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LAIRE/204: Geoengineering - eine globale Fessel ungeheuren Ausmaßes (SB)


Politik der kreativen Zerstörung

Fatale Geschäfte mit der Klimakatastrophe



Wenn die internationale Klimaschutzpolitik versagt und keine entschiedenen Maßnahmen gegen die globale Erwärmung getroffen werden, wollen bzw. müssen wir uns auf Plan B vorbereiten. So lautet zusammengefaßt die Einstellung vieler Wissenschaftler, die sich mit Fragen der Klimaveränderung und wie der Mensch damit umgehen kann, befassen. In der kritischen Umweltbewegung hingegen wird versucht, bereits die Wissensbildung zum Geoengineering zu verhindern und die Forscher dazu zu bewegen, keine Experimente beispielsweise zur Eisendüngung der Meere oder künstlichen Wolkenbildung durchzuführen.

So wurde im United Kingdom (UK) ein Grundlagenversuch des Projekts SPICE (Stratospheric Particle Injection for Climate Engineering), der im Oktober 2011 stattfinden sollte, aufgrund von öffentlichen Protesten verhindert. Die Wissenschaftler hatten mit Hilfe eines Gasballons an einem Seil das Verhalten von absichtlich erzeugten Aerosolen in rund ein Kilometer Höhe erforschen wollen. Hintergrund des Versuchs sind Überlegungen, daß künstliche Injektionen der Erdatmosphäre mit Schwefelteilchen, die die solare Strahlung reflektieren, noch bevor diese auf der Erde eintrifft, die Erwärmung des Planeten aufhalten können. Der Versuch sollte sechs Monate darauf erfolgen, wurde dann aber aufgrund eines Interessenkonflikts einiger beteiligter Wissenschaftler abgeblasen.

Man sollte sich nichts vormachen, damit ist SPICE keineswegs generell gestorben. An der Idee dieser Form des Geoengineerings wird weiter gearbeitet - sowohl konkret wie in UK oder unlängst im US-Bundesstaat New Mexico [1], als auch eher theoretisch, indem schlicht und ergreifend das breite Feld der wissenschaftlichen Voraussetzungen dieser und weiterer Geoengineering-Versuche "forschend" bearbeitet wird.

Die Abwehr des Sonnenlichts, mal angedacht in Form Myriaden kleinster spiegelnder Schwefelteilchen, mal durch größere Spiegelflächen, die im erdnahen Orbit stationiert werden, wird dem großen Gebiet des Solar Radiation Management zugeordnet. Eine zweite Säule des Geoengineerings besteht aus Forschungen zur Beeinflussung der Erdatmosphäre durch die Reduzierung von Treibhausgasen. Beide Säulen beruhen ihrerseits auf dem gleichen Fundament, nämlich dem der Erwartung, daß ausgerechnet mit technologischen Mitteln die verheerenden Folgen einer technologischen Entwicklung wieder rückgängig gemacht werden können - die Rede ist von der großmaßstäblichen Verbrennung fossiler Energieträger.

Strenggenommen hat bereits der Homo erectus Geoengineering betrieben, als er begann, das Feuer zu hüten, nur war sein Tun damals nicht global relevant. Vielleicht waren die Folgen des Holzfeuers für unsere Vorfahren persönlich sehr wohl schädlich, wenn sie sich ihre Höhlen aufs übelste zuräucherten, aber das Erdklima blieb davon nahezu unberührt.

Mit Beginn der Industrialisierung änderte sich das. Die Emissionen aus zahllosen Feuerstellen, in denen der sich selbst in aller Unbescheidenheit Homo sapiens nennende Mensch Kohle, Erdgas oder Erdöl verbrannt hat, veränderten die Erdatmosphäre maßgeblich. Immer mehr Funktionen des Lebens und Überlebens wurden und werden elektrifiziert und machen zusätzliche Brandherde erforderlich. Der Anteil des als Treibhausgas wirkenden Kohlendioxids (CO2), steigt und hat mit 34 Milliarden Tonnen im vergangenen Jahr den bisherigen Höchststand erreicht [2].

