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LAIRE/312: Verbrauchsfortschritt - Beschaffungslast ... (SB)



In der bolivianischen Stadt Potosí wurde ein Generalstreik ausgerufen, weil die Menschen nicht genügend an den Einnahmen aus der Lithiumförderung beteiligt, aber zugleich von den Umweltbelastungen des Rohstoffabbaus betroffen sind. Lithium wird in Akkus verwendet, die beispielsweise in Mobiltelefonen und in besonders großen Mengen in Elektroautos eingesetzt werden. Der Generalstreik rührt an einem gesellschaftlichen Grundwiderspruch und veranschaulicht treffend das Wesen des auf Verbrauch natürlicher Sourcen - einschließlich der menschlichen Arbeitskraft - ausgerichteten Produktionsverhältnisse. Auch die grüne, vermeintlich klimafreundliche Variante des Wirtschaftens bringt ähnlich zerstörerische Resultate hervor wie die seit Beginn der Industrialisierung bevorzugte Variante, die seitdem von fossilen Energien befeuert wird.

Ein Bürgerkomitee habe für die bolivianische Stadt Potosí vom heutigen Montag an zu einem unbefristeten Generalstreik aufgerufen, berichtete der Deutschlandfunk. Zu den Forderungen der Streikenden gehören eine Veränderung der Bedingungen des Rohstoffabbaus, worüber das Bürgerkomitee mit der Regierung von Präsident Evo Morales sprechen will, und eine gerechte Beteiligung der Bevölkerung an den Erlösen. In der vergangenen Woche seien in der Hauptstadt La Paz bereits zwei Aktivisten in den Hungerstreik getreten, heißt es. [1]

Der Vorsitzende des Bürgerkomitees, Marco Antonio Pumari, sagte gegenüber ANF, daß der Generalstreik schrittweise erfolge, auch die Bildungseinrichtungen und Geschäfte einschlösse, aber den Menschen genügend Zeit ließe, sich Vorräte anzulegen. [2]

Inwieweit die Bevölkerung dem Aufruf zum Generalstreik Folge leistet, war bis zum Redaktionsschluß noch offen. Der frühere Studentenführer Pumari aus Potosí hat auch in der Vergangenheit schon gegen politische Entscheidungen der sozialistischen Regierung protestiert und ihr Demokratiedefizite vorgeworfen. [3]

Der Generalstreik richtet sich direkt gegen die oberste Verordnung 3738 zur Gründung eines Joint Ventures zwischen dem bolivianischen Staatsunternehmen Yacimientos de Litio Bolivianos (YLB) und dem mittelständischen schwäbischen Unternehmen ACI Systems GmbH (ACI Systems Alemania - ACISA). Das gemeinsame Abkommen war am 7. Dezember 2018 unterzeichnet worden. ACI hatte im vergangenen Jahr die Abbaurechte von Lithium aus dem Salar de Uyuni, einem mehr als 10.000 Quadratkilometer großen Salzsee auf 3653 Meter Höhe, gegenüber einer Reihe von internationalen Mitbewerbern ergattert.

Sicherlich bietet die Politik von Evo Morales Anlaß zur Kritik, insbesondere hinsichtlich des auf Rohstoffabbau gegründeten Fortschrittsmodells, seiner Umweltfolgen und des Umgang der Regierung mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Bei der Kommunikation zwischen Staat und den Initiativen ist noch Luft nach oben, könnte man sagen, oder, um aus der Lithium-Analyse der evangelischen Hilfsorganisation Brot für die Welt zu zitieren:

"Beklagenswert ist, dass die bolivianische Regierung schon seit Jahren den Dialog mit den Kritikern und Kritikerinnen des Projektes ablehnt. Es gibt faktisch keinen Raum für die Zivilgesellschaft, in dem Zweifel an dem nationalen Entwicklungsprojekt geäußert werden können." [4]

Aber wer Boliviens Rohstoffabbau kritisiert, müßte konsequenterweise nahezu alle Staaten der Erde kritisieren, und viele von ihnen aus sehr viel gewichtigeren Gründen. Der ehemalige Gewerkschaftsführer Morales ist seit 2006 im Amt und konnte sich so lange dort halten, weil er bei der Bevölkerung beliebt ist. Auch aus den Parlamentswahlen am 20. Oktober dürfte seine Partei Movimiento al Socialismo als Siegerin hervorgehen.

