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LAIRE/294: Agrar - Tag der Landlosen zum Vergessen ... (SB)



Der "Tag der Landlosen", der am 17. April ausgerufen wird, ist sang- und klanglos verstrichen. Die Presse hat über vermeintlich wichtigere Themen berichtet. Das Los der kleinbäuerlichen Landwirtschaft interessiert fast niemanden.

"Von den weltweit geschätzten 570 Millionen Bauernhöfen bewirtschaften 475 Millionen eine Fläche von weniger als zwei Hektar. Kleinbäuer*innen produzieren weltweit 70 Prozent der Nahrungsmittel. Obwohl sie 84 Prozent aller Bauernhöfe betreiben, verfügen sie nur über 12 Prozent des Agrarlands", macht die Menschenrechtsorganisation FIAN anläßlich des Tags der Landlosen auf die verbreitete Enteignung der Landbevölkerung aufmerksam. [1]

Dabei produzieren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern global nicht nur den größten Teil der Nahrungsmittel, sie tun dies auch vergleichsweise klimaschonend und landschaftsbewahrend. Daß unter diesen Menschen die Zahl der Armen und Hungernden am größten ist, erweist sich nicht als unabänderliches Schicksal, sondern als Folge einer uralten Ausbeutung der unterworfenen, vereinzelten und in Abhängigkeit gebrachten Landbevölkerung durch die städtisch organisierten, Herrschaftsstrukturen herausbildenden Gesellschaften. Diesen historischen Konflikt nicht einmal am Tag der Landlosen zu thematisieren zeigt, daß auch die Medien daran mitwirken, damit sich an diesem Gewaltverhältnis bis heute prinzipiell nichts geändert hat.

Am 17. April 1996 waren in der brasilianischen Region Eldorado do Carajás im Bundesstaat Pará 19 Männer und Frauen der Landlosenbewegung MST (Movimiento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra), die an einer Landbesetzung teilgenommen hatten, von der Polizei ermordet worden. Im Kugelhagel wurden weitere 60 Personen zum Teil schwer verletzt. Das war der vorläufige Höhepunkt der Liquidierung von im Laufe der Jahre Hunderten Landlosen nicht nur in Brasilien und hat die Kleinbauernorganisation La Via Campesina veranlaßt, seitdem jedes Jahr am 17. April auf das Ereignis, aber auch auf die fortgesetzten Repressionen gegenüber Kleinbäuerinnen und Kleinbauern aufmerksam zu machen. International unterstützen zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, die auf Gebieten wie Landwirtschaft, Menschenrechte, Umwelt- und Klimaschutz tätig sind, die Landlosenbewegung.

Im Dezember vergangenen Jahres hat die UN-Generalversammlung die "United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas", z. Dt. die UN-Erklärung zu den Rechten von Kleinbauern bzw. Kleinbäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten", angenommen. Am Willen der Umsetzung der UN-Erklärung scheint es allerdings zu fehlen, wie FIAN schreibt. Sie appelliert deshalb an die Bundesregierung, sich nun auch an die Arbeit zu machen. [2]

FIAN und andere Organisationen beobachten eine zunehmende Zahl von Vertreibungen der Landbevölkerung, auch und gerade in Brasilien. Dort ist in diesem Jahr mit Jair Bolsonaro ein Mann als Präsident vereidigt worden, der die Militärdiktatur befürwortet und die Waldrodungen und Vertreibungen im Tropischen Regenwald forciert. Dort müssen Menschen sterben oder teils schwerste Repressionen erleiden, weil sie unter anderem den reichen Landbesitzern im Wege stehen. Die produzieren dann auf den angeeigneten und gerodeten Flächen Pflanzen für Biosprit oder Tierfutter. Das Soja aus Brasilien landet auch in hiesigen Schweinetrögen.

Nur weil der Landraub auf einem anderen Kontinent stattfindet, bedeutet das nicht, daß die hiesige bevorzugte Lebensform nicht an dem Raubzug beteiligt ist. Ganz abgesehen davon, daß in Deutschland die Enteignungen von Land schon vor langer Zeit stattgefunden haben, mal mit dem Mittel der direkten gewaltsamen Aneignung, mal mit dem der um nichts geringer gewaltsamen, strukturell angelegten Gewalt, die sich hinter Begriffen wie Tausch, Handel und Verschuldung verbirgt.

Ein Blick auf die Vergabe von Land in Ostdeutschland nach der Angliederung der DDR an die BRD zeigt, daß die Entwicklung noch nicht aufgehört hat und große Agrarbetriebe weiterhin im Vorteil sind. [3] Forderungen beispielsweise von Jungbäuerinnen und Jungbauern nach Land wurden von der mit der Abwicklung betrauten Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) viel zu spät und zu ungenügend erfüllt. Der Tag der Landlosen gilt auch ihnen.

Womit die Lage der Landlosen in Brasilien und anderen Staaten nicht schöngeredet werden soll. Sie leben unter ganz anderen, lebensbedrohlichen Gefahren. FIAN-Referentin Gertrud Falk fordert: "Zur Sicherung der Welternährung muss die Bundesregierung ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und die UN-Erklärung konsequent in allen Politikbereichen umsetzen."

Davon scheint die Regierung weit entfernt. Große Agrarbetriebe werden hofiert und durch steuerliche Anreize angelockt, Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dagegen mit Auflagen drangsaliert. Weltweit gesehen sind sie es und eben nicht die Unternehmen der Agroindustrie, auf deren Schultern die Hauptlast der Ernährung der Menschheit ruht, genauer gesagt, jenes privilegierten Teils der Menschheit, der nicht hungern muß. Darum wäre es folgerichtig, die landwirtschaftliche Produktion der Landlosen zu stärken, denn sie hat Kapazitäten, die noch gar nicht ausgeschöpft sind.


Fußnoten:

[1] https://www.fian.de/artikelansicht/2019-04-15-pressemitteilung-zum-tag-der-landlosen/

[2] https://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/73/165

[3] http://www.meine-landwirtschaft.de/informieren/aktuelles/detail/news/abl-fordert-bevorzugte-landvergabe-an-baeuerliche-betriebe/

17. April 2019


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