Die internationalen Klimaschutzverhandlungen können als weitgehend gescheitert angesehen werden. Die Staatengemeinschaft hat sich bislang auf keine nennenswerten Maßnahmen im Kampf gegen die Erderwärmung einigen können, sondern das Problem auf die lange Bank geschoben. Ende dieses Jahres läuft das UN-Klimaschutzprotokoll von Kyoto aus. Die ursprünglichen Pläne sahen vor, rechtzeitig ein Nachfolgeabkommen zu beschließen. Die Politiker haben sich verweigert. Sie konnten sich nicht einigen, weil die Frage des globalen Klimaschutzes auf engste mit der der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Vorherrschaft verbunden ist. Verständlicherweise will dabei niemand nachgeben, vor allem nicht die industriellen Führungsstaaten und auch nicht die aufstrebenden Schwellenländer. Es geht um Vorteile. Erst im Jahr 2020 soll ein Kyoto-Nachfolgeprogramm verabschiedet werden. Den kleinen Inselstaaten, die vom Anstieg des Meeresspiegels bedroht sind und von deren Stimmen man schon jetzt, kurz bevor die Eilande überspült werden, nichts hört, bleibt nur das Nachsehen.

Wie die politischen Verhältnisse in acht Jahren gestaltet sind, vermag wohl niemand zuverlässig vorauszusagen. Im Augenblick befindet sich vieles im extremen Umbruch: Europäische Staaten stehen vor dem wirtschaftlichen Bankrott und politischen Kollaps; die USA verlegen ihren militärischen Schwerpunkt in die Pazifikregion (was empfahl noch ein gewisser Paul Wolfowitz, als er noch nicht Vizeverteidigungsminister der USA und Architekt des Irakkriegs unter George W. Bush jun. war? China angreifen, bevor es zu stark wird ...); wachsende politische Spannungen im südchinesischen Meer unter Beteiligung mehrere asiatischer Länder; weltweit starker Anstieg der Getreidepreise (wie 2007/2008, was in mehreren Dutzend Staaten zu Hungeraufständen führte); rund eine Milliarde Menschen ohne ausreichende Nahrung.

Was das mit dem "Plan B" zu tun hat, das Erdklima mittels Geoengineering beeinflussen zu wollen? Alles. Plan B wandelt sich langsam zu Plan A. Zwar hat die Bundesregierung dem Geoengineering eine relativ deutliche Absage erteilt, wie Spiegel Online berichtete [3], aber erstens weiß man spätestens seit dem Abschied vom Atomausstieg, wie unzuverlässig Vereinbarungen sein können, und zweitens repräsentiert die deutsche Einstellung nicht die der übrigen Welt.

Zumal erst kürzlich von Experimenten zur Eisendüngung im antarktischen Randmeer berichtet wird, die schon vor einigen Jahren von einem deutschen Forschungsinstitut durchgeführt wurden. Demnach soll das Eisen tatsächlich die Algen zum Wachstum angeregt haben und ein nennenswerter Teil der abgestorbenen Algen mitsamt dem strukturell eingebundenen CO2 in Richtung Meeresboden gesunken sein. Forschungsleiter Prof. Victor Smetacek vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung sagt auf der institutseigenen Webseite: "Solche kontrollierten Eisendüngungsexperimente im Ozean ermöglichen es uns, Hypothesen zu testen und Prozesse zu quantifizieren, welche nicht im Labor untersucht werden können. Diese Ergebnisse verbessern unser Verständnis der für den Klimawandel wichtigen Prozesse im Meer." [4]

Und die britische Zeitung "The Guardian" zitiert Smetacek mit den Worten: "Die Zeit ist gekommen, um zu differenzieren: Einige Geoengineering-Techniken sind gefährlicher als andere. Nichts zu tun ist wahrscheinlich die schlimmste Option." [5] Damit ist Eisendüngung, die als untauglich für Geoengineering-Projekte angesehen wurde [6], wieder "im Spiel". Dieses Beispiel zeigt die Wichtigkeit einer möglichst frühzeitigen Intervention, wollte man verhindern, daß eines Tages aufgrund von Schwefelinjektionen der Erdatmosphäre die Niederschlagsverteilung in China verändert und die Ernte geschädigt wird, was wiederum Hungeraufstände und ein Zerfall der Staatlichkeit bewirken könnte. Um nur beispielhaft eine potentielle Auswirkung des Geoengineerings von vielen anzudeuten!

