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LAIRE/189: Kann Fracking Erdbeben auslösen? Ohio schließt Bohrloch (SB)


Das Verpressen von Fracking-Abwasser im Untergrund hat möglicherweise Erdbeben ausgelöst


In den USA hat Fracking innerhalb weniger Jahre einen gewaltigen Boom erfahren, der trotz des einen oder andere Rückschlags ungebrochen anhält. Jetzt richten die Konzerne ihr Interesse verstärkt auf Lagerstätten in anderen Ländern, beispielsweise Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Polen, Südafrika. Nicht überall kommt das gut an. Frankreich hat Fracking verboten, die deutsche Regierung hat sich noch kein abschließendes Urteil gebildet.

Eine umstrittene Frage im Zusammenhang mit der Förderung von unkonventionellem Erdgas durch das Fracking genannte Verfahren betrifft seismische Aktivitäten. Kann das Verpressen eines Gemischs aus Wasser, Sand und Chemikalien in zerklüftetes, erdgasführendes Gestein Erdbeben auslösen? Die Website Christian Science Monitor hat die Frage scheinbar klar beantwortet, indem sie diese Woche Montag titelte: "How fracking caused an Ohio earthquake" (Wie Fracking ein Ohio-Erdbeben ausgelöst hat). Die Überschrift wurde allerdings kurz darauf in "How fracking might have led to an Ohio earthquake" (Wie Fracking ein Ohio-Erdbeben ausgelöst haben könnte) geändert. [1] Zugleich wurde der Bericht mit der editorischen Anmerkung versehen, daß die zweite Version genauer die potentielle Verbindung zwischen dem Ohio-Erdbeben und fracking-bedingten Aktivitäten in der Region wiedergibt.

In den beiden Überschriftversionen zeigt sich die grundlegende Schwierigkeit der Beweisführung. Selbst eine relative räumliche und zeitliche Nähe von Fracking-Aktivitäten und seismischen Ereignissen beweist nicht ihren kausalen Zusammenhang, sofern andere Möglichkeiten, weswegen Erdbeben entstehen, nicht ausgeschlossen werden können. Ungeachtet dessen haben die Behörden gute Gründe, das Bohrloch zu schließen.

Am 31. Dezember war in der Stadt Youngstown im US-Bundesstaat Ohio ein Erdbeben der Stärke 4,0 aufgezeichnet worden. Das Beben wurde noch in weit entfernten Orten wie Buffalo und Toronto registriert. Anwohner berichteten, sie hätten einen lauten Knall gehört, bevor die Erde zitterte und Gegenstände von den Tischen und aus den Regalen fielen. [2] Bislang fanden in dieser Region keinerlei seismische Aktivitäten statt - die Aufzeichnungen gehen immerhin bis ins Jahr 1980 zurück -, doch ab März 2011 wurden bereits elf kleinere Beben verzeichnet. Die Epizentren gruppieren sich um ein Injektionsbohrloch des Unternehmens Northstar Disposal Services LLC, in das größere Mengen gebrauchtes Fracking-Abwasser (Flowback) eingebracht wurden. Seit Sommer 2010 hatte Northstar in dieser Region nach Gas gebohrt, seit Dezember 2010 auch Abwasser in 3000 Metern Tiefe in den Untergrund gepreßt. Die Behörden Ohios hatten im vergangenen Jahr in Folge der Erdbebenserie ein Verbot neuer Bohrungen im Umkreis von fünf Meilen um das Bohrloch herum, der im Verdacht steht, die Erdbeben ausgelöst zu haben, verhängt. Am 24. Dezember wurde das Bohrloch selbst geschlossen.

Es gilt in der Fachwelt als gesichert, daß Fracking kleinere, nicht oder kaum zu spürende Beben auslösen kann. Stellvertretend für andere sei hier auf die Einschätzung des Wissenschaftlers Manfred Joswig vom Institut für Geophysik der Universität Stuttgart verwiesen, der im November vergangenen Jahres bei einem vom Energiekonzern Exxon Mobil organisierten Fachgespräch [3] behauptete, daß Fracking kein Erdbeben auslösen kann und daß selbst eine Beeinflussung eher unwahrscheinlich sei. In dieser Einschätzung drückt sich allerdings noch immer genügend Unsicherheit aus, als daß die Möglichkeit seismischer Vorfälle durch Fracking gänzlich ausgeschlossen würde.