Unter Morales wurden Arbeitslosigkeit und Armut deutlich verringert, und beim aktuellen Joint Venture wird das Land nicht, wie in der Zeit vor Morales üblich, ausländischen Ressourcenräubern zum Fraß vorgeworfen. Ganz zu schweigen von der finstersten Zeit Boliviens, der Kolonialzeit. Potosí ist ein Wahrzeichen für den mörderischen Extraktivismus der spanischen Eroberer. Über Jahrhunderte hinweg ließ das europäische Land Silber aus dem Cerro Rico von Potosí abbauen. Der Reichtum Spaniens, die vielen alten Prachtbauten, die noch heute von Millionen Touristen bestaunt werden können, wurde zu einem guten Teil mit dem geraubten Silber aus Bolivien bezahlt.

Anfangs hatte Morales Schlüsselindustrien verstaatlichen lassen, erst in den letzten Jahren nimmt er Kurs auf eine allmähliche Lockerung dieser rigiden Politik. Doch weiterhin bleibt bei Joint Ventures mit ausländischen Unternehmen die Mehrheit in staatlicher Hand. So hält YLB mit 51 Prozent die Aktienmehrheit am Joint Venture.

Die Lithiumproduktion wird sich nach Einschätzung der Konrad-Adenauer-Stiftung, die in den Medien im Zusammenhang mit dem Zustandekommen des Joint Ventures genannt wird, in den nächsten zwei Jahrzehnten vervierfachen. Neben Australien wird es vor allem aus dem Lithium-Dreieck Argentinien (Salar de Hombre Muerto), Bolivien (Salar de Uyuni) und Chile (Salar de Atacama) gewonnen. [5]

Bolivien ist erst spät in die Lithiumförderung eingestiegen und hat von Anfang an nicht auf den Export des Leichtmetalls gesetzt, sondern will eine eigene Batterieproduktion aufbauen, um auf diesem Weg Endkunden aus der Automobil- und Energiegewinnungsbranche ins Land zu locken. Auf keinen Fall aber will es am unteren Ende der Wertschöpfungskette bleiben und sich zum bloßen Rohstofflieferanten ausländischer Konzerne degradieren lassen.

In den von YLB und ACI gemeinsam entwickelten Produktionsstätten sollten zunächst jährlich 15.000 t Lithiumkarbonat, später 30.000 t hergestellt werden. Nach Angaben des deutschen Unternehmens besteht keine Wasserproblematik, wie es ansonsten bei Verdunstungsverfahren verbreitet ist. Jedenfalls behauptet ACI: "Für unsere Lithiumhydroxid-Produktion reicht das in der Restsole enthaltene Wasser. Es wird kein zusätzliches Prozesswasser benötigt. Eventuell kann Wasser aus dem Prozess zurückgewonnen und an die umliegenden Gemeinden abgegeben werden." [6]

Dennoch stellt sich die Frage, welche hydrodynamischen Prozesse in Gang gesetzt werden, wenn in riesigen Mengen "nur" Restsole aus dem Salzsee entnommen wird. Allgemein geht man bei der Lithiumproduktion davon aus, daß für die Herstellung einer Tonne dieses Metalls zwei Millionen Liter Wasser benötigt werden. Die Elektromobilität, als Weg aus der Klimakrise gepriesen, führt in die nächste ökologische Katastrophe, ohne daß die früheren Krisen behoben wären.


Fußnoten:

[1] https://www.deutschlandfunk.de/lithium-abbau-in-potosi-proteste-gegen-deutsch.1939.de.html?drn:news_id=1056840

[2] https://www.paginasiete.bo/sociedad/2019/10/6/potosi-inicia-la-semana-con-un-paro-indefinido-exigen-la-abrogacion-del-ds-3738-233392.html

[3] https://www.lostiempos.com/actualidad/pais/20180805/marco-pumari-nuestra-democracia-se-encuentra-retroceso

[4] https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/2_Downloads/Fachinformationen/Analyse/Analyse_84_Lithium.pdf

[5] tinyurl.com/y67632ev

[6] https://www.acisa.de/de/umwelt-soziales/

7. Oktober 2019


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