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WILDNIS/022: Ein großer Schatz (BUNDmagazin)


BUNDmagazin - 2/2017
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland - BUND
Friends of the Earth Germany

Ein großer Schatz

Interview mit Manuel Schweiger


Manuel Schweiger koordiniert die Initiative »Wildnis in Deutschland«, der auch der BUND angehört. Der Wildnisreferent der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) wirbt über nationale Grenzen hinweg dafür, Wildnis zu schützen und zuzulassen. Das BUNDmagazin sprach mit ihm.


Noch vor wenigen Jahrzehnten waren weiße Flecken auf dem Globus oft unberührtes Terrain. Heute gibt es Wildnis fast nur noch in Schutzgebieten. Wie steht es um die Wildnis weltweit?

Eine neue Studie zeigt, dass allein seit 1993 weltweit über ein Zehntel der verbliebenen Wildnis zerstört wurde. In Mitteleuropa war der Verlust geringer - weil wir hier schon vorher kaum mehr Wildnis hatten. Tatsächlich dienen die Schutzgebiete heute als allerletzte Bastionen der Wildnis, und der Druck auf sie wächst.

Was sind die Hauptursachen für diesen Verlust?

Vor allem die Tatsache, dass die industrielle Landwirtschaft immer mehr Fläche beansprucht, um Palmöl oder Fleisch für unsere Wohlstandsgesellschaften zu erzeugen. Ungemein schädlich ist der Abbau von Rohstoffen wie Öl und Gold. Und der starke Holzeinschlag, der gerade auch in Europa die letzten alten Wälder bedroht. Fatal sind zudem viele Infrastrukturprojekte im Süden - Staudämme, Straßen oder Häfen -, an deren Bau und Finanzierung die Industrieländer oftmals beteiligt sind.

Wie ist es heute um Europas Wildnis bestellt?

Die Frage ist immer: Wo können wir noch von Wildnis sprechen? Klar ist, dass viele wirtschaftlich schwache Länder außerhalb Europas sehr viel mehr tun für ihre Wildnis, zum Beispiel Tansania oder Peru. In Europa finden wir selbst in dünn besiedelten Regionen wie dem Norden Skandinaviens kaum mehr Primärwälder. Und Deutschland zählt mit 0,6 Prozent Wildnis auch im kontinentalen Vergleich zu den Schlusslichtern.

Umso wichtiger sind die Karpaten mit ihren letzten echten Urwäldern in Mitteleuropa. Diese Wildnis liegt fast vor unserer Haustür, ein großer Schatz! Und stark bedroht durch den Holzeinschlag ...

Was bedeutet »Wildnis« in Europa?

Die »Wild Europe Initiative« hat eine Definition erarbeitet, die die Europäische Kommission bereits mehrfach übernommen hat. Wildnisgebiete sollten danach mindestens 3000 Hektar, möglichst sogar 10.000 Hektar umfassen, ungenutzt und weitgehend unzerschnitten sein. Nur dann können sich darin alle natürlichen Prozesse vollziehen.

Für solche Gebiete gibt es in Deutschland nur sehr wenig Potenzial. Um unser nationales Ziel - zwei Prozent Wildnis - zu erreichen, haben wir für den Anfang 1000 Hektar als Mindestgröße für Wildnisgebiete vereinbart. Immerhin sind wir mit diesem Ziel ein Vorreiter. Unsere Nachbarländer verfolgen mit Interesse, wie wir hier politisch vorankommen. Unsere Initiative verdeutlicht, wie viele Vorteile mit dem Schutz der Wildnis verbunden sind.

Wie können wir Wildnis bewahren?

Leider existieren zu viele Schutzgebiete nur auf dem Papier. Entscheidend ist, dass ihr Schutz auch wirksam ist. So wurden in Rumänien in den letzten 20 Jahren geschätzte 400.000 Hektar Wald vernichtet, darunter echte Urwälder. Schuld daran tragen wie so oft Korruption und mangelnde Kontrolle. Auch in den Nationalparks der Ukraine wird bereits illegal Holz geschlagen. Die ZGF unterstützt die Parks dabei, ihre wertvollen Wälder zu sichern.

Die deutschen Nationalparks sind da besser dran. Allerdings sollten einige ihre Schutzziele stärker daran ausrichten, Wildnis auch wirklich zuzulassen.

Was können wir alle für mehr Wildnis tun?

Ansetzen sollten wir bei dem viel zu großen ökologischen Fußabdruck in unseren Breiten. Also weniger und bedachter konsumieren: weniger Fleisch und Palmöl, und Holz nur aus Ländern, wo seine Herkunft genau kontrolliert wird. Auch können wir natürlich in Wildnisregionen reisen, Einnahmen aus dem Tourismus bilden dort eine wichtige Perspektive. Schließlich sind Wildnisgebiete weltweit auf die Akzeptanz der Menschen vor Ort angewiesen.

Welche Wildnis liegt Ihnen besonders am Herzen?

Die vor unserer Haustür. Immer wieder überrascht mich, wie viel Wildnis es auch in Deutschland noch gibt, wenn wir sie zulassen. Zum Glück gewinnen wir in unseren Wäldern - ganz anders als in den Tropen - schon nach zwei-, dreihundert Jahren wieder urwaldähnliche Strukturen. Reizvoll finde ich auch, mit welcher Kraft die Natur ehemalige Truppenübungsplätze zurückerobert. Das birgt viel Überraschendes!

wildnis-in-deutschland.de

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Quelle:
BUNDmagazin 2/2017, Seite 15
Herausgeber:
Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
Friends of the Earth Germany
Am Köllnischen Park 1, 10179 Berlin
Redaktion: Severin Zillich
Tel. 030/27586-457, Fax. 030/27586-440
E-Mail: redaktion@bund.net
Internet: www.bund.net/bundmagazin
 
Das BUNDmagazin ist die Mitgliederzeitschrift
des BUND und erscheint viermal im Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2017

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