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LAIRE/144: Weltnaturschutzkonferenz Nagoya - Mangelproduktion durch Inwertsetzung der Natur (SB)


Qualifizierung der Herrschaft im Zeichen des Erhalts der Biodiversität


Mit der Vergesellschaftung des Menschen ging ein Prozeß einher, bei dem immer mehr Natur in Wert gesetzt, ökonomisiert und dem Besitzstand unterworfen wurde. Im Kern bedeutet Besitz, daß andere von der Nutzung abgehalten werden. Im christlich-religiösen Wertekanon ist der Herrschaftsanspruch des Menschen über die Natur schon in der Genesis angelegt. Macht euch die Erde untertan, gab die klerikale Klasse das Gebot ihrer höchsten Ordnungsinstanz aus. Ob weltliche oder kirchliche Herrschaft, das innovative Moment ihrer Qualifizierung war und ist die umfassende Ökonomisierung. Mit ihr wird der Mangel ausgebaut und verstetigt. Unter dem wachsenden Verwertungsdruck seitens fremdnütziger Interessen hat sich Homo oeconomicus als Spitze dieser Entwicklung herausgebildet. Er teilt die Welt, er ist teilbar.

Wollten die Japanmakaken, die sich gern in den heißen Quellen ihres Landes aufhalten, Ökonomie betreiben, so müßten sie Verhältnisse herstellen, durch die ihre Artgenossen von der Nutzung der heißen Quellen abgehalten werden. Der Zugang würde ihnen dann beispielsweise nur gewährt, wenn sie den in ihrer Gesellschaft Herrschenden Nahrung oder andere knappe Dinge brächten. In der entwickelteren Form würde es auf eine Art von Währung hinauslaufen, anfangs würden vielleicht seltene Steine die vermittelnde Funktion innerhalb dieser Ökonomie übernehmen. Einige Affen würden womöglich dazu gebracht, daß sie Dienstleistungen verrichten und zum Beispiel den Herrschenden eine bestimmte Zeit des Tages die Flöhe aus dem Fell puhlen. Andere übernähmen Wachfunktionen und stellten sich zwischen diejenigen, die in der heißen Quelle sitzen, und allen anderen, die als Konsequenz der Inbesitznahme so lange ausgeschlossen werden, bis sie sich ebenfalls unterwerfen und verfügen lassen.

Dieses Bild aus der Affenwelt soll verdeutlichen, daß durch die Ökonomie Mangel erzeugt wird. Das ist ihre Kernfunktion. Nicht umgekehrt, das heißt, Mangel wird nicht durch Ökonomie behoben. Damit soll nicht behauptet werden, daß die Affen eine ideale Gesellschaft bilden. Solch eine Annahme würde das Bild überfrachten. Entscheidend ist, daß bereits die Anfänge der Ökonomisierung mit Besitznahme, Gewalt und der Erzeugung von Mangel einhergingen. Diese Funktion ist der Ökonomie immanent, sie dient damit der Herrschaft der Besitzenden über die Besitzlosen. In Herrschaftsverhältnissen wird immer Mangel erzeugt, darauf ist sie existentiell angewiesen.

Hier nun kommt der auf der aktuellen Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya vorgelegte TEEB-Abschlußbericht "Mainstreaming the Economics of Nature" [1] ins Spiel. Er steht stellvertretend für die moderne Vorstellung von Naturschutz. In dem Bericht werden Konzepte dargelegt, nach denen die sogenannte Natur inwertgenommen wird. Anstatt einen Baum zu fällen, soll dessen Erhalt höher bewertet werden als das Holz des gefällten Baums. Dieses Konzept wirkt auf den ersten Blick attraktiv und hat viele Naturschützer überzeugt, selbst wenn sie an anderer Stelle eher skeptisch beispielsweise gegenüber Konzerninteressen eingestellt sind. Aber um Konzerninteressen und somit Verwertungsformen von Mensch und Natur geht es auch hier.

