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LAIRE/186: Der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre ist keine Konstante (SB)


Neue Studie zur Versauerung von Luft, Boden und Wasser

Wie werden sich die massiven Veränderungen der Geosysteme auf die Freisetzung von Sauerstoff auswirken?


Es ist hinlänglich bekannt, daß durch die Zunahme der anthropogenen Treibhausgase nicht nur die globale Durchschnittstemperatur steigt, sondern auch die Ozeane versauern. Dabei nimmt ihre Absorptionsfähigkeit für Kohlendioxidemissionen ab, marine Arten sterben aus und mit ihnen das Phytoplankton. Das setzt jedoch bei Stoffwechselvorgängen normalerweise den auch für die Landbewohner wie uns Menschen lebenswichtigen Sauerstoff frei, woraus folgt, daß zwischen anthropogenen Treibhausgasen, dem Säuregrad der Ozeane und dem Sauerstoffgehalt der Atmosphäre Abhängigkeiten bestehen.

Im allgemeinen nimmt es der Mensch als selbstverständlich an, daß ihm ständig genügend Sauerstoff zur Verfügung steht. Dieser Vorstellung unterliegt selbst die Umweltbewegung, in der viel über die Endlichkeit von Ressourcen, allen voran des für die Industriegesellschaft von heute kaum ersetzbaren Erdöls diskutiert wird. Die Menschheit macht jedoch den Eindruck, als sei sie wie der Taucher, der vergessen hat, daß er ständig über einen Schlauch mit Atemluft versorgt wird. Würde die Pumpe ausfallen, mit der das lebenswichtige Gas in die Tiefe befördert wird, müßte er verenden.

Die Verhältnisse bei der Sauerstoffzufuhr der Atmosphäre sind etwas komplexer gestaltet als bei einem Taucher. Fast die Hälfte der Sauerstoffzufuhr in die Atmosphäre leistet das Phytoplankton der Ozeane, etwa 30 Prozent kommen durch die tropischen Regenwäldern hinzu. Zur Zeit beträgt der atmosphärische Sauerstoffgehalt knapp unter 21 Prozent, mit geringfügig sinkender Tendenz. Das sollte jedoch nicht zu dem Eindruck verleiten, es existierte ein Wirkzusammenhang zwischen Freisetzung und Verbrauch, so daß der Wert von 21 Prozent erhalten bleibt. Unsere Lebensvoraussetzung ist kein stabiler Zustand, sondern Ergebnis von Verhältnissen in der Natur, deren Voraussetzungen bereits vor langer Zeit angelegt wurden. Es gibt keine Gesetzmäßigkeit, nach der die Zufuhr an Sauerstoff dem Verbrauch entsprechen muß.

Ein Verlust der tropischen Regenwälder aufgrund des Ausbaus der Plantagenwirtschaft, des wachsenden Bedarfs an Edelholz oder klimatischer Veränderungen und ein globales Absterben des Phytoplanktons hätte den gleichen Effekt, als wenn man den Durchmesser des Sauerstoffschlauchs unseres selbstvergessenen Tauchers allmählich zusammenquetschte. Irgendwann kommt der Moment, da er den Mangel nicht mehr durch eine Erhöhung der Atemfrequenz oder -tiefe kompensieren kann.

Erdgeschichtlich gesehen wäre es kein einzigartiger Vorgang, daß Arten aufgrund Sauerstoffmangels aussterben. Es gab Zeiten, da enthielt die Erdatmosphäre überhaupt keinen freien Sauerstoff und auch kein Leben. Zur Zeit beispielsweise der Dinosaurier lag der O2-Gehalt dagegen bei rund 30 Prozent, was als wichtige Voraussetzung für das enorme Größenwachstum der Lebewesen der damaligen Zeit angesehen wird. In manchen erdgeschichtlichen Perioden war der O2-Gehalt auf 15 Prozent gesunken, was wiederum nur für kleinere Tiere hinnehmbar war; der Menschen hätte vermutlich nicht überlebt.

Jüngere wissenschaftliche Studien geben genügend Anlaß, die Frage nach der Verfügbarkeit von Sauerstoff aufzuwerfen. Eine Forschergruppe des Geologischen Dienstes der USA (USGS - U.S. Geological Survey) und der Universität von Virginia haben nach eigenen Angaben erstmals eine Studie zum Versauerungsgrad von Luft, Boden, Süß- und Meerwasser durchgeführt und herausgefunden, daß in sämtlichen Sphären die Versauerung aufgrund menschlicher Einflüsse zunimmt, wie der Environmental News Service berichtete. [1] Abschätzungen zum Sauerstoffgehalt waren nicht das Thema der Forscher, aber selbstverständlich würden ihre Resultate auch dabei eine Rolle spielen.

Als Hauptfaktoren der Versauerung der Erdsysteme identifizieren die Forscher, die ihre Studie im Journal "Applied Geochemistry" veröffentlichten, den Abbau und die Verbrennung von Kohle, die Gewinnung und das Einschmelzen von Erzen sowie den Einsatz von Stickstoffdünger. USGS-Forscherin und Studienleiterin Karen Rice brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß ihre Untersuchung Ausgangspunkt für Maßnahmen zum Schutz der Atmosphäre, des Wassers und der Böden für das menschliche Leben werde.

