen geschlossenen Buchenwälder des Nordsteigerwaldes gemieden. Sie beobachten und forschen in der abwechslungsreichen Kulturlandschaft des Vorlandes mit Schwerpunkt an Gewässern. Im Vergleich dazu ist der Wissensstand um die Vogelwelt im Inneren der Wälder bescheiden.

Umso bemerkenswerter, dass wir über die historische Vogelwelt des Oberen Steigerwaldes um Ebrach vor 150 Jahren erstaunlich genau informiert sind. Es ist dem Wirken des naturkundigen Ebracher Wundarztes Ignaz Kress zu verdanken, der seine Feststellungen in den Jahresberichten der Bamberger Naturforschenden Gesellschaft publizierte und zudem seinem im nahegelegenen Aischgrund lebenden Freund A. J. Jäckel, dem Nestor bayerischer Vogelkunde, berichtete. 169 Vogelarten führt er auf, die meisten auf dem Zug beobachtet, oft als Beleg geschossen und für das heute noch sehenswerte königliche Naturalienkabinett in Bamberg präpariert.

Einiges spätere Material zur Vogelwelt liegt über das Gebiet des ehemaligen Forstamts Ebrach vor, wo ich seit 37 Jahren lebe und beobachte. Eine gründliche Untersuchung lieferte I. Hofmann (1978), die für ihre Diplomarbeit den Brutvogelbestand typischer Buchen- Eichenaltbestände eingehend kartierte. 1997/1998 wiederholte ich mit gleicher Methodik diese Aufnahmen, um Einflüsse von 26 Jahren naturgemäßer Bewirtschaftung auf den Brutvogelbestand zu hinterfragen. Die Spechtarten hat 1987/1988 S. Weid im Rahmen seiner Diplomarbeit flächig im ehemaligen Forstamt Ebrach aufgenommen.

In einer wesentlich neueren Untersuchung aus dem Jahr 2005 wurden neben holzbewohnenden Käfern und Pilzen sowie Nachtschmetterlingen auch Brutvögel als Indikatoren für Naturnähe in Buchenbeständen erfasst. Insgesamt wurden 53 Brutvogelarten gefunden - mehr als in nordostdeutschen Tieflandbuchenwäldern, wo in einer ähnlichen Untersuchung 48 Arten nachgewiesen werden konnten.

Die Wälder der früheren Steigerwald-Forstämter Ebrach und Eltmann wurden forstlich sehr unterschiedlich behandelt. In Eltmann hatte man bereits vor 70 Jahren begonnen, die Buchenbestände konsequent nach neuen Gesichtspunkte der Qualitätsauslese zu durchforsten. In Ebrach, einer anderen Forstdirektion unterstellt, fehlte diese Pflegetradition. So konnten auch wirtschaftlich geringwertige Bäume mit Faulhöhlen und anderen "Mängeln" lange überleben. Als Folge dieser unterschiedlichen Pflegetradition gibt es im Eltmanner Bereich zwar heute Laubstammhölzer von außergewöhnlichem wirtschaftlichen Wert, dafür müssen bei der Artenvielfalt xylobionter Pilze und Käfer ebenso wie bei waldtypischen Vogelarten gravierende Verluste in Kauf genommen werden. Allerdings sind im Vergleich mit den Befunden in zwei alten, seit mehr als vier Jahrzehnten unbewirtschafteten Naturwaldreservaten die Verluste waldtypischer Arten auch bei der vom Ansatz her naturfreundlichen Ebracher Wirtschaftsweise bereits unübersehbar.



Spechte und die Folgenutzer ihrer Höhlen

Artenvielfalt und Siedlungsdichte waldtypischer Vogelarten hängen von der Naturnähe der Waldbestände ab, vom Bestandsalter, dem Vorrat stehenden und liegenden Totholzes und dessen Zersetzungsstadien und der Vielzahl an Sonderstrukturen wie Höhlenbäumen, Totholzästen, Astabbrüchen oder Ersatzkronenbäumen. Die mit Abstand höchste Vielfalt waldtypischer Vogelarten wurde in den ältesten Reservatsbeständen entdeckt. Sechs Spechtarten brüten hier in hoher Dichte, darunter der Mittelspecht, von dem Deutschland ein Fünftel seines weltweiten Bestandes verantwortet. Entgegen der bisher unterstellten engen Bindung an die Baumart Eiche kann der Mittelspecht auch in Buchenbeständen in hoher Dichte vorkommen, sofern diese nur alt und mit genügend grobrindigen Baumindividuen und reichlich stehendem Totholz ausgestattet sind. Der Mittelspecht ist seiner Natur nach ein "Urwaldvogel" sommergrüner Laubwälder. Ähnliches gilt für den Kleinspecht, der mit dem Älterwerden der Laubbestände und der Anreicherung von Totholz im Laufe der letzten drei Jahrzehnte nachweislich häufiger wurde.