Wenn allerdings die Kräfte und Drücke, mit denen beim Fracking das zerklüftete Gestein in mehreren tausend Metern Tiefe durch das Einpressen einer Flüssigkeit lokal aufgebrochen und geweitet wird, damit das Gas zusammenströmen kann, so stark wären, daß tatsächlich Erdbeben entstehen, stellt sich die Frage, warum Unternehmen wie Exxon pro Quadratkilometer mehrere Bohrungen anlegen müssen, damit genügend Gas zusammenströmt. Das läßt zunächst einmal vermuten, daß die Druckwirkung nicht über den kleinräumigen Bereich hinausgeht. Man kann davon ausgehen, daß die Gasunternehmen aus Kostengründen so wenige Bohrungen wie nötig ausbringen, um an das unkonventionelle Erdgas heranzukommen.

Im Unterschied zu konventionellem Gas, das in großen Hohlräumen im Innern der Erde vorliegt und dessen Förderung zumindest mittlere Beben auslösen kann, falls die entstehenden Hohlräume nicht verfüllt werden, zeichnet sich unkonventionelles Gas dadurch aus, daß es beispielsweise im Schiefergestein zwischen den vielen Schichten lagert. Diese Form der Gasförderung geht mit keinen nennenswerten Volumenverlusten des Untergrunds einher.

Dennoch, gänzlich unbegründet ist die Sorge, daß durch Fracking-Aktivitäten Erdbeben ausgelöst werden können, nicht. Warum sonst sollten der Seismologe Arthur McGarr und seine Kollegen vom Geologischen Dienst der USA eine Methode zur Bestimmung der Erdbebengefahr entwickeln, indem sie die Injektionspläne eines Unternehmens vor dem Hintergrund der geologischen und tektonischen Verhältnisse prüfen? [1]

Das besagte Beben von Ohio dient ihnen als Gelegenheit, ihre Kriterien zu überarbeiten. Zu einem ähnlichen Fall kam es vergangenen Jahr im US-Bundesstaat Arkansas. Im Juli 2011 hat die Arkansas Oil and Gas Commission ein Verbot neuer Bohrungen, in die ebenfalls Flowback aus Fracking-Aktivitäten gepumpt werden sollten, oberhalb eines Erdgasfelds bei dem Städtchen Guy, nördlich von Little Rock, ausgesprochen. Auch das wurde mit zunehmenden seismischen Aktivitäten begründet. Dort waren seit dem 20. September 2010 487 Erdbeben registriert worden. [4] Erdbeben sind in dieser Region zwar keine Seltenheit, aber die Häufigkeit des Auftretens war schon ungewöhnlich. So seien zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr lediglich 39 Beben für den gesamten Bundesstaat aufgezeichnet worden, sagte Scott Ausbrooks, Supervisor für Georisiken beim Geologischen Dienst der USA. Allerdings kam es um das Jahr 1982 herum rund 25 Kilometer südlich von Guy innerhalb eines Jahres zu 15.000 Erdbeben. Dieses seismische Großereignis ist in der Fachwelt als Enola-Schwarm bekannt.

Das stärkste und am besten dokumentierte Beben als Folge von Fluidinjektionen erfolgte 1967 mit einer Stärke von 5,5 auf dem Gelände der Chemiewaffenfabrik Rocky Mountain Arsenal nahe der Stadt Denver im US-Bundesstaat Colorado.

McGarr und Kollegen haben sieben Ereignisse seit den 1960er Jahren in den USA und Europa, bei denen Flüssigkeiten in den Untergrund gedrückt wurden und mutmaßlich Erdbeben von einer Stärke bis zu 5,0 erzeugt haben, untersucht. Dabei haben die Forscher einen Zusammenhang zwischen der Menge an injizierter Flüssigkeit und der Erdbebenstärke festgestellt. Bei jeder Verdopplung des Flüssigkeitsvolumens wächst somit der Erdbebenausschlag um den Faktor 0,4.

