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LAIRE/063: Repression - Nahrungsverzicht für Klimaschutz (SB)


US-Bürger sollen Gürtel enger schnallen, dann klappt's angeblich auch mit dem Klimaschutz


Die Rechnung wirkt genial: Rund 19 Prozent des Energieverbrauchs in den USA wird durch die Herstellung von und Versorgung mit Nahrung verbraucht. Der Durchschnittsamerikaner verkonsumiert täglich 3747 Kilokalorien und damit 1200 bis 1500 Kilokalorien mehr, als Gesundheitsexperten empfehlen. Wenn nun die Bürger weniger äßen, müßte weniger Nahrung hergestellt werden, und es würde weniger Energie verschwendet. Bis zu zehn Prozent des Energieverbrauchs der Vereinigten Staaten könnten dadurch eingespart werden, behaupten der Forscher David Pimentel und seine Kollegen von der Cornell University in der aktuellen Ausgabe des Journals "Human Ecology".

Die Rechnung wurde ohne den Wirt gemacht. So wünschenswert es wäre, wenn die Maßnahme eines einzelnen einen nennenswerten, übergreifenden Einfluß besäße, bleibt festzustellen, daß mit der Individualisierung der Klimaproblematik Scheingefechte ausgetragen werden. Damit wird das Übel nicht nur nicht an der Wurzel ausgezogen, es wird sogar noch begossen, damit es kräftig gedeihe.

Ohne die vorherrschende Eigentumsordnung zu hinterfragen, gerät Klimaschutz zu einem Repressionsmittel. Die Art der Produktion und die Verteilung ihrer Mittel haben zu der heutigen Situation des menschengemachten Einflusses auf die Erderwärmung geführt. Erst der vergesellschaftete Mensch hat im Zuge der technologischen Fortentwicklung dermaßen viele Verbrennungsprozesse in Gang gesetzt, daß sich dies planetar auswirkte.

Nun könnte man einwenden, daß 6,6 Milliarden Menschen auch ohne die hochtechnologische Industrie und Wirtschaft trinken, essen, sich kleiden und es warm haben müssen, kurzum, daß sie Energie verbrauchen müssen und somit Treibhausgase emittieren. Dem Einwand ist mit einer Frage zu entgegnen: Hätte es diese 6,6 Mrd. Menschen überhaupt gegeben, wenn die Entwicklung von Beginn an anders verlaufen wäre? Bevölkerungswachstum und Technologieentwicklung gehen Hand in Hand.

Solange der Konsumverzicht freiwillig bleibt, spricht nichts dagegen, wenn jemand für sich entscheidet, daß er weniger verzehren und damit seinen Geldbeutel schonen will. Sobald aber Verzichtszwang ausgeübt wird, und das wird er allein schon durch die Verteuerung von Nahrung, sollte die Idee der Cornell-Forscher als gesellschaftliche Lösung für das Problem des Klimawandels verworfen werden.

Noch bevor Klimaschutzmaßnahmen doch nur wieder in ein Sanktionsregime münden, müßte der Widerspruch gelöst werden, daß es einige wenige Menschen gibt, die überhaupt die gesellschaftliche Macht innehaben, daß sie ein Sanktionsregime etablieren können, und viele andere, die ihm ausgesetzt sind und sich zu unterwerfen haben. Die Verteuerung der Energiepreise hat bereits zur Folge, daß Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen, ihr Auto aufgeben müssen - mit allen einschränkenden gesellschaftlichen Konsequenzen aufgrund der mangelnden Mobilität. Es ist phantastisch, wenn die Kernbereiche der Städte weniger feinstaubbelastet sind - aber es sind die weniger wohlhabenden Menschen, die sich kein neues, emissionsarmes Auto leisten können, die vielerorts durch Fahrverbotszonen aus den Innenstädten verbannt werden.

Wer individuellen Klimaschutz zum Programm erhebt, versucht, gesellschaftliche Unterschiede mittels des Begriffs des Individuums zu egalisieren und unterstellt, daß alle Menschen gleich sind. Das sind sie eben nicht. Wer in armen Verhältnissen aufwächst, verkonsumiert weniger, hat weniger berufliche Aufstiegschancen, erkrankt eher und ist weniger anerkannt als jemand, der mit dem goldenen Löffel im Mund zur Welt kommt. Von den Restriktionen aus Gründen des Klimaschutzes sind jedoch erstere im Verhältnis stärker betroffen.

Ist es Zufall, daß die Idee, Klimaschutz über Einschränkungen des Verzehrs zu leisten, ausgerechnet in einer Zeit vorgebracht wird, in der in über 30 Ländern Demonstrationen und teils blutige Aufstände wegen des beißenden Nahrungsmangels stattfanden? In großer Sorge haben die Regierungen und Globalinstitutionen wie IWF, Weltbank und UNO auf die Hungerrevolten reagiert. Nicht wegen des Hungers der Menschen - den hatte es auch vorher schon gegeben -, sondern wegen der aufkommenden Gefahr für die eigene Sicherheit.

Vor diesem Hintergrund und angesichts des Vorschlags vieler Politiker, daß die weltweite Nahrungsmittelproduktion einer übergreifenden Kontrolle unterworfen werden sollte, besteht die akute Gefahr, daß der Vorschlag zum Nahrungsverzicht in eine Forderung zum Nahrungsverzicht umgemünzt werden könnte.

25. Juli 2008