Ein zuverlässiger Weiser für Naturnähe von Laubwäldern ist der Grauspecht, dem die Insektenwelt modriger Tothölzer als wesentliche Nahrungsgrundlage dient. Der Schwarzspecht öffnet als Schlüsselart mit seinen geräumigen Höhlen bei zahlreichen Nachmietern begehrte Nischen. Eine Charakterart des Nordsteigerwaldes ist die Hohltaube. Mit der beschleunigten Abnutzung alter Buchenbestände in den 1960er Jahren gingen die Bestandszahlen dieser Art auch hier alarmierend zurück. Für ein Teilgebiet des Nordsteigerwaldes ist der historische Bestandsrückgang dokumentiert: 1911 wurde für den Winkelhofer Forst bei Ebrach "die außerordentliche hohe Dichte von 90 bis 100 Brutpaaren auf zehn Quadratkilometern angegeben," hält der Altmeister bayerischer Vogelkunde Walter Wüst in seiner Avifauna Bavariae 1986 fest. In den 1970er Jahren konnten wir im gesamten früheren Forstamt Ebrach auf 53 Quadratkilometer noch 100 Paare Hohltauben nachweisen.

Ein von Jahr zu Jahr im Brutbestand markant wechselnder Folgenutzer von Schwarzspechthöhlen ist der Raufußkauz, dessen Dichte von den Gradationen von Gelbhals- und Rötelmaus abhängig ist, die ihrerseits durch die Ergiebigkeit der Samenjahre von Buche und Eiche gesteuert werden.

Eine besondere Überraschung im nördlichen Steigerwald bescherte den Vogelkundigen ab Mitte der 1990er Jahre der Sperlingskauz. Er brütet seither in erstaunlicher Dichte in nahezu reinen Laubwäldern dort, wo durch naturgemäße Waldwirtschaft großflächig zweischichtige Bestände aus einer Oberschicht mit ausreichendem Angebot an Buntspecht- und Mittelspechthöhlen und einer geschlossenen Unterschicht aus Dickungs- und Stangenortphasen entstanden sind. Seit den 1990er Jahren wurden wiederholt wochenlang rufende Männchen der Zwergohreule in kleinen Rodungsinseln mit Hecken und naturnahen Weihern und Tümpeln inmitten der geschlossenen Waldlandschaft bestätigt.

Eine Besonderheit des Steigerwalds ist der Halsbandschnäpper, der hier die Nordwestgrenze seines Areals erreicht. Unterfranken ist derzeit der Schwerpunkt seiner Vorkommen in Deutschland. Ein Nationalpark im Nordsteigerwald wäre das erste deutsche Waldgroßschutzgebiet mit dem Halsbandschnäpper als Charaktervogel. Er ist an totholzreiche, alte Buchen-Traubeneichen-Bestände mit mindestens acht geeigneten Naturhöhlen pro Hektar gebunden. Halsbandschnäpper sind im Buchenwald ebenso wie Mittelspechte Indikatoren von "Urwaldqualitäten". Noch höhere Ansprüche stellt der Zwergschnäpper. Hier am äußersten Westrand seines riesigen Areals findet man ihn gelegentlich in den urigsten Reservaten. Bereits 1856 hatte I. Kress die Art in einem Ebracher "Schaufelbuchen"-Bestand erstmals nachgewiesen. Seine erstaunlich präzise Beschreibung übernahm A. J. Jäckel dann im Jahr 1891 in seine bayerische Avifauna.

Die bezeichnendste Greifvogelart der Laubwälder unserer FFH-Gebiete ist der Wespenbussard. Er horstet in den zweischichtigen alten Buchen-Eichenbeständen in erstaunlicher Dichte. Allein um Ebrach sind derzeit auf 5000 Hektar Waldfläche bis zu einem Dutzend besetzte Reviere bekannt. Der Kolkrabe ist Ende der 1990er Jahre in den Steigerwald zurückgekehrt, wo er seit Mitte des 19. Jahrhunderts ausgerottet war. Die Ausbreitung des Schwarzstorchs in Bayern, von dem unser Gewährsmann I. Kress für den Steigerwald um 1850 nur von einem gelegentlich bei einer Hühnerjagd erlegten Exemplar berichtete, ist eine erstaunliche Erfolgsgeschichte. Heute brüten in Bayern mehr als 70 Paare. Im Steigerwald kommen viele Waldweiher und Hunderte, von Forstleuten errichtete Tümpel seinen Nahrungsansprüchen entgegen. Der Uhu, bereits Mitte des 19. Jahrhunderts im Steigerwald ausgerottet, brütet erst seit Beginn des 21. Jahrhunderts wieder regelmäßig mit mehreren Paaren. 2005 wurde eine erfolgreiche Baumbrut inmitten der größten Graureiherkolonie der alten Bundesländer in einem lindenreichen Steilhangwald zum Maintal bekannt.



