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LAIRE/268: Kritik am Weltklimarat - offener Brief aus der Zivilgesellschaft (SB)



Über 100 Nichtregierungsorganisationen üben Kritik an der Zusammenstellung einer Arbeitsgruppe, die der Weltklimarat (IPCC) eingerichtet hat, um Wege aufzuzeigen, wie die Weltgemeinschaft das sogenannte 1,5-Grad-Ziel einhalten kann. Im nächsten Jahr soll die Gruppe dazu ein Sondergutachten erstellen. Zwei Autoren seien für die fossile Wirtschaft tätig, monieren nun Organisationen wie BUND, Misereor und Heinrich-Böll-Stiftung in einem offenen Brief an den IPCC-Vorsitzenden Hoesung Lee. Die Beteiligung von fossilen Lobbyisten erfülle nicht die selbst auferlegten Kriterien des IPCC zu Interessenkonflikten, heißt es. [1]

Es ist nachvollziehbar, daß die Zivilgesellschaft dem Weltklimarat genau auf die Finger schaut und darauf achtet, wer dort welche Interessen vertritt. Denn es geht bei dem Sondergutachten um nicht weniger als um die Machbarkeit von umfangreichen Klimaschutzmaßnahmen, durch die die unmittelbaren Überlebensvoraussetzungen von vermutlich über einer Milliarde Menschen gesichert werden könnte. Würde hingegen der gegenwärtige Trend der Treibhausgasemissionen beibehalten, führte dies zu klimatischen und in der Folge dann krassen gesellschaftlichen Verwerfungen für eben jenen Teil der Menschheit.

Von daher mutet es schon merkwürdig an, daß der IPCC Vertreter zweier Erdölgesellschaften nominiert hat, die im erheblichen Umfang davon profitieren würden, wenn der fossilen Energiewirtschaft nicht der Hahn zugedreht würde. Das schmeckt sehr nach Interessenkonflikten. Umgekehrt monieren die NGOs, daß die Zivilgesellschaft in dem Gremium nicht vertreten ist. An dieser Stelle wäre allerdings zu fragen, ob eine Beteiligung überhaupt wünschenswert ist. Beteiligung bedeutet Teilhaberschaft, das beweisen andere institutionelle Gremien, in denen ebenfalls NGOs vertreten sind, beispielsweise die Atomendlagerkommission. Am Tisch der gesellschaftlichen Entscheidungsträger zu sitzen kann zufrieden und satt machen ...

Allerdings scheinen - vor dem Hintergrund, daß in den USA Klimawandelskeptiker das Zepter in die Hände bekommen haben - die Nerven der NGOs blank zu liegen, falls sie meinen, durch die Ernennung von zwei Leitautoren aus der fossilen Energiewirtschaft könnte die Arbeit des IPCC von Lobbyisten beeinflußt werden. Denn an dem in sechs Einzelkapitel unterteilten Gutachten arbeiten 86 "Leitautoren" bzw. ihnen übergeordnete "koordinierende Leitautoren" sowie "Review Experten". [2] Es wäre eine Armutszeugnis, wenn die 84 übrigen Autoren diesen zwei Personen - Dr. Haroon Kheshgi, Programmleiter für den globalen Klimawandel beim Erdölkonzern ExxonMobil, und Mustafa Babiker von Saudi Aramco - soviel Einfluß auf das Sondergutachten gestatteten, daß es am Ende die Handschrift der fossilen Energiewirtschaft trägt.

Schaut man sich genauer an, in welchen Arbeitsgruppen die beiden mutmaßlichen Lobbyisten eingesetzt werden, wird deutlich, warum die Wahl auf sie fiel. In dem offenen Brief wird berichtet, daß Kheshgi seit 1995 ein führender Vertreter des umstrittenen "Climate Geoengineering" ist, einschließlich der Strategien zur Kohlenstoffabscheidung und -lagerung (CCS - carbon capture and storage).

Der Exxon-Wissenschaftler arbeitet im Kapitel 2 "Mitigation pathways compatible with 1.5°C in the context of sustainable development". [3] Dabei geht es um Wege, wie der Klimawandel mit Blick auf das 1,5-Grad-Ziel im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung abgeschwächt werden kann. Seine Expertise prädestiniert ihn für den vierten Unterpunkt, "Technological, environmental, institutional and socio-economic opportunities and challenges related to 1.5°C pathways", bei dem es unter anderem um eine technologische Umsetzung der Abschwächung geht, wozu man auch die Methoden des Geoengineering bzw. Climate Engineerings zählen kann.

Laut der Website des American Institute of Chemical Engineers hat Kheshgi in den letzten drei Berichten des Weltklimarats sowie den IPCC-Sonderberichten zum CCS und Landnutzungsänderungen als Leitautor, beitragender Autor und überprüfender Editor mitgewirkt. [4] Selbstverständlich ist von ihm und seinem Kollegen Babiker, der seit 1998 für den IPCC in ähnlichen Funktionen tätig ist [5], keine Fundamentalopposition zum Standpunkt der Unternehmen zu erwarten, von denen sie ihren Lebensunterhalt beziehen.