Alles in allem hat man im Bereich der unkonventionellen Erdgasförderung noch relativ wenig Erfahrungen mit Erdbeben gesammelt. Die Experten ziehen deshalb Erkenntnisse aus dem Bergbau, der Förderung von konventionellem Erdgas sowie der Geothermie zurate, um die Problematik treffsicherer erfassen zu können.

Als Faustregel gilt: Wo bereits tektonische Spannungen herrschen, können künstliche Veränderungen der Druckverhältnisse im Untergrund ein Trigger - Auslöser - für größere Ausgleichsbewegungen des Gesteins sein. Die Gefahr, daß das Fracking Erdbeben auslöst, ist anscheinend geringer als die Gefahr durch das Verbringen von Abwasser aus dem Fracking im Untergrund. Wenn also sogenannte Experten im öffentlichen Diskurs über Für und Wider Fracking behaupten, daß es keine Erdbeben auslöst, dann wäre es zumindest der wissenschaftlichen Seriosität geschuldet, wenn dabei erwähnt würde, daß das Verbringen von Flowback im Rahmen von Fracking-Aktivitäten im begründeten Verdacht steht, unter bestimmten tektonischen Bedingungen Erdbeben auszulösen. Sollten jene Experten es unterlassen, auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, besteht der Verdacht, daß sie weniger an der Klärung von Sachfragen interessiert sind als daran, eine industriefreundliche Meinung durchzusetzen.

Der wachsende Widerstand in der Bevölkerung, teils auch unter Kommunalpolitikern in den Bundesländern Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, in denen Gasunternehmen wie Exxon gern in die Förderung einsteigen würden, sollten die vermuteten größeren Gasmengen bestätigt werden, gegen das Fracking geht auf die Sorge zurück, daß hier wieder einmal Politik und Wirtschaft zusammen kungeln und das Interesse der Menschen an einer unversehrten Landschaft, schadstofffreiem Trinkwasser und klimafreundlichen Energieträgern dem Profitstreben von Unternehmen geopfert werden soll.

Wer allerdings Nein zum Fracking in Deutschland sagt, gleichzeitig aber Erdgas beispielsweise aus Sibirien nutzt, sollte sich fragen, ob er lediglich seinen eigenen Vorgarten sauberhalten und den Blick vor der Externalisierung der riesigen Umweltverschmutzungen aufgrund des eigenen Konsums verschließen will. Erdgas ist indirekt in vielen Produkten enthalten, der Verbrauch beschränkt sich nicht auf den Betrieb einer Gasheizung.



Anmerkungen:

[1] "How fracking might have led to an Ohio earthquake", Christian Science Monitor, 2. Januar 2012
http://www.csmonitor.com/Science/2012/0102/How-fracking-might-have-led-to-an-Ohio-earthquake

[2] "Fracking wastewater might have caused Ohio quake", Globe and Mail/The Associated Press 31. Dezember 2011
http://www.theglobeandmail.com/news/world/fracking-wastewater-might-have-caused-ohio-quake/article2288282/

[3] "Seismische Ereignisse / Erdbeben und Fracking - Schlussfolgerungen aus dem Fachgespräch am 22.11.2011. Gibt es Erdbeben auch in Deutschland?", Manfred Joswig, aus dem Netz abgerufen am 4. Januar 2012
http://dialog-erdgasundfrac.de/sites/dialog-erdgasundfrac.de/files/FrackingDialog-Seismische-Ergebnisse-Erdbeben-und-Fracking-111209_Praeseantation_Joswig.pdf

[4] "Earthquake 'swarm' rattles Arkansas town and its residents", CNN, 13. Dezember 2010
http://articles.cnn.com/2010-12-13/us/arkansas.earthquakes_1_earthquake-swarm-new-madrid-arkansas-town/2?_s=PM:US

4. Januar 2012