Die Forschergruppe ist so vorgegangen, daß sie zunächst eine Reihe von Weltkarten beispielsweise zum Kohleabbau und -verbrauch, des Düngereinsatzes und der Kupferproduktion in den verschiedenen Ländern erstellt hat. Dann wurden diese Informationen mit der zu erwartenden Bevölkerungsentwicklung bis zum Jahr 2050 korreliert, wobei die Forscher versuchten, den Einfluß technologischer Veränderungen, administrativer Regulationen und anderer Faktoren zu berücksichtigen. Im Endergebnis trafen die Experten Prognosen zur lokalen, regionalen und globalen Entwicklung der Versauerung.

Über den zunehmenden Säuregrad von Ozeanen wurde schon viel berichtet. [2] Forscher schätzen, daß täglich 20 Millionen Tonnen und damit etwa 30 Prozent der anthropogenen Kohlendioxidemissionen von den Meeren absorbiert werden. Allerdings scheint dieser Wert starken Schwankungen zu unterliegen, entsprechend unsicher sind die Angaben zur ozeanischen CO2-Aufnahmekapazität. So hatte vor einigen Jahren eine russisch-japanische Forschergruppe berichtet, daß das Meer westlich von Japan überhaupt kein CO2 mehr aufnimmt. [3] Weiteren Studien zufolge verringert sich die CO2-Absorbtionsfähigkeit mit dem Grad der Versauerung, es scheint also eine Art Sättigungseffekt einzutreten. Zugleich verringert sich der Sauerstoffgehalt der Ozeane. [4]

Es paßt so gar nicht zum menschlichen Ordnungsdenken, wonach die Natur in Kreisläufen organisiert ist, doch die Sauerstoffversorgung der Atmosphäre unterliegt keinem Kreislauf. Es kann zu einer Schere zwischen Verbrauch und Freisetzung kommen, und die Menschen arbeiten gegenwärtig intensiv daran, daß sie sich öffnet. Eine wachsende Weltbevölkerung und die Industrialisierung, die geradezu einen sauerstoffverzehrenden Weltenbrand mit zahllosen kleinen und größeren Feuerstellen - vom Rasenmäher bis zum Elektrizitätskraftwerk - ausgelöst hat, steigern den Verbrauch an verfügbarem Sauerstoff. Umgekehrt sorgen der massive Verlust an Phytoplankton [5] und die Rodung tropischer Regenwälder für einen Rückgang der O2-Freisetzung. Nur weil dieses Thema gegenwärtig noch kein Bestandteil eines Diskurses der Forschergemeinde oder der Umweltbewegung ist, bedeutet das nicht, daß die Frage, ob die Voraussetzungen der Sauerstoffversorgung des Planeten gesichert sind, ignoriert werden kann. Vielleicht werden eines Tages Studien wie die oben erwähnte zur Versauerung von Erde, Luft und Wasser als Vorboten einer lange Zeit zu wenig beachteten Entwicklung bezeichnet.

Heute kann man noch den Eindruck gewinnen, daß die Frage nach der Verfügbarkeit von Sauerstoff vernachlässigbar ist, da dessen atmosphärischer Gehalt kaum Veränderungen zu unterliegen scheint. Ein Politiker sähe keinen Handlungsbedarf, solange es keinen nachweisbaren Rückgang an diesem lebenswichtigen Gas gibt. Auch könnte man argumentieren, daß genügend andere Gründe bestehen, warum die tropischen Regenwälder nicht abgeholzt oder die Bestände des Phytoplanktons, das die Grundlage der marinen Nahrungskette bildet, von der auch die Menschen abhängig sind, gesichert werden sollten. Aber da der Sauerstoffgehalt der Atmosphäre keine natürliche Konstante ist, könnte man sich möglichst frühzeitig mit der Frage konfrontieren, ob uns eines Tages die Luft ausgeht und ob nicht rechtzeitig etwas dagegen unternommen werden sollte.


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Fußnoten:

[1] "Not Just Oceans: Acid Levels Rising in Air, Soil, Freshwater", Environment News Service (ENS), 23. September 2011
http://www.ens-newswire.com/ens/sep2011/2011-09-23-092.html

[2] "The Impact of Climate Change on the World's Marine Ecosystems", Hoegh-Guldberg et al., Science, 2010; 328 (5985): 1523, DOI: 10.1126/science.1189930

[3] "Sudden, considerable reduction in recent uptake of anthropogenic CO2 by the East/Japan Sea", G.-H. Park, K. Lee und P. Tishchenko (2008), Geophys. Res. Lett., 35, L23611, doi:10.1029/2008GL036118.

[4] "Arctic Ocean full up with carbon dioxide", Nature, 22. Juli 2010, doi:10.1038/news.2010.372
http://www.nature.com/news/2010/100722/full/news.2010.372.html

[5] "Ocean greenery under warming stress. A century of phytoplankton decline suggests that ocean ecosystems are in peril", Nature, 28. Juli 2010, doi:10.1038/news.2010.379
http://www.nature.com/news/2010/100728/full/news.2010.379.html

30. September 2011