In der Regel vertreten die Wissenschaftler den Standpunkt, daß sie ja nur forschen und daß Entscheidungen von der Gesellschaft getroffen werden. Damit machen sie es sich aber selbst recht einfach, und für eine Anti-Geoengineering-Bewegung sind solche Erklärungen sowieso vollkommen irrelevant. Denn welche Konsequenzen sollte sie daraus ziehen? Etwa die Grundlagenexperimente zulassen, so daß aus ihnen eines Tages größere Feldversuche hervorgehen und schließlich kommerzielle Anwendungen?

Allein die Reserve, daß ein Plan B existiert, mildert den Erfolgsdruck auf die Politiker bei Klimaverhandlungen. Damit soll nicht behauptet werden, daß sie ansonsten zu einvernehmlichen Lösungen gelangten. Das hat die Rio+20-Konferenz zur Green Economy mal wieder eindrücklich vor Augen geführt. Trotz der global multiplen Krisen (mangelnde Verfügbarkeit von Energie, Trinkwasser, Nahrung für Milliarden Menschen), wurden im wesentlichen nur Lippenbekenntnisse abgegeben.

Geoengineering erweist sich als ein Geschäft mit der Naturkatastrophe, die eigentlich eine menschliche Katastrophe ist. Die hat wohl nicht erst zu dem Zeitpunkt begonnen, an dem die Weltbevölkerung rasant stieg und immer mehr fossile Energieträger verbrannt wurden, sondern möglicherweise schon an der Stelle, an der die Menschen anfingen, sich technischer Hilfsmittel zu bedienen, beispielsweise um es warm zu haben. Damit wurden die Weichen in einen Komfort (allerdings für den kleineren Teil der Menschheit!) gestellt, der in eine existentielle Abhängigkeit mündete. Gelänge es, das Klima über das Ausbringen von Schwefelteilchen in der Atmosphäre wirksam zu beeinflussen, dürfte man die Maßnahmen nicht mehr aussetzen - was für ein Geschäftsmodell! Mit dem Geoengineering legen sich die Menschen eine Fessel an, gegen die jene der fossilen Energiewirtschaft geradezu harmlos ist.


Fußnoten:

[1] "US geoengineers to spray sun-reflecting chemicals from balloon", The Guardian, 17. Juli 2012
http://www.guardian.co.uk/environment/2012/jul/17/us-geoengineers-spray-sun-balloon

[2] "34 Milliarden Tonnen", Klimaretter.info, 22. Juli 2012
http://www.klimaretter.info/forschung/hintergrund/11618

[3] "Absage ans Geo-Engineering. Regierung lehnt Klima-Operationen ab", Spiegel Online, 17. Juli 2012
http://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/geo-engineering-regierung-lehnt-klima-operationen-ab-a-844633.html

[4] "Aktuelle Studie in Fachzeitschrift Nature: Forscher veröffentlichen Ergebnisse aus Eisendüngungsexperiment", awi, 18. Juli 2012
http://www.awi.de/de/aktuelles_und_presse/pressemitteilungen/detail/item/current_study_in_the_scientific_journal_nature_researchers_publish_results_of_an_iron_fertilisation/

[5] "Dumping iron at sea can bury carbon for centuries, study shows", The Guardian, 18. Juli 2012
http://www.guardian.co.uk/environment/2012/jul/18/iron-sea-carbon?intcmp=239

[6] "Eisendüngung hilft nicht gegen Treibhausgase", Zeit Online, 23. März 2009
http://www.zeit.de/online/2009/13/lohafex-beendet

23. Juli 2012