Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → LEBENSRÄUME


SCHUTZGEBIET/822: Bedrohtes Paradies - 40 Jahre NABU-Wasservogelreservat Wallnau (Naturschutz heute)


NATURSCHUTZ heute - Heft 2/16
Mitgliedermagazin des Naturschutzbundes (NABU) e.V.

Bedrohtes Paradies
40 Jahre NABU-Wasservogelreservat Wallnau

von Bernd Piper


Früher nannten die Bewohner Fehmarns das Festland jenseits des Fehmarnsundes "Europa". Wer von dort auf die drittgrößte deutsche Insel kommt und die unter Denkmalschutz stehende Fehmarnsundbrücke passiert hat (was bei heftigem Wind ein Problem sein kann), fährt weiter in Richtung Westküste durch eine mit Windrädern gespickte Agrarlandschaft. Die fruchtbare Schwarzerde sorgt hier für hohe Ernteerträge. Am Ortseingang von Bojendorf geht es scharf nach links zum Strandcampingplatz Wallnau, einem Zentrum konventionellen touristischen Vergnügens. Doch schon kurz darauf führt die kleine Straße ein paar Meter nach oben auf den Deich und der Blick weitet sich - für Spätankömmlinge ist der Sonnenuntergang in der nur wenige Meter entfernten Ostsee inklusive. Nur noch zwei Minuten sind es jetzt bis zum NABU-Wasservogelreservat Wallnau.

Eldorado für Vogelbeobachter
Vor rund 400 Jahren befand sich an dieser Stelle noch eine Ostseebucht. Ein langsam wachsender Nehrungshaken, gespeist von angeströmtem Sediment aus dem Norden der Insel, entsteht und trennt die Bucht nahezu vollständig vom offenen Meer. Ende des 19. Jahrhunderts wird das Haff trocken gelegt und das Gebiet zunächst landwirtschaftlich genutzt. Nach einer schweren Sturmflut ist Wallnau bis 1963 ein bewirtschaftetes Teichgut und gilt schon damals unter Ornithologen als Eldorado der Vogelbeobachtung. Schließlich ist Fehmarn ein europäischer Knotenpunkt des Vogelzugs, rund 100 Millionen Vögel nutzen die Insel jährlich als Ein- und Ausflugschneise sowie Rastplatz auf dem Weg aus ihren arktischen, skandinavischen und osteuropäischen Brutgebieten in den Süden und retour.

1975 kaufen der damalige Deutsche Bund für Vogelschutz und der Kreis Ostholstein mit Hilfe der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt rund 209 Hektar des ehemaligen, langsam verfallenden Teichguts und beginnen ein Jahr später, nach dem Vorbild der englischen Royal Society for the Protection of Birds (RSPB), mit der Einrichtung des ersten Wasservogelreservats in Deutschland.

Wassermanagement
Herzstück des Wasservogelreservats ist ein raffiniertes Kanalsystem, durch das die Wassermenge überall präzise geregelt werden kann. Im Frühjahr bietet ein hoher Wasserstand den brütenden Schilfbewohnern Sicherheit vor Nesträubern, im trockenen Hochsommer finden Watvögel Nahrung in den schlammigen Uferbereichen der abgelassenen Teiche. Galloway-Rinder und robuste Koniks beweiden die feuchten Wiesenflächen, verhindern so Verschilfung und Verbuschung und sorgen mit ihren Trittspuren für zusätzliche Strukturvielfalt. Das Grünland im Reservat ist ein Refugium gefährdeter Pflanzen wie Klappertopf oder Sonnentau und ein idealer Lebensraum für Wiesenvögel. Bis heute wurden mehr als 270 Vogelarten in Wallnau nachgewiesen, aber auch zahlreiche Amphibien - darunter eine der größten Wechselkrötenpopulationen Schleswig-Holsteins.

Eine Besonderheit in Wallnau sind die sogenannten Hides, von denen aus man die Vögel beobachten kann, ohne sie zu stören.

