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LAIRE/101: 50 Jahre Antarktisvertrag - noch hält er ... (SB)


Hohes Konfliktpotential hinsichtlich Nutzung des südlichen Kontinents


Gemäß dem alten Sprichwort, daß Verträge dazu da sind, um gebrochen zu werden, müßte man für die Antarktis annehmen, daß auch sie eines (womöglich nicht mehr fernen) Tages sehr viel stärker wirtschaftlich genutzt wird als heute. Zwar werden durch den vor 50 Jahren, am 1. Dezember 1959, von zwölf Nationen unterzeichneten Antarktisvertrag sowie mehrere Nachfolgeverträge territoriale Ansprüche sowie die mineralische Ausbeutung nicht anerkannt bzw. untersagt und der südliche Kontinent "dem Frieden und der Wissenschaft" sowie der umweltschonenden Nutzung durch die gesamte Menschheit überantwortet, aber spätestens wenn das Bergbauverbot im Jahr 2041 ausläuft, dürften diejenigen Interessenten ihre Ansprüche vortragen, die sich bislang zurückgehalten haben. Sie stehen schon in den Startlöchern. Auf einer Erde mit acht Milliarden Einwohnern oder mehr, mit schwindenden fossilen Energieträgern wie Erdöl und Erdgas und mit weitgehend leergefischten Ozeanen weckt ein bis dahin kaum wirtschaftlich ausgebeuteter Kontinent samt seiner Randmeere die Begehrlichkeiten und rückt dadurch automatisch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit einflußreicher Kräfte in Politik und Wirtschaft.

Der Antarktis-Vertrag gilt als Beispiel für eine gelungene internationale Zusammenarbeit, die eine verheerende Entwicklung verhindert hat, und die Arbeit der Umweltschutzgruppe Greenpeace, die 1986/87 auf der Ross-Insel eine eigene Station errichtet hatte, als erfolgreiches zivilgesellschaftliches Engagement. Der gegenwärtige Status quo sollte allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Erschließung der Antarktis von territorialen Ansprüchen und umgekehrt der Bemühung, diesen entgegenzuwirken, geprägt war und heute noch ist. Sei es, daß US-Admiral Richard Byrd die Flaggen aller UN-Mitgliedstaaten über der Antarktis abwerfen ließ (1947), sei es, daß Indien (1956) und Malaysia (1985) sich dafür einsetzten, den Kontinent unter UN-Verwaltung zu stellen. Gebietsansprüche werden von Argentinien, Australien, Brasilien, Chile, Frankreich, Neuseeland, Norwegen und dem Vereinigten Königreich gestellt.

Teils überschneiden sich die reklamierten Territorien, wobei es insbesondere zwischen Argentinien und dem Vereinigten Königreich permanent kriselt. 1982 führten die beiden Staaten Krieg vor der südargentinischen Küste gelegenen, zum Vereinigten Königreich gehörenden Falkland Inseln. Die Heftigkeit des Konflikts hatte auch mit der geographischen Nähe zur Antarktis, dem territorialen Anspruch der Briten und der damit verbundenen Option zu tun, ein Stück des Kuchens abbekommen zu wollen, wenn er eines Tages aufgeschnitten wird.

Eigentlich sollte man annehmen, daß der kürzliche britische Vorschlag, ein Gebiet südlich der South Orkney Islands als Meeresschutzgebiet auszuweisen, in dem Fischerei und Umweltverschmutzungen verboten sind, harmlos und nicht anders als mit Wohlwollen aufzunehmen ist. In dem Gebiet sollen Wissenschaftler ungestört die Auswirkungen des Menschen auf die Umwelt und die Folgen des Klimawandels erforschen, so der am 10. Dezember bekanntgegebene und wenige Tage zuvor von der Commission for the Conservation of Antarctic Marine Living Resources (CCAMLR) in Tasmanien angenommene Vorschlag. Bei der South Orkneys Marine Protected Area (MPA) werde es sich um das erste "Hochsee"-Schutzgebiet handeln, hieß es. Im Mai 2010 treten die Schutzbestimmungen für dieses 94.000 Quadratkilometer große Gebiet in Kraft. [1]

Die südlichen Orkney-Inseln werden allerdings auch von Argentinien beansprucht, weshalb sich die Frage aufdrängt, ob die britische Regierung mit der MPA-Initiative nicht - im nebenbei oder primär - eher geopolitische Ziele verfolgt, als daß es ihr ein Anliegen ist, ausgerechnet dieses Meeresgebiet zu schützen. Denn "Schutz" bedeutet, daß das Vereinigte Königreich seine Verfügungsgewalt ausspielt und andere von der Nutzung abhält.