Wichtiger aber noch als die Einberufung von zwei Erdöllobbyisten in eine IPCC-Arbeitsgruppe scheint zu sein, was die NGOs in ihrem offenen Brief nur angedeutet haben: Kheshgi ist Experte für Geoengineering und Exxon hält weltweit die meisten Patente auf Geoengineering-Techniken. Sollte der IPCC ihn aus diesem Grund ausgewählt haben, könnte man dies als prinzipiellen Standpunkt des Weltklimarats interpretieren, daß die Einhaltung der 1,5-Grad-Klima-Leitplanke wohl nicht mehr ohne CCS zu schaffen sei. Eine solche Ansicht wäre sicherlich folgenschwerer als die umstrittene Personalentscheidung, denn es würde bedeuten, daß jene beiden Personen ausgetauscht werden könnten, aber daß das für die Veröffentlichung im nächsten Jahr vorgesehene Sondergutachten auf die gleichen Empfehlungen hinausliefe.

Mit CCS würden sogenannte "negative Emissionen" geschaffen. Dazu besteht die Vorstellung, daß die 1,5- oder 2-Grad-Leitplanke im Laufe dieses Jahrhunderts durchaus gerissen werden dürfte, wenn es nur am Ende darauf hinausliefe, der Atmosphäre so viel Kohlenstoff aktiv entzogen, also "negative Emissionen" produziert zu haben, daß die Zielmarke wieder erreicht wird.

Diese Strategie hält der Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK), Prof. Dr. Hans-Joachim Schellnhuber, für "hochriskant". Im Interview mit dem Schattenblick sagte er: "Ich halte das aus zwei Gründen für eine hochriskante Strategie. Erstens, rein physikalisch betrachtet, könnten viele Prozesse irreversibel sein; man kann sie dann nicht mehr zurückdrehen. Wir haben in einer Forschungsarbeit, an der ich beteiligt war, gezeigt, daß man sogar die Ozeanversauerung, die ein Nebenprodukt der Erderwärmung ist, möglicherweise über Jahrtausende nicht mehr umkehren kann, selbst wenn wir den überschüssigen Kohlenstoff aus der Atmosphäre entfernen würden. Der zweite Grund ist vielleicht sogar noch gewichtiger: Damit hat man eine wunderbare Ausrede geschaffen, nichts zu tun und weiterzumachen wie bisher, in dem Vertrauen darauf, daß wir später sozusagen eine End-of-the-pipe-, in diesem Fall eine gigantische Gegenmaßnahme in Gang setzen. In den Jahren 2080, 2130, wann auch immer. Und das entläßt uns aus der Verantwortung, jetzt umzusteuern. Insofern habe ich den ganzen Geoengineering-Diskurs immer als extrem gefährlich angesehen." [6]

Schellnhuber plädiert für eine rasche Transformation der Gesellschaft, damit die Treibhausgasemissionen verringert werden, und erst wenn das gemacht werde, könne man den Vorgang mit Hilfe negativer Emissionen, beispielsweise durch "die Aufforstung degradierter Flächen", bei der "nachwachsende Wälder Kohlenstoff binden", unterstützen.

Andere Wissenschaftler sehen "negative Emissionen" als unverzichtbar an, damit gegen Ende des Jahrhunderts die 2-Grad-Leitplanke nicht nur in eine Richtung, sondern auch wieder zurück überschritten wird. Um aber unterhalb des 1,5-Grad-Werts zu bleiben, so die Vorstellung, wie sie auch im letzten IPCC-Bericht 2014 zum Ausdruck gebracht wurde, komme man an CCS nicht vorbei.

Diese Einschätzung gründet sich auf die Vorstellung einer gesellschaftlichen Transformation unter Beibehaltung vorherrschender Bedingungen. Die bevorzugten Produktionsweisen werden im wesentlichen bewahrt, schwarz (Kohle) durch grün (erneuerbare Energien) ersetzt. Ein typisches Beispiel für diesen Ansatz ist der geplante Austausch von Benzin- und Dieselkraftfahrzeugen durch Elektroautos. Untersuchungen zufolge ist deren Klimabilanz einige Jahre lang sogar schlechter als die der mit fossilen Energien angetriebenen Fahrzeuge, da diese weniger aufwendig in der Herstellung sind. Erst nach einigen Jahren kehrt sich das Verhältnis um. Jedoch muß man insbesondere bei Elektroautos in der nächsten Zeit mit einer engen Frequenz des "Repowerings" rechnen. Denn es werden immer leistungsfähigere Elektroautos auf den Markt geworfen, so daß bei Käuferinnen und Käufern die Neigung bestehen könnte, "alte" Elektroautos zu ersetzen, bevor sie überhaupt ihre Klimavorteile ausspielen können.

Das Problem besteht also nicht allein in der Ernennung zweier Lobbyisten der fossilen Energiewirtschaft als Autoren für einen Sonderbericht des Weltklimarats, sondern in der auf unhinterfragten Voraussetzungen beruhenden Einschätzung, daß Geoengineering-Maßnahmen unverzichtbar sind, um die im Klimaschutzabkommen von Paris beschlossenen Vereinbarungen zu erfüllen.


Fußnoten:

[1] http://klima-der-gerechtigkeit.de/2017/04/28/zivilgesellschaft-kritisiert-auswahl-von-oelindustrievertretern-als-autoren-fuer-ipcc-sonderbericht-zu-15c/

[2] http://www.ipcc.ch/report/sr15/pdf/SR1.5_Final_Author_Teams.pdf

[3] http://wg1.ipcc.ch/SR/documents/SR1.5_Approved_Outline.pdf

[4] https://www.aiche.org/community/bio/dr-haroon-s-kheshgi

[5] https://www.ksa-climate.com/mustafa-babiker

[6] http://schattenblick.de/infopool/d-brille/report/dbri0050.html

5. Mai 2017


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