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LAIRE/194: Biospritpflanzen nur teilweise klimaschädlich - zielführende Studie der EU-Kommission (SB)


Zuckerrohr und Zuckerrüben top - Palmöl, Raps und Soja flop

Noch unveröffentlichte EU-Studie zu indirekten Folgen der Landnutzung könnte in gute und schlechte Energiepflanzen unterscheiden


Welch tiefsinnige Entdeckung der EU-Kommission nach vielen Jahren, in denen Umweltschützer eben dies gepredigt haben: Biosprit ist manchmal klimaschädlicher als Kraftstoff aus dem fossilen Energieträger Erdöl. Die Brüsseler Technokraten haben anscheinend erst jetzt bemerkt, daß die Herstellung von Biosprit indirekte Folgen haben kann. Selbst wenn für den Anbau von Energiepflanzen beispielsweise kein Regenwald gerodet, sondern diese auf bereits vorhandenen landwirtschaftlichen Flächen produziert werden, kann es sehr wohl vorkommen, daß deswegen andernorts Regenwald abgeholzt werden muß, da die Bewohner, wer hätte das gedacht, Flächen für ihre Nahrungsproduktion benötigen. Diese indirekten Folgen der Biospritherstellung, so berichtet die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" [1], seien nun erstmals von der EU-Kommission in einer internen Studie zur Klimaschädlichkeit dieses Treibstoffs berücksichtigt worden. Die Ergebnisse würden in den nächsten Wochen veröffentlicht.

Eine negative Ökobilanz gegenüber Kraftstoffen aus Erdöl, bei denen im Durchschnitt 87,5 Gramm Kohlendioxid je Megajoule emittiert werden, weisen laut der FAZ Palmöl (105 Gramm), Soja (103 Gramm) und Raps (95 Gramm) auf. Wohingegen Zuckerrüben (34 Gramm) und Zuckerrohr (36 Gramm) positiver abschneiden.

Bislang wurde noch nicht bekanntgegeben, welche Konsequenzen die EU-Kommission aus der Studie zieht. Es läßt sich allerdings leicht prognostizieren, daß sie keine prinzipielle Entscheidung gegen Biosprit treffen, sondern wahrscheinlich einen Modus erarbeiten wird, bei dem unterm Strich eine gegenüber fossilen Treibstoffen theoretisch positive Ökobilanz herauskommen wird. Keine andere Funktion hat die Differenzierung der "Energiepflanzen". Somit würde sich voraussichtlich nicht viel ändern, sieht man einmal davon ab, daß insbesondere deutsche Biospritunternehmen, die einen hohen Anteil von Raps verarbeiten, mit negativen Folgen für ihr Geschäft rechnen müssen.

Wenn man einmal annimmt, was die Spatzen nicht mal mehr von den Dächern pfeifen, da sie sich über dieses Thema bereits ihre Schnäbel wund getschirpt haben, nämlich daß Erdöl weltweit knapp wird, eröffnet sich die wohl einmalige Chance, nicht einfach nur eine Energiewende von fossilen zu agrarischen Treibstoffen einzuleiten, sondern die Produktionsweisen und -verhältnisse grundsätzlich in Frage zu stellen. Denn weder haben der technologische Fortschritt im allgemeinen noch beispielsweise die höhere Mobilität dank des motorisierten Individualverkehrs im besonderen den Menschen davon befreit, sein Leben weitgehend der Lohnarbeit überantworten zu müssen - angefangen vom administrativen Zwang, die Schule zu besuchen und sich fürs Berufsleben trimmen zu lassen, über den jahrzehntelangen Verkauf der eigenen Arbeitskraft an irgendwelche Profiteure - inklusive der dazugehörigen Regenerationsphasen - bis zum verrenteten Ruhestand, in dem nicht selten die Wunden aus der produktiven Zeit geleckt und notdürftig schwere körperliche Schäden kompensiert werden müssen, bis daß der finale Ruhestand eintritt.

Aber die Vorstellung, daß die zunehmende Automatisierung und Entfaltung der Produktivkräfte mit einer Befreiung des Menschen einherginge, so daß Platz geschaffen worden wäre, sich anderen Problemen als denen der Überlebensbewältigung in der Gesellschaft widmen zu können, hat sich als weit verbreiteter Irrtum herausgestellt. Heute machen sich die meisten Menschen nicht einmal mehr klar, daß die Technologie die Überlebensbewältigung erleichtern sollte und nicht dazu da war, immer tiefere Abhängigkeiten zu schaffen, damit die Menschen dann für deren Aufrechterhaltung Lohnarbeit verrichten.