Nationale Strategie zur Artenvielfalt

Die Resolution zur Biodiversität der legendären UN-Umweltkonferenz 1992 in Rio hat die Gewichte auch im deutschen Vogelschutz grundlegend verschoben. Aus globaler Sicht muss im Zentrum künftiger deutscher Naturschutzbemühungen die Erhaltung der Buchen-Eichenwälder mit ihrem typischen Arteninventar stehen. Betrachtet man die Brutvogelarten, die in ihrer globalen Verbreitung auf Europa beschränkt sind, und weiterhin die, welche über Europa hinaus vorkommen, von denen in Deutschland zehn und mehr Prozent ihres europäischen Bestandes brüten und deren Population zugleich die größte oder zweitgrößte Europas ist, dann ergeben sich überraschende Erkenntnisse. Etwa die Hälfte dieser Arten sind echte Waldvögel, meist noch weit verbreitete, ungefährdete Arten. Etwa ein Drittel davon sind an Buchen- und Eichenwälder mit altem Baumbestand gebunden. Mehr als ein Fünftel des Weltbestandes von Sumpfmeise, Sommergoldhähnchen, Misteldrossel und Ringeltaube brüten bei uns. Die Hälfte der Mäusebussarde Europas, 35% der Habichte, 20 bis 25% der Schwarzspechte, Waldkäuze, Amseln und Kernbeißer, 10 bis 15% aller Grauspechte, Buntspechte, Kleinspechte, Hohltauben, Kohlmeisen und fünf weiterer Waldarten brüten in deutschen Wäldern.

Deutschland ist mit seinem Naturerbe Buchenwälder, das ohne Eingriffe des Menschen zwei Drittel der Festlandsfläche bedecken würde, stiefmütterlich umgegangen. Durch historische Waldrodungen und Umwandlung in Nadelholzforste ist die Buche auf kümmerliche sieben Prozent ihres ursprünglichen Areals zurückgedrängt. Im Vergleich zu den Regenwäldern der Tropenländer, um deren Erhaltung wir uns sorgen, sind Buchenwälder sehr viel stärker gefährdet. Die Buche hat weltweit nur ein sehr begrenztes, auf Zentraleuropa beschränktes Verbreitungsgebiet, dessen Zentrum mit einem Viertel des potenziellen Areals in Deutschland liegt. Der besondere Stellenwert deutscher Buchenwälder wurde 2008 anlässlich der UN-Konferenz zur Biodiversität in Bonn hervorgehoben. Zur Vorbereitung verabschiedete das Bundeskabinett eine nationale Strategie mit dem Ziel, bis zum Jahr 2020 zwei Prozent der deutschen Landfläche zu Wildnisgebieten zu entwickeln. Dafür sollen 5% der Wälder aus der Nutzung genommen werden. Derzeit machen Buchenwälder ohne Holzeinschlag, also unsere "sekundären Urwälder", gerade mal 0,47% der Waldfläche Deutschlands aus. Dies entspricht ziemlich genau den jährlichen Flächenverlusten der Bundesrepublik durch Überbauung mit Beton, Steinen und Asphalt. Neben weiteren Naturwaldreservaten und Naturschutzgebieten müssen zur Realisierung auch weitere Großschutzgebiete in Buchenwäldern ausgewiesen werden. Die internationale Glaubwürdigkeit deutscher Umweltpolitik, so Bundesumweltminister Sigmar Gabriel 2008 beim Besuch der Buchenwälder im nördlichen Steigerwald, wird nicht zuletzt davon abhängen, wie wir die Selbstverpflichtungen aus der nationalen Strategie einhalten. Das Projekt Nationalpark Steigerwald hob der Minister als prominentes Beispiel hervor.

Dr. Georg Sperber war von 1969-1972 stellvertretender Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald und von 1972 bis 1998 Leiter des Staatlichen Forstamts Ebrach.



Informationen zum Thema:

www.Ja-zum-Nationalpark-Steigerwald.de

Sperber, G. & T. Stephan (2008): Frankens Naturerbe Buchenwälder
im Steigerwald. Verlag Fränkischer Tag Bamberg.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 11/2009
56. Jahrgang, November 2009, S. 432-437
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2009