Die laufende Erweiterung der Ökonomie durch die Inwertsetzung dessen, was zuvor keiner Verfügbarkeit unterworfen war, hat in der menschlichen Gesellschaft einen hohen Abstraktionsgrad erreicht. Nicht nur das Fällen des Baums durch den Besitzenden, sondern auch der Option, daß er den Baum fällen könnte, es aber nicht tut, wenn er dafür von der Gesellschaft belohnt wird, treibt die Ökonomisierung voran und erzeugt Mangel. Beispielsweise geschieht es häufiger, daß bei der Ausweisung von Naturschutzgebieten indigene Gemeinschaften aus ihrem angestammten Lebensraum vertrieben werden, weil ihnen kein Besitzrecht zuerkannt wird. [2] Die Menschen mögen seit Generationen in einem Gebiet gelebt haben, ohne es nach westlichem Rechtsverständnis zu besitzen, und werden verdrängt und vertrieben, weil das Gebiet "bewahrt" werden soll - offensichtlich für Fremdinteressen.

Andere Menschen leben in Naturschutzregionen, weil sie durch bewaffnete Konflikte aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Auch gegenüber diese Menschen kommt es zu Vertreibungen aus Gründen des Erhalts der Natur oder des Walds als Kohlenstoffsenke im Rahmen des CO2-Zertifikathandels. Beispiel hierfür ist die Waldregion am Mount Elgon in Uganda und Kenia. Mit einer auf Bewahrung orientierten Ökonomisierung wird der herrschaftsförmige Umgang mit der Natur in neue Räume des menschlichen Miteinanders vorangetrieben. Es gibt immer jemanden, der die Bewahrung organisiert, gegen andere Interessen durchsetzt oder Besitz akkumuliert und Nutzungsansprüche erhebt.

Eine weitere Facette dessen ist die Sicherung von ökologisch teils einzigartigen Landschaften (Hot spots), die sich dadurch auszeichnen, daß sie eine hohe Biodiversität oder aber einen hohen Anteil an endemischen Arten aufweisen. Neben großen Naturschutzorganisationen wie Nature Conservancy, hinter der wiederum unter anderem aktuelle oder ehemalige Finanzakteure wie Henry M. Paulson Jr. (Goldman Sachs, Ex-Finanzminister der USA), Mark R. Tercek (Goldman Sachs) Thomas J. Meredith (Meritage Capital, L.P., MFI Capital, Motorola), Moses K. Tsang (Goldman Sachs) stecken, sind es Multimillionäre und Milliardäre aus verschiedenen Branchen, die wertvolle Naturlandschaften ihr Eigentum nennen, wie zum Beispiel der CNN-Gründer Ted Turner oder der Börsenspekulant George Soros.

Diese Personen haben so viel Reichtum akkumuliert, daß es für sie naheliegt, in den Erhalt von Natur zu investieren und sich als Naturschützer zu gerieren. Sie profitieren von einem System, das es ihnen ermöglicht, in den Erhalt der Natur zu investieren. Vielleicht kommt es auf der Weltnaturschutzkonferenz in Nagoya zu keiner verbindlichen Abmachung der 193 Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention (CBD), da die weltweit verteilten Interessen zu sehr divergieren. Doch die Idee, die Bewahrung der Natur den Kräften der Ökonomie zu überlassen, wird von ihnen nicht in Frage gestellt. Das garantiert die Fortsetzung der Reichtumsanhäufung und Mangelproduktion, jener Kehrseite der Medaille, die sich in rund eine Milliarde Hungernden und zwei Milliarden armen Menschen manifestiert.


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Anmerkungen:

[1] TABB - The Economics of Ecosystems and Biodiversity (Die Ökonomie von Ökosystemen und der Biodiversität)
http://www.teebweb.org/LinkClick.aspx?fileticket=bYhDohL_TuM%3d&tabid=924&mid=1813

[2] Gut beschrieben und analysiert wird dies in dem Buch "Naturschutz und Profit - Menschen zwischen Vertreibung und Naturzerstörung" (2008) von Klaus Pedersen.

22. Oktober 2010