Unbestreitbar ist es überaus komfortabel, mit dem eigenen Auto samt der Familie in den Urlaub fahren zu können. Es soll hier nicht darum gehen, das Auto ersatzlos zu streichen und den Urlaub gleich noch dazu. Die viel zu selten gestellte Frage lautet jedoch, unter welchen Voraussetzungen Auto und Urlaub gebraucht werden und dem einzelnen unverzichtbar erscheinen. Warum verbringt er einen nicht unerheblichen Teil seines Lebenszeit damit, für einen motorisierten Untersatz zu arbeiten? Und wozu braucht er Urlaub, wenn nicht, um sich für die Arbeit zu regenerieren? Ein Blick auf die Wortherkunft von "Urlaub" liefert eine leise Ahnung, worum es dabei geht. Das Wort kommt von "erlaubt" bzw. "erlauben" und setzt eine Zwangslage voraus: Dem Lohnarbeiter wird gestattet, sich von seiner Tätigkeit zu erholen. Urlaub ist somit eine Gunst derjenigen, die die gesellschaftliche Macht innehaben, anderen sagen zu können, wann sie Urlaub machen dürfen und wann nicht. Für dieses Abhängigkeitsverhältnis ist Herrschaft die geeignetste Bezeichnung. Man kann als gesichert annehmen, daß von den herrschenden Interessen der Urlaub zwecks Leistungssteigerung und damit besseren Ausbeutbarkeit des "Urlaubnehmers" gewährt wird.

Mit der Biospritpolitik der EU-Kommission hat das insofern zu tun, als daß über Berechnungen wie die, daß bestimmte Energiepflanzen klimaschädlich sind, andere dagegen nicht, die vorherrschende, auf Lohnarbeit beruhende und diese fördernde Verwertungsordnung legitimiert werden soll. Sie muß am Laufen gehalten werden, wenn nicht mit fossilen, dann mit Energieträgern vom Acker.

In den Voraussetzungen der Studie sind bereits Annahmen enthalten, die nur ganz bestimmte Ergebnisse zulassen, was umgekehrt bedeutet, daß andere ausgeschlossen werden. Die Studie ist somit als von vornherein zielführend zu bezeichnen. Beispielsweise stellt die EU-Kommission nicht die Frage, wie rund eine Milliarde hungernde Menschen ausreichend ernährt werden können, und sie bekennt sich nicht dazu, daß erst nach der Beantwortung dieser Frage das Problem des Treibstoffmangels in Angriff genommen werden sollte. Welche Lehren auch immer die EU-Kommission aus der noch nicht veröffentlichen Studie ziehen und welche ethischen Standards sie womöglich beschließen wird: absehbar werde diese nur vorgeschützt, aber gewiß nicht so konsequent verfolgt, daß keinerlei Lebensmittel als Treibstoff verbrannt und keinerlei landwirtschaftliche Fläche zur Energiepflanzenproduktion freigegeben werden, bevor nicht sichergestellt ist, daß alle Menschen zu essen haben.

Ein weiterer Aspekt: Um die allgemeine Erderwärmung aufgrund der Treibhausgasemissionen noch aufhalten zu können, wäre es möglicherweise zwingend erforderlich, den Energieverbrauch drastisch zu senken. Das könnte bedeuten, daß selbst durch die Verbrennung von Biosprit aus Zuckerrohr zu viele Kohlendioxidemissionen freigesetzt werden und daß die Nullsummenvorstellung, wonach die Energiepflanzen durch ihr Wachstum der Erdatmosphäre zuvor das Kohlendioxid entzogen haben, was durch die Verbrennung freigesetzt wird, vielleicht rechnerisch zutrifft, aber dennoch konzeptionell nicht funktioniert, weil die bereits laufende Entwicklung mit dem Entfachen von Myriaden Feuern, vom Laubsauger bis zum Stahlkocher, gestoppt werden muß.

Vielleicht kann die globale Klimaerwärmung nur gebremst und verhindert werden, wenn weltweit massiv aufgeforstet wird und gar keine Pflanzen mehr verbrannt werden. Das weiß man nicht genau. Aber in Anbetracht der jüngsten Prognosen der Klimawissenschaftler, denen zufolge die noch vor fünf bis zehn Jahren angenommenen Worst-case-Szenarien wahrscheinlich eintreten oder gar von der realen Entwicklung übertroffen werden, wirkt es da nicht ziemlich vermessen, der Erderwärmung ausgerechnet durch die fortgesetzte Verbrennung von "Energieträgern" entgegentreten zu wollen?



Anmerkungen:

[1] "Studie der EU-Kommission - 'Biokraftstoff schadet Klima'", Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. Februar 2012
http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/studie-der-eu-kommission-biokraftstoff-schadet-klima-11647158.html

13. Februar 2012