Die South Orkney Islands zählen seit 1962 zum britischen Antarktisgebiet. Bis dahin standen sie unter der Verwaltung der Falkland Inseln. Da laut dem Antarktisvertrag von 1959 die Souveränität der South Orkney Islands weder anerkannt noch von den Unterzeichnern in Frage gestellt wird, steht es im Prinzip jedem von ihnen frei, die Inseln zu nutzen - abgesehen von der militärischen Verwendung.

Nun verhält es sich aber so, daß die Inseln auch ein Teil der argentinischen Provinz Tierra del Fuego sind und Argentinien dort seit 1904 einen Militärstützpunkt unterhält. Die Inseln werden in dem südamerikanischen Land Orcadas genannt. Die britische Regierung hat auch die Ausweisung eines weiteren Schutzgebiets im Indischen Ozean sowie Bestimmungen zum Schutz der Antarktis im Falle von Umweltkatastrophen vorgeschlagen, so daß der nicht zu leugnende geopolitische Aspekt - scheinbar - in den Hintergrund tritt. Ein Meeresschutzgebiet im Bereich der Antarktis deckt sich selbstverständlich mit dem Geist des Antarktisvertrags.

Zu den 25 Nationen, die Mitglied der CCAMLR sind, die ihr Okay zum britischen Vorschlag gegeben hat, gehört auch Argentinien. Das Schutzgebiet reicht nicht unmittelbar an die South Orkney Islands bzw. Orcanas heran, so daß Argentinien nicht untersagt wird, seinen Hafen anzufahren. Insofern muß man sagen, daß es sich bei der Einrichtung eines Meeresschutzgebiets vor der Nase des südamerikanischen Landes, das vor 26 Jahren mit Großbritannien Krieg geführt hat, allenfalls um eine kleine Stichelei der britischen Regierung handelt. Dennoch erinnert das Beispiel an die wackelige Balance, mit der eine hemmungslose Ausbeutung der Antarktis bislang verhindert wurde.

Die überwiegende Nutzung der Antarktis dient Forschungszwecken sowie Tourismus und der Suche nach interessanten, pharmakologisch und industriell verwertbaren Wirkstoffen in der an extreme Verhältnisse angepaßten Tier- und Pflanzenwelt. Damit wird jedoch nur ein vorübergehender Zustand widergespiegelt. Der südliche Kontinent birgt ein mindestens genauso großes zwischenstaatliches Konfliktpotential wie die Arktis, deren Anrainer zur Zeit militärische Fronten aufbauen. Der Klimawandel wird in den nächsten Jahren im Hohen Norden sowohl die Nordost- als auch die Nordwestpassage immer mehr für den Schiffsverkehr und bislang eisbedeckten Flächen zur Ausbeutung der Ressourcen freigeben.

Für den südlichen Kontinent gilt das gleiche, nur daß die wirtschaftliche Nutzung verboten wurde. Wenn aber bestimmte Staaten sich herausnehmen, die international verbindlichen Genfer Konventionen zu mißachten und zynischerweise ausgerechnet in ihrem Namen Angriffskriege zu führen -, dürfte auch der Antarktisvertrag nur so lange Bestand haben, wie seine Einhaltung den Unterzeichnern opportun erscheint.


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Anmerkungen:

[1] "UK proposal turns south of South Orkney Islands a Marine Protected Area", Merco Press, 10. November 2009
http://en.mercopress.com/2009/11/10/uk-proposal-turns-south-of-south-orkney-islands-a-marine-protected-area

30. November 2009