Knapp 30.000 Menschen kommen jedes Jahr nach Wallnau. Sie informieren sich auf dem Naturpfad - auf eigene Faust oder im Rahmen einer Führung - über die heimischen Lebensräume und deren Bewohner, testen ihre Sinne mit verbundenen Augen auf dem Tast- und Schnupperpfad oder gönnen sich vom Aussichtsturm einen Überblick über das Wasservogelreservat und Teile der Insel. Eine Besonderheit in Wallnau sind die sogenannten "Hides", von denen aus man die Vögel beobachten kann, ohne sie zu stören.

Wiederholungstäter
Derzeit arbeiten sieben Festangestellte sowie mehrere Bundesfreiwillige und Teilnehmende des Freiwilligen Ökologischen Jahres (FÖJ) im Wasservogelreservat. Dazu kommen pro Jahr etwa 60 Praktikanten und freiwillige Ehrenamtliche. Viele davon sind von der besonderen Atmosphäre Wallnaus so infiziert, dass sie immer wieder zurückkehren. Das ist gut so, denn es gibt genug zu tun: Biotoppflege, Führungen, Öffentlichkeitsarbeit, Wiesenmahd und Versorgung der Tiere, auch einige wissenschaftliche Arbeiten sind schon in Wallnau entstanden. "Wir bilden hier künftige Multiplikatoren für den Naturschutz aus", betont die stellvertretende Reservatsleiterin Nikola Vagt.

Neben dem Naturschutzgebiet Wallnau, das heute rund 300 Hektar umfasst, betreut der NABU auf Fehmarn mit dem NSG "Krummsteert-Sulsdorfer Wiek" im äußersten Südwesten der Insel sowie dem NSG "Grüner Brink" an der Nordküste zwei weitere Schutzgebiete. Dazu kommen Teilflächen des EU-Vogelschutzgebietes "Östliche Kieler Bucht" und des FFH-Gebietes "Küstenstreifen West- und Nord-Fehmarn".

"Wallnau ist ein exklusiver Ort, aber auch ein bedrohter Ort, mit teilweise dramatischem Artenschwund", so Nikola Vagt. Doch noch strahlt dieser Ort einen ganz besonderen Zauber aus, lässt Menschen die Natur auf engem Raum in ihrer beeindruckenden Vielfalt erleben. Und sogar - ein seltener Glücksfall, wie der Autor aus eigener, unvergessener Anschauung weiß - eine Schweinswalmutter mit ihrem Kalb im flachen Wasser vor dem Naturstrand beobachten.


Info

Der Besucherbereich im Gebiet ist ganzjährig geöffnet, vom 1. März bis zum 31. Oktober liefert das Infozentrum mit Café, Shop und der Ausstellung "Ein Traum vom Fliegen" weitere Gründe für einen Besuch in Wallnau.


Weitere Informationen unter

www.NABU-Wallnau.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Damit die seltenen Vogelarten in Wallnau gute Lebensbedingungen vorfinden, werden Brutinseln angelegt, die für Nesträuber wie den Fuchs unerreichbar sind. Die Nester der Sandregenpfeifer am Strand werden mit Sisalbändern vor unachtsamen Urlaubern geschützt.

*

Quelle:
Naturschutz heute - Heft 2/16, Seite 20 - 21
Verlag: Naturschutz heute, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-1530, Fax: 030/284984-2500
Hausanschrift: Charitéstraße 3, 10117 Berlin
E-Mail: naturschutz.heute@nabu.de
Internet: www.naturschutz-heute.de
Herausgeber: NABU, 10108 Berlin
Tel.: 030/284984-0, Fax: 030/284984-2000
E-Mail: nabu@nabu.de
Internet: www.NABU.de
 
"Naturschutz heute" ist das Mitgliedermagazin
des Naturschutzbundes Deutschland (NABU) e.V.
und erscheint vierteljährlich. Für Mitglieder
ist der Bezug im Jahresbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang