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LAIRE/270: Overshoot Day - woher nehmen, wenn nicht stehlen? (SB)


Ressourcenmangeladministration


In denkgeschichtlicher Tradition mit Weltbestsellern wie "Grenzen des Wachstums" (1972) erhebt das Global Footprint Network Daten über den globalen Ressourcenverbrauch und gibt den Tag bekannt, ab dem die Menschheit bis Ende des laufenden Jahres mehr verbraucht, als die Natursysteme der Erde regenerieren können. Mit jedem neuen Jahr wird wieder von vorn gerechnet. Jener "Overshoot Day" (Erdüberlastungstag) fällt in diesem Jahr auf den 2. August. Im vergangenen Jahr war es der 8. August, im Jahr 2000 der 23. September und 1980 der 4. November. Die unnachhaltige Nutzung von Ressourcen wie Holz und Fisch, Acker-, Weide- und Baufläche sowie die Produktion von Müll und Emissionen von Treibhausgasen wie CO2, die alle als Faktoren in die Berechnung des Overshoot Day einfließen, hat im Laufe der letzten Jahrzehnte dramatisch zugenommen. Die Menschheit lebt über ihre Verhältnisse und zu Lasten kommender Generationen.

Das Global Footprint Network und andere Nichtregierungsorganisationen machen ebenfalls darauf aufmerksam, daß der Ressourcenverbrauch ungleich verteilt ist. Die Menschheit benötigt inzwischen rein rechnerisch 1,7 Erden, um ihren Lebensstil zu decken. Würden jedoch alle Menschen so viel konsumieren und an Naturressourcen beanspruchen wie beispielsweise die Deutschen, wäre der Overshoot Day in diesem Jahr auf den 24. April gefallen. Deutschland benötigt somit 3,2 Planeten für seinen Lebensstil.

Sicherlich könnte man die Rechnung noch weitertreiben, denn innerhalb Deutschlands existieren große Unterschiede im Verbrauch. Der wohlhabendere Teil pflegt eine deutlich verbrauchsintensivere Lebensweise als beispielsweise der bereits heute administrativen Zuteilungssystemen wie Krankenversicherung, Hartz-IV- und anderen Sozialprogrammen unterworfene, ärmere Teil der Gesellschaft. Daraus können Schlüsse gezogen werden, die vom Global Footprint Network nicht angesprochen werden und weder auf die individuelle Verhaltensänderung, wie sie mit dem Konzept des ökologischen Fußabdrucks verfolgt wird, noch auf eine Nachhaltigkeitsapologetik abzielen, sondern geradewegs auf die auf Gewalt basierende und diese perpetuierende Eigentumsordnung.

Man könnte den Overshoot Day als groben Maßstab nehmen für den wachsenden Mangel und zu erwartenden Druck auf die wirtschaftlich starken und in der Regel hochgerüsteten Staaten, die ihren Lebensstil mit immer gewaltigeren Mitteln gegenüber Konkurrenten sichern werden, also mit allen Mitteln der Kunst rauben.

Ein alles vernichtender Weltkrieg mit anschließendem Neuanfang einer drastisch reduzierten Anzahl von Menschen könnte ebenso am Ende des eingeschlagenen Kurses der Weltgesellschaft stehen wie eine extrem zugespitzte Mangelverwaltung, in der die Grundversorgung des einzelnen mit dem zum Überleben Notwendigsten - und eine andere Versorgung wird es für die große Mehrheit der Menschen sowieso nicht mehr geben - bis zur allerletzten Kalorie ausgezählt, bemessen und zugeteilt wird. Abgesehen von der Energiezufuhr in Form von Nahrung und Wärme würden in jener Welt auch andere unverzichtbaren Dinge wie Wohnfläche und sogenannte Freizeit knapp bemessen. Vielleicht werden zur Legitimierung und Durchsetzung dieser exzessiv vorangetriebenen Globalregulation noch wirkmächtigere Begriffe als Nachhaltigkeit erfunden und in die Schlacht geworfen; jedenfalls wird damit heute schon das diese dystopische Gesellschaftsentwicklung befördernde ideologische Fundament gelegt. Eine nachhaltige Welt ohne Overshoot Day, in der die vorherrschende Eigentumsordnung unangetastet bleibt, wäre hierzu kein Gegenentwurf.

2. August 2017


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