Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → MEINUNGEN


LAIRE/251: CCS - Rettungsanker der Kohlewirtschaft (SB)


Brückenverlängerung


Ein immer wieder gern vorgebrachtes Argument der Befürworter von CCS (Carbon Capture and Storage), also der Abscheidung und Lagerung von Kohlenstoffdioxid (CO2), lautet, daß die Methode der unterirdischen CO2-Speicherung sicher ist. Denn wäre sie das nicht, gäbe es auch keine Millionen Jahre alten Erdgasfelder.

So beruhigend für manche die Vorstellung auch sein mag, daß man den Abgasen der Industrie das klimawirksame Gas Kohlenstoffdioxid (CO2) entziehen und es in flüssiger Form "endlagern" kann, um dadurch die globale Erwärmung wirksam zu unterbinden, hat die Sache doch mehr als nur einen Haken. So ist dem obigen Argument entgegenzuhalten, daß wir heute auch nur jene Gasfelder kennen, die sich im Laufe der Millionen Jahre nicht entleert haben - von all den anderen weiß man naturgemäß nichts. Zudem sind auch natürliche Gasfelder nicht unbedingt dicht - sie würden unter Umständen CO2 emittieren, sollte aus Gründen der Klimaregulation künftig aus den Abgasen von Kraftwerken und Industrieanlagen Kohlendioxid abgeschieden und verflüssigt werden, um es in alten Gasfeldern beispielsweise unter dem Meeresboden zu lagern.

Vor einigen Monaten ist für die CCS-Befürworter ein Worst-case-Szenario eingetreten. Denn am 6. Januar 2016 hat der Gouverneur von Kalifornien, Edmund G. Brown Jr., den Notstand ausgerufen, weil aus einem unterirdischen Erdgasspeicher in Porter Ranch, Aliso County, nördlich von Los Angeles, seit dem 23. Oktober 2015 große Mengen Methan entwichen sind. [1]

Methan ist ein rund 25mal wirksameres Treibhausgas als CO2, wenngleich es eine geringere Langlebigkeit besitzt. Das aus dem Speicher ausgetretene Methan entspricht dem CO2-Ausstoß von sieben Millionen Autos auf der Straße über einen Zeitraum der nächsten 20 Jahre. Einer anderen Rechnung zufolge gleicht die ausgetretene Menge - anfangs 50 bis 60 Tonnen die Stunde, später mit nachlassender Tendenz - den Jahresemissionen von 330.000 Autos. Wahrscheinlich aufgrund der Beimengungen von Chemikalien ist es zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Einwohner gekommen, die evakuiert wurden.

Noch sehr viel mehr Gasemissionen als aufgrund dieses Unfalls entstehen durch den Normalbetrieb von Förderung, Transport und Aufbereitung von Erdgas sowie durch stillgelegte Erdöl- und Erdgasbohrlöcher. So gibt es im US-Bundesstaat Pennsylvania bis zu 500.000 alte Öl- und Gasanlagen, aus denen jährlich schätzungsweise 30.000 bis 50.000 Tonnen Methan entweichen. Nochmals hochgerechnet auf die gesamten USA wäre bei drei Millionen Anlagen mit "normalen" Methanemissionen von 300.000 Tonnen pro Jahr auszugehen. [2]

Sicherlich, CO2 unmittelbar nach seiner Entstehung einzufangen wäre zunächst einmal besser, als das CO2 in die Atmosphäre zu blasen, um es dann womöglich über die Schaffung sogenannter Senken (Aufforstung von Wäldern, Rekultivierung von Mooren, Eisendüngung der Ozeane und ähnliches) wieder zu binden. Kraftwerke haben ja auch Schwefelfilter, warum also nicht auch Filter für CO2 einsetzen ...

Noch besser wäre es jedoch zweifelsohne, CO2 gar nicht erst zu produzieren. Die Möglichkeit, CCS einsetzen zu können, und die eindeutigen Signale aus der Politik, daß dies erwünscht ist - auch die Bundesregierung fördert die Erforschung der CO2-Verpressung im Untergrund -, tragen dazu bei, daß Kohlekraftwerke weiterbetrieben, Dörfer vernichtet, uralte Wälder (bspw. der Hambacher Forst) abgeholzt und ganze Landschaften (bspw. in der Lausitz) "gehäutet" werden, um an die Braunkohle heranzukommen, die dann verbrannt wird. Für was? Um einen Konsumstil zu bedienen, für den immer mehr vermeintlich unverzichtbare Versorgungsleistungen und Funktionen nur noch mittels elektrischen Stroms sicherzustellen sind.

Die Kohleverstromung wird zwar als Brückentechnologie auf dem Weg zu 100 Prozent Versorgung mit sogenannten erneuerbaren Energien angesehen, doch wird durch die CCS-Technologie die Kohleverstromung legitimiert und perpetuiert. Ohne die Option, das CO2 einfangen zu können, würden Kohlekraftwerke viel früher abgeschaltet, zumal ihnen mit der globalen Divestment-Bewegung - eine Initiative, deren Protagonisten man nicht mögen muß, aber die mit dem Ziel angetreten ist, Investoren dazu zu bewegen, sich aus der Kohlewirtschaft zurückzuziehen - eine durchaus einflußreiche Gegnerschaft entstanden ist. Der norwegische Pensionsfonds, der Versicherungskonzern Allianz, diverse Universitäten und viele Institutionen mehr haben bereits ihren Rückzug aus der Kohlewirtschaft angekündigt.

Die Befürworter einer Modifikation von CCS, BECCS (Bio-energy with carbon capture and storage) genannt, hängen sich sogar ein besonders intensiv leuchtendes grünes Mäntelchen um. Sie sprechen von "negativen Emissionen" und wollen beispielsweise schnellwachsende Bäume heranziehen, so daß bei deren Wachstum der Erdatmosphäre Kohlenstoff entzogen und in Holz gebunden wird. Das würde dann zwecks Energiegewinnung verfeuert, wobei man das CO2 abfangen und einlagern könnte.

Das vernimmt sich zunächst wie eine Win-Win-Situation: Aus der Notwendigkeit des Klimaschutzes kann sogar noch Energie gewonnen werden. Doch erstens ist das Verfahren überhaupt nicht erprobt, und zweitens läßt sich jetzt schon sagen, daß die Produktion von Pflanzenmaterial für BECCS in Konkurrenz zum Anbau von Pflanzen für Nahrung, Viehfutter, Biosprit und andere Nutzungsformen steht. Zum Konflikt Tank versus Teller gesellte sich somit der Konflikt Klimaschutz versus Teller. BECCS ist ein Rettungsanker der Kohlewirtschaft und nicht des Klimaschutzes.


Fußnoten:

[1] https://www.gov.ca.gov/news.php?id=19264

[2] http://www.morgenpost.de/printarchiv/wissen/article135160701/Stillgelegte-Oel-und-Gasbohrloecher-verlieren-grosse-Mengen-Methan.html

12. Januar 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang